Die thailändische Küche fängt mit den Gewürzen an, und im „Kin Dee" in Tiergarten werden diese selbst angesetzt. Heraus kommt eine wohlakzentuierte und modulierte Schärfe, die auch empfindliche deutsche Gaumen verkraften.
It is painful for me to face the fact that art cannot contribute to the solutions of urgent social problems" steht auf dem großen Wandspiegel zwischen den Bildern mit raumgreifenden schwarzen Punkten geschrieben. Kunst kann vielleicht wenig bis gar nichts dazu beitragen, die dringendsten gesellschaftlichen Probleme der Welt zu lösen. Und das ist sicherlich eine durchaus schmerzliche Erkenntnis. Allerdings helfen die Gerichte, die im „Kin Dee" auf die Teller kommen, womöglich dabei, über gutes, qualitätvolles Essen und die Authentizität von Heimat und Geschmack ernsthaft nachzudenken und zumindest minder dringliche Probleme in Sachen bewusster und nachhaltiger Ernährung in Angriff zu nehmen. Ein Genuss ist das siebengängige Menü, das Küchenchefin Dalad Kambhu auftischt, mit seinen Speisen im „Teil mich"-Stil allemal.
Dalad Kambhu will so kochen, wie es in ihrer Heimat Thailand üblich ist. Basierend auf Gewürzpasten, die allerdings nicht wie im Asia-Markt vorgefertigt aus vier Gewürzen, sondern aus mindestens zwölf bestehen und selbst angesetzt werden. „Die thailändische Küche fängt mit den Gewürzen an", erklärt die 31-Jährige. Die Gewürze werden individuell gemischt, geröstet, gemahlen, mit Wasser, Öl oder Kokosmilch lange aufgerührt. Anschließend dürfen sie noch eine geraume Weile durchziehen.
Wir starten zunächst mit Chili-Nüsschen und Scheiben aus eingelegtem Kohlrabi in den Abend. Die hiesige Knolle ist ein Paradebeispiel dafür, wie Dalad Kambhu mit regionalen Zutaten Geist und Essenz der thailändischen Küche einfängt. „Den Papaya, die wir hier bekommen oder einfliegen können, fehlt die Reife und der volle Geschmack wie vor Ort in Thailand", sagt sie. Nachreifung und nicht vertretbare Kosten für den Import können die Nachteile nicht aufwiegen. Kohlrabi dagegen erfüllt denselben Zweck perfekt und ist Teil der „Bring me back home"-Küche von Dalad Kambhu. Sie sind die „besseren Papaya", zumindest von Deutschland aus betrachtet.
Kambhu setzt in den Räumen des ehemaligen „Edd’s" auf Regionales, das das Wohlgefühl des originalen Essens hervorruft, statt auf aufwendige, teure und dennoch geschmacklich unzulängliche Importe. So reicht der Service die „Yum Eggplants", die „köstlichen Auberginen", die eben aus Deutschland und nicht aus Thailand stammen, bei den Vorspeisen in gebackener, pürierter, gebratener und pulverisierter Form. Sie sind mit „Horapa"-Basilikum auf augenschmeichelnden cremefarbenen Steinzeug-Tellern mit einem Dekor „wie Trüffelscheiben", so der Fotograf, dekoriert. Das als Thai-Basilikum bekannte Kraut gibt den Auberginen eine süßliche Würze mit Anis- oder Lakritztouch mit auf den Weg. Wir erfreuen uns an den unterschiedlichen Texturen und Geschmäckern der Frucht, die miteinander am Gaumen spielen.
Suppe, die wie Soße genossen werden will
Eine gebeizte, rötliche Forelle lenkt den Blick auf einen zartblau schimmernden „Stiefmütterchenteller", der mich besonders entzückt. Die belgische Keramik ist ein Hingucker, und wir sind nicht die ersten, die das bemerken, weiß Dalad Kambhu. Da das Licht direkt von oben auf das Gericht fällt, kommt auch das gegrillte Forellenfilet nebenan optisch zur Geltung. Unterschiedliche Kräuterdressings kitzeln mal die Würze der gegrillten Forelle, mal die Zartheit der gebeizten Schwester heraus. Ein guter Freund im Glas dazu ist der 2016er Graue Burgunder Kabinett trocken. Der Weiße aus dem Hause Arndt Köbelin ist apfelig frisch, einen Tick mineralisch und verbirgt seine sonnige Herkunft vom badischen Kaiserstuhl nicht. Der dritte „Starter" im Bunde ist „die unfertige Rolle", wie die Begleiterin anmerkt. Sie übt sich bei der Endfertigung in Fingerfertigkeit: Ein Reispapierblatt ist mit einem Lollo-Rosso-Salatblatt und gebratenem Bio-Schweinhack zu belegen, straff und ohne Risse im elastischen Nudelblatt zu rollen und kleckerfrei zu verzehren. Eine würzige, saftig-fleischliche Spielart der Sommerrolle findet anschließend den Weg in unsere Münder.
