Permanenter Aufschwung wie schon in den letzten Jahren? So mancher bekommt allmählich eine Gänsehaut: Irgendwann ist womöglich Schluss, und dann stürzt die Wirtschaft ab, in Deutschland und weltweit. Noch spürt man hierzulande nichts davon. Aktuelle Zahlen weisen darauf hin, dass der Aufwärtstrend auch 2018 weitergeht.
Was wurde nicht gewarnt: vor einem Zusammenbruch des Euro, vor dem Brexit oder vor unabsehbaren Folgen, als vor einem Jahr in den USA Donald Trump Präsident wurde. Doch alle diese Unsicherheiten konnten der Konjunktur hierzulande bislang nichts anhaben. Seit Jahren befindet sich Deutschland im wirtschaftlichen Aufschwung, und ein Ende ist nicht abzusehen. Weiterhin investieren die Unternehmer, die Menschen finden neue Jobs – und geben ihr frisch verdientes Geld auch aus. Wer es nicht glaubt: Besuchen Sie mal ein großes Möbelhaus an einem verkaufsoffenen Sonntag.
Auch in Zahlen schlägt sich das deutlich nieder: Die deutsche Wirtschaft ist 2017 um 2,2 Prozent gewachsen. Das ist das stärkste Wachstum seit Jahren. Dieses Jahr könnten es sogar noch mehr werden: 2,6 Prozent, so prognostizieren die Wirtschaftsforscher des ifo-Instituts in München. Das scheint gar nicht so viel, aber in heutigen Zeiten genügt es, um große Wirkung zu erzielen. Zumal, wenn es Jahr für Jahr so gut läuft. Fünf Jahre in Folge hatte der Finanzminister im Bund jetzt einen Haushalt ohne neue Schulden. Das gab es davor zuletzt in den 50er-Jahren.
Doch Deutschland steht damit nicht allein da: Die ganze Weltwirtschaft wächst und wächst. So erleben auch die USA in der Wirtschaft, was ihnen in der Politik fehlt: solide Stabilität, und das trotz Trump. Die Steuerreform, die zum Jahreswechsel beschlossen wurde, dürfte zumindest die Wohlhabenden begeistern. Sie werden einkaufen, Häuser bauen, investieren.
Auch die Wirtschaft in China läuft immer noch rund, wenn auch etwas gebremst. Chinesische Firmen kaufen deutsche Maschinen wie nie – mit Effekt hierzulande: Im vergangenen Jahr legten die Exporte der deutschen Maschinenbauer ins Reich der Mitte um 20 Prozent zu. Das hat sogar die deutschen Produzenten selbst überrascht.
Der Freihandel, so hieß es des Öfteren in den vergangenen Jahren, würde die Weltwirtschaft spalten, Gewinner und Verlierer schaffen. Die Globalisierung sei in der Krise. Die Briten wählten den Ausstieg aus der EU, die Amerikaner den Abschotter Trump zum Präsidenten. Doch die Realität ist eine ganz andere. Die Zeichen standen weiterhin auf Grün: Die Europäische Union hat mit Japan ein Freihandelsabkommen geschlossen, das 2019 in Kraft treten wird und einen Handelsraum für 600 Millionen Menschen schafft. Mit Kanada ist das Freihandelsabkommen Ceta vorläufig in Kraft getreten und hat viele Zölle gesenkt. Der Welthandel wächst und wächst.
Nicht die Zeit zum Zurücklehnen
Der derzeitige Aufschwung der Weltwirtschaft ist der längste in der Nachkriegszeit. Was für ein Kontrast! Nur wenige Jahre ist es her, im Jahr 2009, da steckte die Welt in der schwersten Rezession seit Anfang der 30er Jahre – von einem Extrem ins andere.
Wo man auch hinschaut: Auch Deutschland geht es wirtschaftlich so gut wie nie. Davon profitieren zwar nicht alle, aber der Durchschnitt: Die Arbeitslosigkeit sinkt stetig. Die Quote lag im vergangenen Jahr bei 5,7 Prozent aller Erwerbspersonen in Deutschland. Im laufenden Jahr dürfte sie auf 5,3 Prozent sinken und 2019, wenn alles weiter gut geht, auf nur 4,9 Prozent. Deutschland sei „auf dem Weg zur Vollbeschäftigung", schreiben die Volkswirte der Deutschen Bank. Es gibt derzeit noch 2,4 Millionen Arbeitslose – zu viele zwar, aber verglichen mit den fünf Millionen im Frühjahr 2005 sind das weniger als die Hälfte. Inzwischen ist ein regelrechter Fachkräftemangel zu spüren, vor allem im Handwerk und in der Pflege.
