Die Begeisterung für eine Große Koalition bleibt bei der SPD übersichtlich. Die Genossen sehen sich in der Rolle als Notnagel. Immer, wenn die Staats-Karre im Dreck steckt, müssen sie ran.
SPD-Chef Martin Schulz war froh, dass er die Sondierungen überstanden hatte. Doch so richtig glücklich sah er nach dem 24-Stunden-Verhandlungsmarathon nicht aus. Denn der SPD-Chefsondierer hatte logischerweise inhaltlich Federn lassen müssen. Die Bürgerversicherung wurde gleich ganz gekegelt, für Schulz ein unverrückbares SPD-Essential bei den Sondierungen, ohne das er eigentlich nicht weiterverhandeln wollte. Auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent kassierte die CSU. Der Familiennachzug für minderjährige Flüchtlinge mit begrenztem Schutzstatus soll immerhin wieder möglich sein. In diesem Rahmen allerdings nur 12.000 Menschen pro Jahr, was den linken Flügel der SPD nicht gerade freuen wird, denn das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
Dafür sollen aber zukünftig die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern und -nehmern gezahlt werden, zumindest ein kleiner SPD-Sieg. Doch Schulz weiß nur zu gut, dass das innerhalb seiner Partei nicht entscheidend ist, auch nicht auf einem Parteitag. Die Diskussion, die da in der SPD geführt wird, geht in eine ganz andere Richtung, Bürgerversicherung hin oder her.
Die sozialdemokratischen Genossen, nicht nur an der Basis, fühlen sich seit Jahrzehnten immer wieder als Notnagel, wenn sie regieren oder mitregieren dürfen, mit einer Ausnahme: Das rot-grüne Bündnis von 1998 unter Gerhard Schröder war politisch eine echte Liebeshochzeit. Wenn auch, zumindest wirtschaftlich, in schweren Zeiten.
Doch das war in der Geschichte der sozialdemokratischen Regierungen das einzige Mal, dass die SPD nicht nur regieren, oder besser reagieren, sondern auch mal gestalten konnte. Dass das Politik-Gestalten unter Rot-Grün schließlich in den Hartz-Reformen und damit ihrer Abwahl mündete, ist eine andere Geschichte.
Als die SPD 1918 das erste Mal eine Regierung stellte, geschah dies nicht aus tatsächlichem Volkswillen (die Wahl dazu gab es erst im März 1919), vielmehr war das deutsche Kaiserreich im wahrsten Sinne des Wortes im Marschschritt mit Tschingderassabum untergegangen. Der Kaiser hatte abgedankt, der erste Weltkrieg war verloren, am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude die erste demokratische Republik aus. Doch die Reichsbürokratie und das Militär sorgten dafür, dass dem ersten sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert nicht nur viele Steine, sondern ganze Felsbrocken in den Weg gelegt wurden, was das Regieren eigentlich unmöglich machte. Obendrein verbrüderten sich Teile des linken Flügels der damaligen SPD mit der Kommunistischen Partei unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zur Revolutionsgarde.
Das sozialdemokratische Unglück nahm seinen Lauf. Als SPD-Reichswehrminister Gustav Noske im Januar 1919 den Spartakusaufstand im Berliner Zeitungsviertel zusammenschießen ließ, hieß es fortan: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Immer wenn etwas schief lief, war die SPD schuld, die entsprechende Propaganda dazu lieferten KPD und NSDAP. Und der Verräter-Spruch fliegt den Genossen bis heute um die Ohren.
1966 kommt es zu ersten Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU), Vizekanzler wird Willy Brandt, von 1964 bis 1987 SPD-Parteivorsitzender. Die Boomjahre – Wirtschaftswunder dank Marshallplan – sind vorüber, am Horizont zeichnen sich sehr dunkle Konjunkturwolken ab. Den damaligen Wirtschaftsexperten das klar. 1969 wird Brandt Kanzler und stürzt fünf Jahre später über den Ost-Spion Günther Guillaume. Helmut Schmidt übernimmt 1974 die Kanzlerschaft. Deutschland war da schon in einer tiefen Wirtschaftskrise, Werften- und Zechensterben, die Stahlindustrie geht den Bach runter, die Ölkrise verschärft die Lage. Als Helmut Schmidt im Herbst 1982 im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses von seiner eigenen Bundestagsfraktion politisch massakriert wird, hat Deutschland 2,1 Millionen Arbeitslose − Rekord. Für die Kritiker der Sozialdemokratie der Beweis: Die können‘s einfach nicht.
