Das Land braucht jemanden, der die Richtung anzeigt. Wenn niemand Verantwortung übernimmt, geht es nicht voran.
Wir brauchen eine Regierung, und zwar eine gute Regierung. Am besten mit frischen, neuen Köpfen. Aber auch wenn sich das momentan weder in der SPD noch in der CDU abzeichnet – auf einem Land wie Deutschland ruhen einfach zu viele Erwartungen, als dass es ohne Regierung geht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wartet ebenso auf eine Antwort auf seine EU-Reformvorschläge wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Geschäftsführende Minister richten in Brüssel höchstens Unheil an, wie das am Beispiel von Landwirtschaftsminister Christian „Glyphosat“ Schmidt zu erleben war. Die Briten spielen mit ihrem Brexit auf Zeit, weil die EU ihnen nicht gemeinsam Druck macht. Und wer außer einem gewählten Bundeskanzler hat genug Gewicht und Einfluss, um mit einem Jarosław Kaczyński oder einem Victor Orban zu reden, wenn sie den antieuropäischen Kurs fortsetzen? Wer geht ans Telefon, wenn Donald Trump anruft? Eine geschäftsführende Frau Merkel oder eine mit Mehrheit in ihr Amt gewählte Bundeskanzlerin mit einer starken Regierungsmannschaft?
Auch innenpolitisch geht es nicht voran, solange der Bundestag zwar weiter arbeitet, aber keinen Haushalt beschließt. Ohne einen Haushaltsplan ist nicht klar, welche Aktivitäten der Staat für das kommende Jahr beabsichtigt und für welche Zwecke er wie viel Geld ausgeben wird. Und der Haushalt ist ein Gesetz, das der Bundestag beschließt. Es steckt den Spielraum der Regierung ab.
Aber was ist, wenn es keine Regierung gibt? Na, Geld scheint ja genug da zu sein, mag mancher denken. Aber ein Haushalt ist so etwas wie ein Fahrplan, der verbindliche Vorgaben macht und vor allem Planungssicherheit ermöglicht: Wie viel wird für neue Straßen ausgegeben, wie viel wird in den Breitbandausbau gesteckt? Wie viel bekommen die Bundesländer? Was ist für den Bau neuer Wohnungen vorgesehen? Zwar liegt ein Haushaltsentwurf auf dem Tisch. Aber das ist noch kein Gesetz, und erst durch Bundestagsbeschluss tritt ein Haushalt in Kraft. Und noch kein Haushaltsgesetz hat den selbstbewussten Bundestag ohne Änderung verlassen.
Ein ganz pragmatischer Grund kommt noch dazu: Wenn es keine Regierung gibt, kann man auch keine stürzen. Das spricht zwar nicht unbedingt für Kontinuität. Aber solange es keine Regierung gibt, also niemand Verantwortung übernimmt, streiten sich die Parteienvertreter endlos darum, was nun eigentlich eine Regierung machen müsste, aber weil ja die andren nicht wollen, nicht kann. Das „Schwarze-Peter“-Spiel geht munter weiter: CSU/CSU gegen SPD, FDP gegen Grüne – und die AfD reibt sich die Hände.
Im Grundgesetz steht: „Nach Artikel 63, Absatz 2, ist als Bundeskanzler gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt.“ Adenauer hat sich 1961 einfach im Bundestag zur Wahl gestellt und so die widerstrebende FDP mit in die Regierung gezwungen. Das hielt zwar nur noch zwei Jahre, länger wollten die FDP-Minister nicht mehr. Aber immerhin kam so eine Regierung zustande.
Wer brächte heute noch so viel Chuzpe auf? Nach allem, was man bisher mit der Bundeskanzlerin erlebt hat, wäre ein solcher Schritt mehr als unwahrscheinlich. Aber wer sagt denn, dass nur sie sich zur Wahl stellen darf?