Auch James-Bond-Autor Ian Fleming verliebte sich in Jamaika und kaufte auf der Karibikinsel ein Haus. Kein Wunder, angesichts ihrer berauschenden Schönheit. Entdecken können Touristen den Inselstaat unter der kundigen Führung von Einheimischen. Und begegnen dabei natürlich auch Bob Marleys Erbe.
Große Schriftsteller brauchen große Fenster“, behauptet Franklin McKnight, als müsste er sich für die unverschämt schöne Aussicht entschuldigen. Der sympathische Journalist hat seine Gäste aus Europa in die Villa „Goldeneye“ geführt. Zusammen genießen sie den kinoreifen Superbreitwandblick auf die Karibik und Jamaikas Nordküste. Unterm Haus, am Fuß des Hügels, spült das Meer türkise Wellen an den Strand von Oracabessa. Ringsum Tropengrün und bunte Blüten, von Kolibris umschwirrt, dazwischen endlos blaue Weite. „Von dieser Kulisse ließ sich einst Ian Fleming inspirieren“, sagt Franklin und zeigt, wo genau der Schreibtisch des Bestseller-Autoren stand und welches Buch stets darauf lag: „Die Vögel der Antillen“ von James Bond. Als Namenspatron für Flemings Haupthelden ging der US-amerikanische Ornithologe in die Literatur- und Filmgeschichte ein.
„Der Brite Fleming war selbst noch ein Geheimagent, als er zum ersten Mal nach Jamaika kam. Wie fast alle verliebte er sich in unsere schöne Insel, kaufte dieses Stück Land und baute ‚Goldeneye‘. Zwischen 1953 und 1965 schrieb er hier zwölf Romane, die vor allem durch ihre Verfilmungen bekannt wurden“, erzählt der Zeitungsmann. Der Musentempel des 007-Schöpfers erlangte vor allem durch den Streifen „Goldeneye“ Berühmtheit. „Ausgerechnet die Story zu diesem Film stammt jedoch nicht aus Flemings Feder“, so Franklin.
Der grau melierte Jamaikaner ist gekleidet wie ein Gentleman, doch wie fast alle seine Landsleute ist er vor allem ein lustiger Bursche, der gerne lacht und tanzt und feiert. Hauptamtlich ist er Redakteur und Herausgeber der Zeitung „North Coast Times“. Doch heute ist er nicht beruflich unterwegs, hat sich frei genommen, um Touristen seine Insel zu zeigen. Unentgeltlich. Damit ist Franklin McKnight einer von über 700 Jamaikanern, die ausländischen Besuchern über die Organisation Meet The People (MTP) anbieten, ihr Land und ihre Leute auf ganz persönliche Art kennenzulernen. „Man schaut sich gemeinsam etwas an, geht shoppen, spielt Golf oder macht ein Picknick“, zählt er auf. Mit seiner Idee, nach „Goldeneye“ zu fahren, hat er bei seinen Gästen einen Volltreffer gelandet. Wer das nötige Kleingeld dazu hat, kann das recht versteckt liegende Anwesen mit Pool und Palmen für den privaten Urlaub mieten. Denn es ist heute Teil eines Luxushotels. Eigentümer ist Chris Blackwell. Mit seinem legendären Plattenlabel Island Records ließ der Musikproduzent etliche Talente zu Stars werden, darunter die irische Rockband U2 – und Bob Marley. Der in der ganzen Welt gefeierte Musiker, der mit seiner Band The Wailers den Reggae bekannt machte, wird in seiner Heimat Jamaika als Nationalheld verehrt.
In der Hauptstadt Kingston, in deren Armenvierteln der Sohn einer Jamaikanerin und eines Engländers seine Jugend verbrachte, steht Bob Marleys bronzenes Abbild gleich zweimal. Das erste Denkmal schmückt sein Wohnhaus an der Hope Road, das heute ein Museum ist. Von der oft besungenen „Positive Vibration“ des Künstlers und frommen Rastafari-Mannes ist an diesem unbestritten interessanten, doch von strengen Regeln überwachten Ort leider kaum noch etwas zu spüren. Private Fotos, Platinplatten und seine eingerahmten Fußballhosen können daran nicht viel ändern.
Doch die Sängerin Yeshemabeth rettet den Tag mit ihren Songs und ihrem Lächeln. Als Tochter der Reggae-Legenden Freddie McGregor und Judy Mowatt (eine der Background-Sängerinnen Marleys) musikalisch vorbelastet, war ihr Erfolg fast vorprogrammiert. Von ihrer Liebe zu einem Rasta-Mann singt die schöne Jamaikanerin im Aufnahmeraum von Marleys Plattenstudio Tuffgong, wo scheinbar ununterbrochen an neuen Klangwerken geschmiedet wird, selbst wenn – wie in diesem Fall – neugierige Besucher einen Studio-Rundgang machen.
Malerische Cottages im Villenstil
Hinter den flachen, unscheinbaren Gebäuden der Musikfabrik wachsen die Blue Mountains in den Himmel, ihre höchsten Spitzen mehr als 2.200 Meter hoch und eher grün als blau. Etwa auf der Hälfte, nach weniger als einer halben Autostunde, ist man schon mitten drin. Eingehüllt von Nebelwald und Wolken, erkennt das ungeübte Auge erst nach einer Weile, dass ein Teil des Dschungels ringsum Kaffeesträucher sind. „Das feuchte, kühle Klima lässt ihre Kirschen nur langsam reifen und macht sie so besonders aromatisch“, erklärt Donald Sewell vom Fremdenverkehrsamt, der die Besucher durch die Plantage führt. Dass Blue-Mountain-Kaffee mit einem Kilopreis von rund 100 Dollar zu den teuersten der Welt gehört, liege vor allem an der Qualität und dem recht überschaubaren Ertrag, der sich aus der geringen Anbaufläche ergebe, so der Tourismusfachmann.
