Fast 30 Jahre hat er seinen Sport dominiert, jetzt hat Philip Douglas Taylor mit der WM 2018 sein letztes Turnier gespielt. Doch auf Exhibitions wird man ihn noch eine Weile sehen können.
Stoke-on-Trent liegt in den englischen Midlands, beim Fußball unterstützt man Port Vale. In den örtlichen Pubs aber regiert nur ein Traditionssport: Darts. Und in Stoke spielen sie aus unbekanntem Grund besonders gut. So kommt auch der fünffache Weltmeister Eric Bristow aus dieser Stadt. Und ein gewisser Philip Douglas Taylor. Geboren 1960 als Sohn einer Woolworth-Kassiererin und eines Bauarbeiters, verdient er seine Brötchen mit der Montage von Keramikgriffen an Toilettenpapierhalterungen am Fließband.
Mit den 74 Pfund Lohn in der Woche sind große Sprünge nicht drin. Aber abends zur Entspannung Darts im Pub von Eric Bristow. Dem fällt 1985 das große Talent des jungen Taylor auf. Und leiht ihm 10.000 Pfund, damit Phil seine Karriere beim damals einzigen Profi-Verband, der British Darts Organisation (BDO), starten kann. Taylor verwirklicht so seinen Traum vom Profidasein. Turniersieg für Turniersieg zahlt er Bristow das Darlehen zurück, trainiert jeden Morgen ab 9 Uhr wie besessen in Eric Bristows Kneipe. 1989 gewinnt er die Canadian Open ohne Weltranglistenplatz und qualifiziert sich für die Weltmeisterschaft 1990. Hier marschiert er ins Finale und trifft ausgerechnet auf seinen Mentor Eric Bristow. Was keiner erwartet hätte, geschieht. Taylor schlägt Bristow äußerst klar mit 6:1 und erringt seinen ersten WM-Titel.
Die Dartswelt horcht auf, man sehnt sich nach neuen Namen und Hoffnungsträgern, denn die Situation von Darts in Großbritannien scheint verfahren. Mit den dicken Bäuchen der Spieler, teils ungehobelten Umgangsformen, dem Zigarettenrauch und dem starken Alkoholkonsum selbst auf der Bühne der Weltmeisterschaft turnt Darts zu dieser Zeit die Fernsehzuschauer, die TV-Anstalten und damit auch die Sponsoren ab.
So fällt nach dem WM-Semifinale 1984 Jocky Wilson, immerhin zweifacher Sieger der seit 1978 ausgetragenen Welttitelkämpfe, alkoholisiert von der Bühne. Bis auf die WM kommt praktisch kein Turnier mehr im TV. Die Preisgelder sind nicht der Rede wert.
1991 gewinnt Dennis Priestley, doch schon 1992 siegt erneut der neue Star Phil Taylor. Er wie andere ehemalige Weltmeister sehen den Ernst der Lage und wollen mit der Gründung des World Darts Council die Wende zum Besseren schaffen: größere Austragungsorte, kein Alkohol, kein Zigarettenqualm, höhere Qualität. Daraus resultierend mehr TV-Präsenz, Werbung, Sponsoren und mehr Einkommen für alle.
1993 spielen 16 Spieler in Konkurrenz zur BDO die erste WDC- (später PDC-)WM aus. Außer Taylor unternehmen unter anderem die Ex-Weltmeister Bristow, Wilson, Dennis Priestley, John Lowe und Keith Deller den Schritt ins Ungewisse. Und obwohl der erste PDC-Titelträger Dennis Priestley ist, der Phil Taylor noch einmal mit 6:1 besiegen kann, wird es Taylor sein, der sich auch in den 23 Jahren danach immer für die WM qualifiziert und dabei in 20 Endspielen 16 Mal den Titel holt, dabei von von 1995-2002 acht Mal in Serie.
Er ist ein Perfektionist, der in allem der absolut Beste sein will, für den nach dem Turniersieg nur noch der nächste Wettbewerb zählt. Keine Zeit zum Verschnaufen, auch wenn sein Privatleben leidet (Scheidung nach 26 Ehejahren und vier Kindern).
