Der vor zehn Jahren verstorbene Bobby Fischer war die schillerndste Figur der Schachgeschichte und der genialste Spieler des 20. Jahrhunderts. Auch abseits des Bretts sorgte der Exzentriker mit seinen antisemitischen und antiamerikanischen Hasstiraden für weltweite Aufmerksamkeit.
Mit der Einschätzung der Persönlichkeit des gerade verstorbenen Bobby Fischer dürfte die renommierte niederländische Tageszeitung „de Volkskrant" Ende Januar 2008 den Nagel auf den Kopf getroffen haben: „Er wird nicht nur als Schachgenie in die Geschichte eingehen, sondern auch als geistig kranker King Lear, der seinen eigenen Mythos zerstörte." In vielen internationalen Blättern wurde zudem auf eine tragische Symbolik hingewiesen: Fischer, der in Kollegenkreisen vor allem für sein phänomenales Schachgedächtnis bewundert wurde und im Laufe seiner Karriere eine unglaubliche Bilanz von lediglich 61 Niederlagen in 576 Partien aufweisen konnte, sei 64 Jahre alt geworden. Er habe daher für jedes Feld des Spielbretts ein Lebensjahr gegeben. Der damals amtierende Schachweltmeister Vishy Anand hielt es gar für möglich, dass man schon in naher Zukunft Fischers menschliche Schattenseiten kaum mehr beachten werde: „Bobby Fischer wird als Marilyn Monroe des Schachs in unserer Erinnerung bleiben. Die Welt hat von der Monroe nur die schönsten und nicht die dunklen Seiten im Gedächtnis behalten."
Robert James Fischer wurde am 9. März 1943 in Chicago geboren. Als Vater ließ seine in der Schweiz geborene, in St. Louis aufgewachsene und in den 30er-Jahren in Moskau Medizin studierende Mutter Regina Fischer in der Geburtsurkunde den Berliner Biophysiker Hans-Gerhardt Fischer eintragen. Das Paar hatte in Moskau geheiratet, war 1939 von dort mit dem Ziel USA geflohen. Laut Recherchen des FBI, das die jüdisch-stämmige Regina Fischer als potenzielle Sowjet-Agentin zwischen 1946 und 1973 beschatten und eine 900 Seiten starke Akte anlegen ließ, spricht vieles dafür, dass der ungarisch-jüdische Mathematiker und Ingenieur Paul Nemenyi der leibliche Vater von Bobby Fischer war. Regina Fischer arbeitete nach dem Umzug nach New York 1949 als Näherin, Lehrerin und Krankenschwester in Brooklyn und zog ihre beiden Kinder Robert und dessen fünf Jahre ältere Schwester Joan alleine auf. Diese brachte ihrem Bruder das Schachspiel im zarten Alter von sechs Jahren bei. Als offizielles Datum für Fischers Eintritt in die Schachwelt gilt der 17. Januar 1951, als der noch nicht mal Achtjährige gegen den US-Champion Max Pavey unterlag. Noch im gleichen Jahr wurde Fischer Mitglied im Brooklyn Chess Club. 1955 wechselte er zum Manhattan Chess Club.
Schach-Großmeister bereits mit 15 Jahren
Als 13-Jähriger sorgte er am 17. Oktober 1956 für einen Paukenschlag in der Schachwelt, als er in einem von dem Fachjournalisten Hans Kmoch zur „Partie des Jahrhunderts" hochstilisierten Kräftemessen mit dem US-Meister Donald Byrne den Sieg davontrug. Mit 14 Jahren wurde Fischer erstmals selbst US-Champion und konnte den Titel achtmal in Folge verteidigen. Mit 15 Jahren brach er seine von ihm als nutzlos empfundene Schulausbildung an der Erasmus High School in Brooklyn ab, um sein Leben komplett dem Schach zu widmen. Einem hohen Intelligenzquotienten von 186 stand fortan ein geringer Bildungsgrad gegenüber.
Dank seiner Qualifikation für das Kandidatenturnier 1959, bei dem der Herausforderer für den amtierenden Schachweltmeister ermittelt wurde, wurde er mit 15 Jahren zum damals jüngsten Großmeister der Geschichte gekürt. Bei besagtem Turnier belegte Fischer, in Nietenhosen und bunte Hemden gekleidet, den geteilten fünften Platz. Drei Jahre später wollte er beim Kandidatenturnier zur Weltmeisterschaft in Curacao schon deutlich mehr. Mit seinem vierten Platz konnte er sich nicht anfreunden, weil er dafür – wohl zu Recht – Ergebnisabsprachen im Sinne von Remis-Pakten seiner sowjetischen Konkurrenten verantwortlich machte. Dieses Turnier war der Auslöser von Fischers tiefem Hass auf die Sowjets.
Er zog sich schmollend für fast fünf Jahre zurück, wurde Mitglied einer ob-skuren Sekte namens „The Church of God" und setzte erst 1967 wieder zu einem Anlauf auf die WM-Krone an. Doch beim Interzonenturnier im tunesischen Sousse, das als Qualifikationsbasis für das folgende Kandidatenturnier galt, setzte sich Fischer selbst schachmatt. Er präsentierte nämlich in Perfektion erstmals seine neue Eigenart, sich mit den Turnierveranstaltern wegen Nichtigkeiten anzulegen. Fischer störte sich an allem – am zu hellen Licht, an der Geräuschskulisse, an den Fotografen. Klar in Führung liegend, brach er das Turnier schließlich im Zuge einer Diskussion um von ihm aus religiösen Gründen geforderte spielfreie Samstage ab. Und das, nachdem er zuvor schon zu Partien verspätet oder gar nicht angetreten war.
