Saar-Rieslinge kommen wieder zu neuer Ehre. So wie schon vor mehr als hundert Jahren überzeugen sie Weinfreunde weltweit. Auch das noch junge „Weingut Cantzheim" in Kanzem setzt auf die bewährte Rebsorte.
Nicht nur, dass ein Wechsel der Generationen in den Weingütern an der Saar erkennbar wird, zu dem ebenso die Erneuerung alter, teils verknöcherter Strukturen gehört. In den vergangenen Jahren gelingt es zudem ganz jungen Winzern – Neu- und Seiteneinsteigern –, mit der Übernahme von Weingütern oder Rebflächen der Region ein neues Gesicht zu geben. Etliche Brachlagen werden dank neuer Besitzer rekultiviert oder reaktiviert.
Winzer jenseits des Renteneintrittsalters, denen es schwerfällt, einen adäquaten Nachfolger in der Familie zu finden, suchen oftmals unorthodoxe Lösungen für ihre meist über Generationen geführten Betriebe. Es gibt sie noch – jene Menschen, die sich voller Passion und Begeisterung für den Fortbestand einer alten Kultur engangieren, die vor langer Zeit begann.
Spricht man von Leidenschaft, spricht man vom Riesling. Als die Titanic auf ihrer Jungfernfahrt am 14. April 1912 im Nordatlantik unterging, verschwand mit ihr eine Menge Riesling-Spätlese in der Tiefe. Das Passagierschiff hatte mehr Wein von Saar und Mosel in den Vorratslagern als Weine aus dem Bordelais, zumal der Mosel- beziehungsweise Saar-Riesling als der teuerste Wein der Welt galt und die Preise der Franzosen um Längen schlug.
Zwei Menschen, die sich dieser Leidenschaft hingeben, sind Stefan und Anna Reimann, die Mitte des Jahres 2016 das „Weingut Cantzheim" in Kanzem an der unteren Saar gegründet haben. Beide absolvierten an der TU München Weihenstephan ein Gartenbaustudium in der Fachrichtung Weinbau. Anna Reimann studierte weiter an der ENSA Montpellier in Frankreich und beschloss ihr Studium als Diplom-Önologin/Master of viticulture. Ihr Mann, der Rheinländer Stefan Reimann, promovierte an der Universität Bonn in Phyto-Pathologie, also der Lehre der Pflanzenkrankheiten. An der Landwirtschaftskammer des Landes Rheinland-Pfalz machte er zudem seinen Winzermeister.
Ab 2003 arbeitete Anna Reimann im renommierten Mosel-Weingut Markus Molitor und baute für das Weingut den Im- und Export auf. Ihr Mann Stefan Reimann war in dem Unternehmen für etwa zwei Jahre im Außenbereich tätig. 2011 wechselte Anna Reimann nach acht Jahren im Weingut Molitor zu den Bischöflichen Weingütern in Trier, wo sie bis 2015 für die Leitung des Vertriebs verantwortlich war.
Im Lauf der Zeit reifte bei beiden der Entschluss, die Selbstständigkeit zu wagen. Sie bereisten die Weinbauregionen der Republik und schauten sich nach Weingütern oder passenden Objekten um. Viele der oft heruntergewirtschafteten Weingüter kamen nicht infrage, andere waren einfach zu groß, auch weil das Paar zu dieser Zeit zwei kleine Kinder zu versorgen hatte.
Renovierung streng nach Denkmalschutz
Dann kam ihnen die Idee, sich auf Dauer an der Saar niederzulassen, und dies aus guten Gründen. Anna Reimann erzählt: „Mein Vater Georg Thoma wurde in Trier geboren. Nach wie vor ist er der Region – auch hier an der Saar – sehr verbunden. Ich erinnere mich, wie wir in meiner Jugend oft über die L137 nach Kanzem zum Weingut meiner Großtante Heidi Kegel gefahren sind (Anm. d. R.: Weingut Von Othergraven, heutiger Besitzer Günther Jauch). Kurz vor der Brücke über den Saaraltarm befand sich auf linker Seite das ehemalige 275 Jahre alte Weingut des Prämonstratenser-Klosters Wadgassen. In den vergangenen Jahrzehnten litt das historische Gebäudeensemble ziemlich."
1999 erwarb ein Privatmann das Gutsgebäude mit den dazugehörenden Flächen unterhalb der weltbekannten Weinbergslage „Kanzemer Altenberg" vom Trierer Priesterseminar, der Zustand der Anlage verschlechterte sich weiterhin. Anna Reimanns Vater, Wirtschaftsanwalt und früherer Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Georg Thoma, entschied sich im Jahr 2007 für den Kauf des Anwesens. „Für meinen Vater war klar, dass er etwas Bleibendes schaffen wollte", sagt Anna Reimann. „Zum einen wollte er diese historische Besonderheit erhalten, zum anderen ein Gästehaus errichten, aber auch eine Begegnungsstätte für Kultur im Allgemeinen und Musik und Literatur im Besonderen ermöglichen. Das Haus hat ihm vom ersten Augenblick an gefallen, und er hat eine Chance erkannt, den Menschen und der Region, in der sie leben, etwas Bedeutendes zurückzugeben."
Georg Thoma beauftragte den Berliner Architekten Max Dudler mit der Planung des Areals und der 1740 erbauten Gebäude ganz nach den Vorgaben des Denkmalschutzes.