Die UK Poker Open 2004 gewinnt er beinahe, wird „nur“ Zweiter. In weiser Erkenntnis lässt er die Finger vom Golf. Er weiß, wie das enden würde. Phil Taylor wird Darts komplett dominieren, denn der Perfektionist spielt zwar schon ein viel höheres Niveau als jeder andere auf dem Planeten Erde, doch er gibt sich nie damit zufrieden. Er wird über 100 Turniere gewinnen, unter anderem 16 Mal das World Matchplay, zwei 9-Darter in einem Match werfen, ungezählte Schaukämpfe bestreiten und zum weltweiten Gesicht des Darts werden.
2006 kommt Taylor auch für eine Veranstaltung in das Darts-Entwicklungsland Deutschland nach München. „Meet The Power“ wird ein ungeahnter Erfolg. Anders als in den Niederlanden, wo die Menschen schon seit vielen Jahren mit britischem Fernsehen aufgewachsen sind und auch der Insel-Mentalität näherstehen, mangelt es dem deutschen Darts damals noch an Vorbildern und Organisation. Das Charisma des notorischen Siegers Phil Taylor und seine unvergleichliche Präzision sind der Funke für eine Entwicklung, an deren Ende heutzutage deutsche Spieler wie Max Hopp, Kevin Münch oder Martin Schindler stehen oder aber auch Mensur Suljovic in Österreich. Und PDC-Großevents vor bis zu 10.000 lautstarken, partyfreudigen Fans statt vor 200 bis 700 stillen Fachzuschauern bei der BDO. Statt mit insgesamt 64.000 ist die PDC-WM jetzt mit zwei Millionen Pfund dotiert.
„Kein Millionär – multimillionär“
All das wäre ohne Phil „The Power“ Taylor nicht möglich gewesen. Er hob das Spiel auf ein ganz neues Level. Bei der PDC mussten seine Gegner entsprechend nachlegen und wer der Beste sein und richtig Geld verdienen wollte, muss irgendwann von der BDO zur PDC wechseln. In der BDO kommt man ohne Halbtags- bis Vollzeitjob nicht über die Runden, in der PDC besteht die Chance, seinen Lebensunterhalt komplett als Darts-Profi zu bestreiten.
2007 wechselte der damals aktuelle BDO-Champ aus Den Haag, Raymond van Barneveld, zur PDC, erreichte nicht nur das Finale, sondern schlug dort im vielleicht besten Darts-Match aller Zeiten Phil Taylor 7:6. Barneys Nachfolger als bester Niederländer ist der zweifache Champ „MVG“ Michael van Gerwen, der auch Taylor als Nummer 1 der Welt abgelöst hat. Seit fünf Jahren spielen die jungen Spieler, die von einer immer breiteren Basis nachströmen, ähnlich gut wie Taylor in seinen besten Zeiten und das auch über lange Distanzen.
2013 konnte Taylor MVG noch ein letztes Mal im WM-Finale schlagen. Jetzt bilden die respektlosen Jungen wie van Gerwen, Michael Smith, Keegan Brown, aber auch etwas Ältere wie Gary Anderson und Peter Wright die neue Spitze, während „The Power“ mit 57 Jahren konditionell und nervlich nachgelassen hat. So war es sein allerletztes Aufbäumen, das ihn noch einmal ins WM-Finale im Alexandra Palace von London führte. Gegen Rob Cross, den Shooting Star des Jahres 2017. Cross siegte durchaus respektvoll, aber klar mit 7:2.
Gefeiert wurde dennoch Taylor für seine Lebensleistung. Vergeben die Arroganz des ewigen Champs, seine Sprüche und Psychotricks gegenüber Gegnern, die teuren Autos. Er ist halt einer von ihnen, aus kleinen Verhältnissen, mit viel Stolz auf das Erreichte: „Ich bin kein Millionär, ich bin Multimillionär!“ Einer, der seinen Sport immer extrem ernst nahm, auch wenn er wusste, dass er gewinnen würde. Und nun endlich keinen Druck mehr hat, nur noch Spaß, zum Beispiel bei Schaukämpfen: „Ich möchte jetzt einfach Zeit mit den Leuten verbringen, die mich mein ganzes Leben unterstützt haben. Jetzt dürfen auch die Youngster ran!“ Taylor zum Anfassen hat allerdings seinen Preis: etwa 5.000 Euro pro Abend. Es gibt, wie das Lied sagt, eben nur einen Phil Taylor.