An vielen Läden hängen wieder Zettel an den Scheiben: „Suche Aushilfe" – wenn auch meist nur auf geringfügiger Basis. Aus Ost- und Südosteuropa wandern Menschen zu, viele von ihnen ausgebildete Kräfte. Sie finden Arbeit, die sie vor zehn Jahren nicht bekommen hätten.
Der Zuzug in die Großstädte hält an und macht dort den Wohnraum knapp. Insgesamt, schätzen die Volkswirte der Deutschen Bank, fehlen in Deutschland eine Million Wohnungen, obwohl so viel gebaut wird wie zuletzt vor über 16 Jahren. Es reicht trotzdem nicht. Es gibt zu wenige Wohnungen für alle die, die in die Städte ziehen. Die Mieten stiegen zuletzt jährlich um bis zu zehn Prozent, ebenso die Kaufpreise für Immobilien, wenn auch regional sehr unterschiedlich.
Wirtschaftswachstum vollzieht sich in Zyklen, es geht hinauf und wieder hinunter. Das Vertrackte: Wann der Abschwung beginnt, ist erst im Nachhinein zu erkennen. Wenn die Firmen keine geeigneten Kandidaten für freie Stellen mehr finden und darum nicht hinterherkommen mit ihren Aufträgen und Projekten. Oder wenn alle Unternehmen so dicke Auftragsbücher haben, dass sie quasi jeden Preis durchsetzen können: Dann fangen sie an, sich zu verkalkulieren. Es scheint manchmal, dass dieser Zeitpunkt in Deutschland nicht mehr weit ist. In der Bauwirtschaft gibt es bereits lange Wartezeiten, und Bauherren haben Schwierigkeiten, Firmen mit freien Kapazitäten zu finden. Diese wiederum finden kaum noch Fachkräfte.
Die Stimmung der Unternehmen ist noch immer euphorisch. Um diese zu messen, gibt es Stimmungsindikatoren wie die des Münchner ifo-Instituts oder der EU-Kommission. Sie zeigen, dass es den Unternehmen in Deutschland und auch in der Euro-Zone Ende 2017 insgesamt so gut ging wie zuletzt im Jahr 2000. Manche dieser Indikatoren liegen gar auf einem Allzeithoch: Die Gewinne sprudeln, die Auftragsbücher sind voll.
Wie lange kann das noch gut gehen? Kein Zweifel, die Zahlen sehen blendend aus. Keine Warnsignale, nirgends, alles läuft rund. Doch es gilt auch: Wer hoch steigt, kann tief fallen. „Die Erholung des weltweiten Wachstums auf breiter Basis ist ermutigend, aber dies ist nicht die Zeit zum Zurücklehnen", warnte darum Weltbankpräsident Jim Yong Kim kürzlich.
Denn da ist tatsächlich etwas, das den schönen Schein trübt: Seit fast zehn Jahren wird die Weltwirtschaft mit Geld geflutet. Die Zinsen liegen seither quasi bei null, denn die Notenbanken haben die Macht, beliebig viel Geld in Umlauf zu bringen. Durch Ankaufprogramme von Staatsanleihen haben sie auch die wichtigeren Spar- und Kreditzinsen in den Keller getrieben: Das konnte in den letzten Jahren jeder Sparer zu seinem Leidwesen und jeder Hausbauer zu seiner Freude erfahren. Ohne diese extreme Politik wäre die Weltwirtschaft vor fast zehn Jahren nicht aus der Krise gekommen. Aber längst wachsen die Sorgen – vor steigender Inflation etwa, von der bislang noch nichts zu sehen ist.
Das alles ging jahrelang gut, allen Warnungen zum Trotz. Die Weltwirtschaft befindet sich in Feierlaune, weil das Kapital so billig ist. Es kostet quasi nichts mehr, sich zu verschulden. Darum sind viele sehr mutig geworden und investieren in neue Technologien, in neue Märkte, in neue Ideen. Das bringt Arbeitsplätze, die es sonst gar nicht gegeben hätte. Aber wie lange kann so ein Boom noch andauern? Es gibt kein historisches Vorbild für eine solche Lage. „Den Notenbanken ist das Navi abhandengekommen", sagte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Vielleicht werden die Zinsen künftig so niedrig bleiben, auf Jahre hinaus. Vielleicht aber auch nicht.
Ganz vorsichtig ziehen die Notenbanken die Zügel wieder an. Die Europäische Zentralbank EZB in Frankfurt wird es wahrscheinlich erst Mitte 2019 tun, noch eine ganze Weile hin. Bis dahin bleiben die Kredite also so günstig wie jetzt. Aber was dann? Wem das alles nicht ganz geheuer ist, der hat zumindest schon mal die Geschichte auf seiner Seite. Doch es gilt eben auch: „Et hätt noch emmer joot jejange." – Es ist noch immer alles gutgegangen. Ob das stimmt? Wir werden es sehen.