Im vierten Teil unserer Serie „Die sieben Naturwunder" stellen wir die riesigen Wasserfälle an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien vor. Sie sind dreimal so groß wie die berühmteren Niagarafälle und erstrecken sich mit fast 300 Kaskaden über 2,7 Kilometer.
Fragt man nach dem größten Wasserfall der Erde, tippen viele garantiert spontan auf die Niagarafälle – und liegen damit falsch. Die Niagarafälle sind zwar bekannter, aber viel schmaler als die Wasserfälle des 1.320 Kilometer langen südamerikanischen Flusses Iguazú, der in Brasilien auf Portugiesisch Iguaçu genannt wird, im Dreiländereck zwischen Paraguay, Brasilien und Argentinien. Die Victoria-Fälle an der Grenze zwischen Simbabwe und Sambia sind zwar höher, aber ebenfalls deutlich schmaler.
Der Iguazú bildet die Grenze zwischen dem brasilianischen Bundesstaat Paraná und der argentinischen Provinz Misiones. Kurz vor seiner Mündung in den Rio Paraná, dem nach dem Amazonas zweitgrößten Strom Südamerikas, lässt er seine gigantischen, auf 20 größere und mehr als 255 kleinere Kaskaden verteilten Wassermassen aus einer Höhe von bis zu 82 Metern mit einer riesigen Sprühnebel-Wolke sprichwörtlich ohrenbetäubend in die Tiefe stürzen. Das Spektakel inmitten der beiden von der Unesco Mitte der 80er-Jahre zum Weltnaturerbe erklärten Nationalparks Iguazú (Argentinien) beziehungsweise Iguaçu (Brasilien) lockt jährlich mehr als vier Millionen Touristen an.
Hauptattraktion ist die Teufelsschlucht
Da sich 80 Prozent der Wasserfälle auf argentinischer Seite befinden, sollte man sich für einen perfekten Panoramablick am besten auf dem brasilianischen Ufer der Cataratas do Iguaçu postieren. Um möglichst nah an die Wasserfälle mit Hilfe von diversen Metallstegen und Aussichtsplattformen heranzukommen und die Hauptattraktion, die Teufelsschlucht (Garganta del Diablo), hautnah besichtigen zu können, muss man sich vom argentinischen Ufer aus auf den Weg machen. Man hat also die Wahl zwischen purer Augenlust oder einem Erlebnis für alle anderen Sinne: dem tosenden Rauschen für die Ohren, dem frischen Duft von Wasserdampf in der Nase und der kitzelnden Feuchtigkeit auf der Haut. Für gut betuchte Touristen werden auch Hubschrauberrundflüge angeboten. Und es besteht zudem die Möglichkeit, die Wasserfälle mit einem stark motorisierten Schlauchboot über schlingernde Stromschnellen anzusteuern – erfrischende Abkühlung unter der Kaskaden-Gischt absolut garantiert. Interessant ist auch die kostenfreie Überfahrt zur kleinen Isla de San Martín, die vollkommen von Fluss und Wasserfällen umgeben ist. Von der Spitze der kleinen Felseninsel, die man über eine steile Treppe erreicht, kann man einen grandiosen Rundblick auf den Urwald und die Kaskaden genießen. Die Wassermenge an den Fällen, die der spanische Conquistador Álvar Núñes Cabeza de Vaca um 1540 als erster Europäer entdeckt hatte, schwankt, je nach Niederschlägen, zwischen 1.700 Kubikmetern und 7.000 Kubikmetern pro Sekunde, kann im Extremfall sogar 12.000 Kubikmeter pro Sekunde erreichen.
Mythos um Schlangengott Mboi
Die Schlucht, in die das Wasser heute stürzt, ist vor Millionen von Jahren durch tektonische Ereignisse wie Plattenverschiebungen und Vulkanausbrüche entstanden. Die indianischen Ureinwohner namens Guarani haben dafür allerdings eine andere, mythische Erklärung. Der Schlangengott Mboi war es gewohnt, dass ihm jedes Jahr eine Jungfrau überlassen wurde. Als eines Tages eine von ihm Auserwählte gemeinsam mit ihrem Geliebten die Flucht in einem Kanu flussabwärts antrat, soll Mboi wutentbrannt eine Schlucht in den Iguazú (aus dem Guaranischen übersetzt etwa: großes Wasser) geschlagen, die Seele des Mädchens in einen Felsen und den Geliebten in einen Baum verwandelt haben.
Der Wasserdunst des Iguazú bildet den Nährboden für eine reichhaltige Flora und Fauna in den beiden umgebenden, von dichtem Urwald geprägten Nationalparks. Über 2.000 geschützte Tier- und Pflanzenarten sind hier zu finden. Darunter allein 800 Schmetterlingsarten. Dazu Jaguare, Pumas, Ozelote, Nasenbären, Tapire, Affen, bunte Papageien, Kolibris, Tukane oder Kaimane.