Unsere Befürchtungen, bei einem authentisch thailändischen Abend mit einer unkontrollierbaren Schärfeattacke konfrontiert zu werden, treten erstaunlicherweise nicht ein. Die Gerichte sind von unterschiedlich dosierter und fein nuancierter Schärfe, mal pfeffrig, mal fruchtig-chiliartig, mal konstant pfeffrig-scharf. Überraschenderweise hat das nichts mit der Menge der sichtbaren roten oder grünen Ringe zu tun – auf einem sämigen Rührei etwa liegen in Alarmrot etliche Ringe einer Chilischote. Sie erweisen sich als vergleichsweise dekorativ, mild und harmlos. Doch zu der „Gang Orm", einer Gemüsesuppe mit Pilzen, Kohl und Koriander, bekommen wir die erste offizielle Warnung dazu gereicht: „Das ist unser schärfstes Gericht", merkt Maurice Zeitschel vom Service an. „Wir empfehlen, die Suppe eher wie eine Soße zum Reis zu verwenden." Guter Tipp, denn die „unfreiwillige Gemüsesoße", die aber tatsächlich die Konsistenz einer klaren, stückigen Suppe hat, zieht konstant scharf durch.
Das gehackte, mit Austernsoße eher cremig angerichtete Rührei auf gegrillter Gurke und Thai-Peperoni besänftigt unsere Geschmackspapillen wieder. Üblicherweise wird an dieser Stelle im Menü gewählt – entweder dieses „Tang Pad Kai" oder ein „Kaprao Oktopus". Wir durften von beidem kosten. Ein konfiertes und gegrilltes Oktopusbein lagert auf frittierten Kohlrabi und einer orangefarbenen Chili-Soße, die das zarte Tintenfischbein mit fruchtiger Schärfe umrahmt. Als durchaus schärfeempfindliche Deutsche kann ich sagen: Ich bin im „Kin Dee" gut aufgehoben. Ein plumpes „Fauch", das die Geschmacksnerven dauerhaft lahmlegt, gibt es nicht. Dafür die Erfahrung, wie unterschiedlich akzentuiert und moduliert Schärfe sein kann. Keine Frage, so gehört es sich für „gutes Essen", wie der Name des Restaurants auf Deutsch übersetzt bedeutet.
Das war bei dem von den Gästen sehr geschätzten Vorbesitzer Edd nicht anders, der sich nach mehr als einem Vierteljahrhundert thailändischen Kochens schließlich zur Ruhe gesetzt hatte. Es kam zum glücklichen Aufeinandertreffen der Macher der Grill-Royal-Gruppe – Stefan Landwehr, Boris Radczun und Moritz Estermann – mit dem Restaurant, in dem seit jeher thailändisch gekocht wurde, sowie mit Dalad Kambhu. Landwehr konnte die Koch-Autodidaktin mit Ambitionen in New York davon überzeugen, ihren Traum vom eigenen Restaurant in Berlin zu verwirklichen. „Ich wollte das schon immer", sagt Kambhu. „Hätte ich das in New York gemacht, wäre es eine Entscheidung für mindestens die nächsten zehn Jahre dort gewesen."
Miniküche limitiert das Speisenangebot
So packte sie ihre Koffer, zog vor zwei Jahren an die Spree, tüftelte ihre Ideen vom „guten Essen" aus und verwirklicht diese nun in ihrer klitzekleinen Profi-Küche. „Es passen einfach nicht mehr als drei Personen hinein." Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, warum es ausschließlich ein Menü für 45 Euro und keine einzelnen Gerichte gibt. So sind die Arbeitsabläufe besser plan- und koordinierbar. „Ich habe viele Ideen, aber dafür bräuchten wir wirklich eine größere Küche." Wir sind mit den sieben Gängen zum Teilen und Eintauchen in eine doch weitgehend unbekannte kulinarische Welt jedenfalls sehr glücklich und zufrieden. Nicht zuletzt, weil die Vorgabe uns die Qual der eigenen Wahl bei geringem Wissen über die Finessen thailändischer Küche einfach erspart.
„Du musst dich mit dem Essen wirklich wohlfühlen. Darum geht es doch", sagt Kambhu, um sogleich wieder in ihre Winz-Küche zu verschwinden und zwei ausgewählte Hauptgerichte zuzubereiten: einmal eine geschmorte Rinderschulter mit Zucchini und Aubergine in grünem Curry sowie geschmortes und geröstetes Wildschwein mit Rosenkohl in einem schärferen roten Curry. Thailändisch ist dabei auch die Kochtechnik: Es wird nicht „sous vide" gegart, sondern das Fleisch kommt im ganzen Stück in einen Topf. Gebraten wird anschließend im Wok – ein „Mitbringsel" der Chinesen. Die Gerichte sehen wieder so schön aus, dass der Fotograf länglich Zeit darauf verwendet, sie ausdrucksvoll in Szene zu setzen. Die Begleiterin wandelt mit sehnsuchtsvollem Blick den Spruch vom Wandspiegel ab: „Es ist schmerzlich, das Essen auf dem Teller vor mir zu sehen, es aber nicht essen zu können." Dafür bekommt sie mit würzigem Fleisch jedoch gleich doppelten Genuss, der anschließend nur noch von Rotweinbirne mit Muscovadozucker und Limettencreme zum Dessert getoppt wird.