Schach als Kampf der Welt-Systeme
1970 startete Fischer einen neuen, diesmal erfolgreichen Anlauf auf den Schachthron. Auf dem Weg zum Titelkampf gewann er 20 Partien in Folge und besiegte dabei die beiden Großmeister Mark Taimanow und Bent Larsen mit dem Sensationsergebnis von jeweils 6:0. Auch im Kandidatenfinale ließ er dem sowjetischen Ex-Weltmeister Tigran Petrosjan mit 5:1-Siegen bei drei Remis nicht den Hauch einer Chance. Nun wartete der sowjetische Schach-Champion Boris Spasski, den Petrosjan nach seiner Niederlage eindringlich vor Fischer gewarnt hatte: „Fischer ist ein ausgezeichneter Spieler, der Probleme am Brett schnell erkennt und sie auf korrekte Weise löst. Er fühlt sich in allem Neuen zu Hause, und es ist unmöglich, ihn zu überraschen. Wenn er auch nur den kleinsten Vorteil erlangt, spielt er mit der Präzision einer Maschine."
Am 1. Juli 1972 fand im Nationaltheater der isländischen Hauptstadt Reykjavik die offizielle Eröffnungsfeier des WM-Kampfes statt, der seitdem als „Match des Jahrhunderts" bezeichnet wird. Bobby Fischer glänzte durch Abwesenheit. Erst zwei Tage später sollte er auf Island eintreffen, nachdem ein britischer Millionär das Preisgeld aufgestockt und US-Außenminister Henry Kissinger Fischer persönlich zur Teilnahme gebeten hatte: „Amerika wünscht sich, dass Sie hinfahren und den Russen besiegen." Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ging es bei der Partie zwischen Fischer und Spasski nicht nur um Schach, sondern um einen Kampf der Gesellschaftssysteme, um einen Stellvertreterkampf der Supermächte. Aus Sicht der Sowjetunion, die seit 1948 den Schachweltmeister stellte und in der damals vier Millionen registrierte Schachspieler lebten, stellte der Herausforderer aus dem Land des kapitalistischen Erzfeindes, wo gerade mal 35.000 offizielle Schachspieler zu Hause waren, die vermeintlich geistig-kulturelle Überlegenheit des sozialistischen Systems infrage.
Während Spasski auf die gesamte sowjetische Schachmaschine zurückgreifen konnte, die alle Partien analysieren ließ, war Fischer in Reykjavik gleichsam auf sich allein gestellt. Ähnlich wie in Sousse trieb Fischer, am liebsten in quietschgrünen Anzügen zu gelben Slippern auftretend, seinen Gegner und den Veranstalter mit immer neuen Psycho-Spielchen und Beschwerden zur Verzweiflung. Fischer, für sein Offensivspiel und seine Fechtlust berühmt, gefürchtet für seine Stärke im Endspiel und für seinen direkten Königsangriff, verlor die erste Partie nach einem unerklärlichen Fehler und trat zur zweiten Partie gar nicht erst an. Schließlich nahm er mit einem 0:2-Rückstand das Spiel wieder auf und gewann am Ende noch mit 7: 3 Siegen bei elf Remis und einem Gesamtergebnis von 12,5:8,5.
Hasstiraden gegen sein Heimatland
Obwohl in den USA als Nationalheld gefeiert und weltweit einen regelrechten Schachboom auslösend, verschwand Fischer nach dem Titelgewinn für 20 Jahre in der Versenkung. Er spielte kein einziges Turnier mehr, weil er vermutlich Angst davor hatte, von einem potenziellen Gegner vom Gipfel gestürzt zu werden. Dem Titelkampf mit Anatoli Karpow blieb er 1975 fern, der dadurch kampflos zum neuen Weltmeister ernannt wurde. Fischer, bei dem Kollegen wie Gesundheitsexperten das Vorliegen von Schizophrenie oder paranoider Persönlichkeitsstörung vermuteten, kehrte 1992 nochmals ans Brett zurück. Allerdings fand der millionenschwere und von Fischer gewonnene Schaukampf gegen Boris Spasski im geächteten und mit einem Wirtschaftsembargo belegten Jugoslawien statt. Da die US-Regierung Fischer die Teilnahme unter Androhung von Gefängnis- und Geldstrafe untersagt hatte, wagte er zeitlebens keine Rückkehr mehr in die Staaten.
Er hielt sich vornehmlich in Japan und auf den Philippinen auf, wo er gelegentlich in Interviews wahre Hasstiraden gegen die USA und die Juden lancierte. Möglicherweise führten Fischers Jubel-Bekundungen bezüglich der Anschläge auf das World Trade Center dazu, dass die USA 2004 von Japan die Auslieferung des einstigen Volkshelden forderten. Dank der Hilfe seiner Lebensgefährtin Miyoko Watai, die er während seines Aufenthalts im japanischen Untersuchungsgefängnis geheiratet hatte, gelang ihm schließlich die Ausreise ins isländische Asyl. Dort ließ er sich als Neubürger des Inselstaates mit grauem Zauselbart und struppigem Schopf in Reykjavik nieder und verstarb am 17. Januar 2008 in einem Krankenhaus an Nierenversagen – nachdem er eine möglicherweise lebensverlängerte Dialyse-Behandlung abgelehnt hatte.