Der nächste Stopp gleich um die Ecke ist eine Obstplantage? Nein, auf Strawberry Hill wachsen keine Erdbeeren. Doch der Hügel ist so sagenhaft schön und friedvoll, dass man glauben möchte, dies sei der Ort, wohin brave Menschen nach dem Tode kommen. Aber alle, die man hier trifft, sind sehr agil. Denn offenbar weckt dieser Platz die Lebensgeister der Menschen.
Dafür sorgt außer der Natur und zauberhaften Landschaft ein Hotel mit Spa und malerischen Cottages im kolonialen Plantagenvillastil sowie ein Restaurant, in dem die Nudeln „Rasta-Pasta“ heißen. Nicht zuletzt seiner einmaligen Lage wegen wurde der luftige Gourmettempel zu dem romantischsten von Jamaika gekürt. Dass hier wie seinerzeit Bob Marley noch heute die Großen des Musikgeschäfts verkehren, liegt nicht zuletzt daran, dass auch dieses Stückchen Erde dem Produzenten des Reggae-Kings gehört.
Fast ein persönliches Refugium Chris Blackwells ist die „Strawberry Hill’s Bar“. Jeder Rundgang, bei dem Resort-Managerin Paula Surtees ihren Besuchern die weitläufige Anlage zeigt, endet hier. Zwischen kuscheligen Couchs und Sesseln steht ein Klavier, die Wände sind voller Fotos. Bekannte Gesichter in entspannten Situationen. Die britischen Royals sind auch darunter. Während man die mit dem Gold und Platin unzähliger Ehren-Langspielplatten tapezierten Konferenzräume im Kellergeschoss besichtigt, spielt der Busfahrer oben auf dem Piano ein Halleluja. Keinen stört das. Ganz im Gegenteil. Musik und Instrumente sind hier für alle da.
Wäre Strawberry Hill tatsächlich der Himmel, würde man Annie Palmer dort vergeblich suchen, denn die schmort als „Weiße Hexe von Rose Hall“ in der Hölle. Die zierliche Engländerin, die bei einer Voodoo-Priesterin in Haiti aufwuchs, lebte vor 200 Jahren im heute bekanntesten Plantagenhaus von Jamaika, dem Rose Hall Great House, nahe Montego Bay. Die zeitweilig reichste Frau der Karibik schickte in dem 1770 im Stil eines britischen Landsitzes errichteten Haus drei Ehemänner und etliche Liebhaber ins Jenseits. „Die letzten Gäste, die hier 1989 übernachteten, haben gehört, wie Kinder schrien und Porzellan zerschlagen wurde“, sagt Shauna, die die Besucher durch das Haus führt, mit weit aufgerissenen Augen. Aus Angst vor spukenden Geistern betritt seitdem das Gebäude kein Einheimischer mehr nach Sonnenuntergang.
In der Bar des „Half Moon“, gleich gegenüber, wartet ein kühles Red-Stripe, Jamaikas Bier Nummer eins, das nach den leuchtend roten Streifen an den Hosen der jamaikanischen Polizisten benannt wurde. Die idyllische Halbmond-Bucht, deren Form eines der besten Hotels des Landes seinen Namen verdankt, hat sich die warme mondlose Nacht längst einverleibt. Nur das einsilbige dunkle Rauschen und die dünnen weißen Linien der Gischt verraten die Anwesenheit des karibischen Meeres. „Unsichtbare“ Minifrösche verwirren europäische Ohren mit ihrem Pfeifen. Am Morgen steht wieder alles voller Palmen.
Angst vor dem Geist der „weissen Hexe“
Nach einer feucht-fröhlichen Kletter-Rutsch-Tour über die Kalksteinfelsen der Dunn’s River Wasserfälle bei Ocho Rios geht es in den Freizeitpark „Mystic Mountain“, wo Abenteuer- und Bewegungslustige in der Luftbahn über die Wipfel des Regenwaldes schweben oder, per Zipline am Drahtseil hängend, von Baum zu Baum sausen. Noch schneller den Zauberberg hinab gelangt man mit dem Bobschlitten, der zugleich Jamaikas Olympioniken als Trainingsstätte dient. Welch hohes Ansehen die Meister des Sports auf der Insel genießen, zeigen die oft gigantischen Partys, die ihnen nach erfolgreichen internationalen Wettkämpfen gewidmet werden.
Gefeiert und getanzt wird allerdings auch ohne Anlass, und zwar, so scheint es, überall und immer. Die ganze Insel wippt im Reggae-Takt. Die Songs dazu spielt Irie, der stets präsente Kultkanal aus Ocho Rios, der nicht nur musikalische Traditionspflege betreibt, sondern auch Nachwuchskünstler fördert. Die Fußball-Nationalelf nennt sich „Reggae Boyz“. Im Outameni-Freizeitpark bei Falmouth an der Nordküste, wo Kindern jamaikanische Kultur und Geschichte in szenischen Bildern vermittelt wird, lernen am Ende alle, wie man die Beine reggaemäßig richtig knickt und federt. Selbst auf dem Flughafen von Montego Bay laufen Hits von Marleys Alben wie „One Love“ und „I Shot The Sheriff“. Nach reichlich zehn Flugstunden hilft das prima gegen eingeschlafene Waden!