2005 ist es dann so weit, die zweite Große Koalition seit 1966 wird notgedrungen geboren, die SPD startet auch gleich mit einem völligen Fehltritt in die Regierung. Im Wahlkampf heißt es: „Mit uns keine Mehrwertsteuererhöhung“. Nach Abschluss des Koalitionsvertrages steigt die Verbrauchsabgabe dann um satte drei Prozent. Damals holte die SPD übrigens noch fast 35 Prozent der Stimmen, dank eines furiosen Wahlkampfs von Gerhard Schröder. Nach vier Jahren Große Koalition stürzte die SPD mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier 2009 auf 23 Prozent ab. Schon damals hieß es bei den Sozialdemokraten, sie hätten sich als Juniorpartner in der Großen Koalition nicht profilieren können. Mit viel Freude und Elan gingen die SPD-Genossen in die Opposition, vor allem, um sich zu erneuern, wie der damalige SPD-Chef Gabriel frohlockte.
Diese Erneuerung auf der harten Oppositionsbank brachte dann 2013 der SPD tatsächlich ein Plus von 2,7 Prozentpunkten, aber keinen Platz an der Sonne, sondern wieder den zweiten Platz in der der Großen Koalition. Das durchschlagende Ergebnis für die SPD der weiteren vier Jahre unter Kanzlerin Merkel ist bekannt, minus 5,2 bei der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres.
Wen wundert’s dabei, dass sich die Begeisterung bei den Genossen für eine erneute Große Koalition doch sehr im Rahmen hält? Zweimal Große Koalition und insgesamt fast 15 Prozent verloren. Nun sollen sie wieder ran, und wieder ist es die Staatsräson, die politische Verantwortung für unser Land, für die die Sozialdemokraten da Begeisterung an den Tag legen sollen. Bitter für sie, dass dies nicht ein rechtskonservativer Staatsrechtler empfiehlt, sondern ausgerechnet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemokrat mit ruhendem Parteibuch, der seine Genossen in eine erneute Große Koalition zwingen will.
Die Genossen sind tief gespalten – der Fels in der Brandung fehlt
Selbst ein Vieraugengespräch mit SPD-Chef Martin Schulz konnte Steinmeier nicht davon abbringen. Er will, dass auch die Möglichkeit einer erneuten Großen Koalition ausgelotet wird. Das ist für den Bundespräsidenten sehr rühmlich, denn damit hat er seine Überparteilichkeit unter Beweis gestellt. Doch die Sozialdemokraten stürzt dies in einen tiefen Zwiespalt. Der linke Flügel, die Jusos oder auch der Landesverband Nordrhein-Westfalen sind absolut gegen eine Neuauflage des Regierens mit Angela Merkel.
Dagegen halten es vor allem die Parteioberen mit ihrem ehemaligen Vorsitzenden Franz Müntefering, „Opposition ist Mist“, darum regieren. Eine klare Meinungslage der anderen Landesverbände gibt es nicht und erst recht nicht von den einzelnen Parteimitgliedern, die am Ende über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen sollen. Zwischen allen Stühlen sitzt dabei SPD-Chef Martin Schulz, Mr. Hickhack. Er hat seit der Bundestagswahl alle Positionen durch, die möglich sind: Klare Opposition – auf keinen Fall in einer GroKo regieren, unter Merkel wird er auf keinen Fall Minister! Er hat keine Angst vor Neuwahlen. Kooperations-Koalition (KoKo)? Minderheitenregierung? Oder aber nun doch Große Koalition? Das macht ihn auch für seine Genossen nicht gerade glaubwürdiger. Ein Vorsitzender, der jede Woche eine neue Richtung ausgibt, ist nicht gerade ein Fels in der Brandung, an dem man sich festhalten kann. So einen aber bräuchten die Sozialdemokraten gerade jetzt so dringend.