Thomas Verbundenheit zur Architektur wurde früh geprägt. Sein Vater Fritz Thoma war Architekt und Mitglied der Bischöflichen Baukommission des Bistums Trier. „Ich begeisterte mich für die solide Bauweise des Gutsgebäudes direkt an dieser exponierten Lage zwischen Saar und Weinbergskulisse", sagt Georg Thoma. Nach einer etwa fünf Jahre andauernden Planungsphase begannen die Umbauarbeiten 2013 und wurden 2016 beendet. Zum Gästehaus mit Weingutsvinothek gehören eine Privatwohnung und drei Gästezimmer, ein Gewächshaus aus Stahl und Glas sowie eine aus Stampfbeton gefertigte Remise, in der die Technikräume untergebracht sind, die das Gutshaus mit Energie versorgen. Zudem wurden in der Remise mit monolithischem Charakter zwei weitere Gästezimmer eingerichtet.
2016 war bereits die erste Ernte möglich
Während der Umbauphase der historischen Gemäuer nahm das Vorhaben von Anna und Stefan Reimann, ein Weingut zu gründen, konkrete Formen an. Einen halben Hektar Rebfläche im „Saarburger Fuchs", direkt hinter der bekannten Lage „Saarburger Rausch", konnten sie erwerben und 2016 schon den ersten Riesling ernten. Zudem kauften sie Rebfläche am „Kanzemer Sonnenberg", eine süd-südwestlich ausgerichtete Steillage am Saar-Altarm. In den feinen Schieferverwitterungsböden wachsen feinfruchtige Rieslinge mit ausgezeichneter Aromatik und einem filigranen Süße-Säure-Spiel.
Vom Kanzemer Winzer Johann Peter Reinert konnten sie vier Hektar pachten. Reinert, 73 Jahre alt und Mitglied im Bernkastler Ring, der ältesten Weinversteigerungs-Gesellschaft im Weinbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer, gab den Reimanns seine Weinberge, da er keinen Nachfolger fand. Den Neuwinzern vom „Weingut Cantzheim" gab er auch die Möglichkeit, seinen Keller und den Maschinenpark zu nutzen, worüber die Reimanns überaus froh sind.
Anna Reimann erzählt: „Dies war natürlich ein tolles Angebot von ihm, aber auch alle anderen Leute im Dorf sind hilfsbereit und unterstützen unser Vorhaben. Ebenso bekommen wir vom Kanzemer Ortsbürgermeister und Winzer Johann Peter Mertes alle erdenkliche Hilfe. Wir fühlen uns wirklich gut aufgenommen."
2017 konnte dann die erste große Lese eingefahren werden. Nicht ganz ohne Probleme, aber daran wird man wachsen. „Es ist schon etwas völlig anderes, in eigener Verantwortung zu wirtschaften. Im angestellten Job für andere ist man ja schon übergenau. Aber wenn es in Eigenverantwortung um die Existenz geht, kommt schon mal Unsicherheit auf. Aber da hilft uns die Erfahrung von Herrn Reinert, der seine Weinberge und seinen Keller kennt. Nicht nur mit Rat, sondern auch mit Tat greift er uns unter die Arme. Da hatten wir wirklich Glück", sagt Stefan Reimann.
Im schwierigen Weinjahr 2017 konnte das junge Winzerteam das erste Mal „Herbsteln". So nennen die rheinland-pfälzischen Winzer die Weinlese im Dialekt. Anna Reimann freut sich schon auf den ersten eigenen Riesling. „Ich bin gespannt, ob er Freunde findet. Johann Peter Reinert ist bekannt für seine Spitzenweine, und mit ein wenig Hilfe seinerseits werden wir wohl ein ebenso schönes Portfolio zustandebringen." In der Tat, Reinerts Weine haben eine große Fangemeinde. Vor allem sein Weißburgunder ist eine Offenbarung. Oftmals ist schon wenige Wochen nach der Flaschenfüllung keiner mehr zu haben.
Unterstützung von vielen Seiten
Die Chancen der Kanzemer Neuwinzer stehen auf einer ordentlichen Grundlage, sich ebenso eine solide Fangemeinde zu schaffen. Die Voraussetzungen stimmen: Gute Weinberglagen in bestgepflegten Zustand, was bei einer Übernahme nicht immer selbstverständlich ist. Keine all zu großen Kosten für ihr Start-up, da auch die außerfamiliäre Unterstützung gewährleistet ist. Die Tatsache, dass Saar-Wein längst wieder im In- und Ausland Beachtung findet. Und natürlich viel Leidenschaft für den Wein.
Der Start ist getan, die Gästezimmer füllen sich langsam. Die Vinothek, in der es nicht nur die eigenen, sondern auch Weine von benachbarten Winzern geben wird, findet bei Gästen ebenso bei den Bewohnern des Dorfes sowie Wandersleuten Zuspruch. Die ersten Veranstaltungen fanden bereits im Tonnengewölbe statt. Die Stadt Konz hat das Gutshaus mit seinem Gewächshaus zur Nebenstelle des Standesamtes erkoren. Die Küche ist eingerichtet und kann technisch manchem Küchenensemble von Sterneköchen Paroli bieten. Die Gastronomie bietet für durstige Kehlen – wie soll es anders sein – Wadgasser Klosterbräu aus dem Saarland. Alles in allem: Einem bedeutenden Denkmal eines barocken klösterlichen Weinbaubetriebs wurde wieder Leben eingehaucht.