Was jahrzehntelang ein modisches No-Go war, hat sich diesen Winter in einen Mega-Trend verwandelt: Weiße Schuhe sind absolut angesagt – und zwar alle Modelle von Stiefeln oder Ankle Boots bis hin zu Pumps oder sogar Clogs.
Selten war sich die hiesige Fashion-Community so einig. Und das ausgerechnet bei einem Thema, das reichlich Potenzial für divergierende Meinungen bietet. Denn plötzlich schwärmt alle Welt von weißen Schuhen – und zwar in allen möglichen Arten, darunter sogar hüfthohe Stiefel oder Ankle Boots. Die gleiche Community hatte sich noch vor wenigen Monaten schon allein beim Gedanken an weiße Footwear regelrecht geschüttelt. Ausgenommen natürlich die schneeweißen Sneaker, die schon seit Jahren nicht nur aufgrund des sportiven Streetstyles, sondern auch dank zahlloser Designer-Umsetzungen salonfähig geworden sind. Aber ansonsten galten weiße Schuhe als absolute modische No-Gos, allenfalls als Teil der Hochzeitsrobe oder der Krankenhauskleidung geduldet.
Sie passen – genau wie Schwarz – einfach zu allem
Beim Versuch, den historischen Ursprung dieses Verdikts zu ergründen, tauchen eigentlich immer nur jede Menge Plattitüden auf. Demnach waren weiße Schuhe trashig-prollig angehauchten Damen vorbehalten, so etwas wie deren persönliches Markenzeichen. Und schlimmer noch: Es fiel immer wieder der Begriff Rotlichtmilieu. Weil weiße Stiefel und Stiefeletten als laszive Arbeitskleidung von Prostituierten besonders geschätzt würden.
Nur mal angenommen, dass all diese Vorurteile gegen weiße Schuhmode zu Recht jahrzehntelang gehegt und gepflegt wurden. Dann muss natürlich die Frage erlaubt sein, warum die vernichtende Abstempelung diesen Winter nicht nur leicht retuschiert, sondern komplett ausradiert wurde? Die Antwort darauf ist wenig überzeugend, denn letztlich wird nur darauf verwiesen, dass eben Trends kommen und gehen, die Designer halt Saison für Saison auf der Suche nach Neuem oder Altbewährtem in neuem Gewand sind. Und diesen Winter nun mal weiße Schuhe an der Reihe sind, die in so gut wie allen Kollektionen vertreten sind und daher so etwas wie den Mega-Trend in der aktuellen Damenschuhmode darstellen.
Einer Hirnwäsche ähnlich scheinen jegliche Bedenken gegen weiße Schuhe restlos verschwunden zu sein. Stattdessen wird einvernehmlich darauf hingewiesen, dass Weiß ja genauso wie Schwarz eine Farbe sei, die zu allem passt, mit allem kombiniert werden kann. Tolle Erkenntnis, nur war das eigentlich immer schon so gewesen. Hätte auch früher schon als entscheidender Pluspunkt ins Spiel gebracht werden können, um den Bannfluch gegen weiße Schuhe aufzuheben. Der sogar dafür verantwortlich war, dass in der US-Komödie „Serial Mom – Warum lässt Mama das Morden nicht?“ (1994) die wegen mehrfachen Mordes vor Gericht stehende Protagonistin Beverly Sutphin alias Kaathleen Turner nach dem mit Freispruch endenden Prozess eine der weiblichen Geschworenen umbrachte, weil sich diese die Unverschämtheit erlaubt hatte, weiße Schuhe zu tragen. Was in den USA, dem Produktionsland des Streifens, im Unterschied zu Deutschland gar nicht unbedingt als Modesünde angesehen wurde (selbst Disneys Daisy Duck trug häufiger weiße Schuhe).
Zuletzt in den 60ern und 70ern angesagt
Aber dort galt bis diesen Winter die ziemlich verbindliche Fashionregel, dass sämtliche weiße Klamotten, auch die Schuhe, nach dem Labor Day bis zum Frühjahr im Kleiderschrank zu verschwinden hatten. Im Jahr 1894 war der Labor Day als Feiertag festgelegt worden, der seitdem immer am ersten Montag im September begangen wird. Der Filmprozess gegen die mordende Hausfrau fand nach diesem Fix-Datum statt. Das dereinst vermutlich aus rein praktischen Gründen festgelegt wurde. Weil der Feind des Weißen seit jeher der Schmutz ist. Und die Herbst- und Wintermonate von daher mit ihrem Schlamm, Morast oder Schneedreck weißer Kleidung und vor allem weißen Schuhen nicht gerade zuträglich sind.
Auch in Europa hatte es vor rund 50 Jahren schon mal eine Dekade gegeben, in der weiße Schuhe, genauer gesagt knielange Stiefel mit Mini-Absatz, hautengem Schaft und eckiger Zehenkappe, modisch absolut angesagt gewesen waren. Damalige Stil-Ikonen wie Twiggy, Brigitte Bardot oder Uschi Obermeier besaßen mehrere Exemplare der „Gogo-Boots“, die meist nicht nur in unschuldigem Weiß, sondern auch noch in Weiß-Lack daherkamen. Der damalige Mode-Zar André Courrèges hatte die Schuhe 1964 kreiert, die bis in die 1970er-Jahre von jungen Damen zu ultra-kurzen Röcken oder Minikleidern getragen wurden. Dieser sexy Look sorgte seinerzeit für gehörig Aufruhr in konservativen Gesellschaftskreisen, die weißen Stiefel wurden damit Teil der sich auch in der Kleidung vom Establishment distanzierenden jugendlichen Protestbewegung. Nach dem Ende der Revolte wurden Courrèges’ innovative Boots Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre von weißen Plateau-Stiefeln abgelöst. Diese jemals getragen zu haben, sollten viele Ladys später als ihren größten persönlichen Mode-Faux-Pas eingestehen. Vermutlich rührt daher letztlich der schlechte Ruf der weißen Schuhe.
Den schlechten Ruf langsam abgelegt
2011 und 2012 hatten Labels wie Céline (Stiefeletten), Alexander McQueen (futuristische Fellstiefel), Balmain (Boots und Ankle Boots), Chanel (Stiefeletten) oder Mary Katrantzou (Ankle Boots) erste vorsichtige Versuche gestartet, weißen Schuhen zu einem Comeback zu verhelfen. 2013 trauten sich Promi-Stars wie Karolina Kurkova, Blake Lively oder Beyoncé mit blütenweißen Heels auf den roten Teppich. Trendsetterinnen wie Carine Roitfeld oder Miroslava Duma zeigten sich mit weißen Pumps auf den Fashion Weeks. Doch all das war offenbar nicht ausreichend, um aus einem kleinen Flämmchen ein Modefeuerwerk zu entfachen. In der Sommersaison 2017 warteten dann mit Victoria Beckham und Céline gleich zwei prominente Labels mit für die Jahreszeit ungewöhnlichem Schuhwerk auf: Stiefel in strahlendem Weiß.
Nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was diesen Winter die Designer für ihre kauffreudigen Kundinnen bereithalten. Sie lassen doch nicht nur Stiefel oder Stiefeletten in Weiß erstrahlen, sondern so ziemlich alle Arten von Schuhmodellen. Um jeglichem Billig- oder Trash-Image vorzubeugen, gibt „Harper’s Bazaar“ seinen Leserinnen den dringenden Rat, möglichst nur hochklassige Schuhe zu erwerben: „Mit weißen Schuhen bewegt man sich auf ganz dünnem Eis. Nicht nur farblich, sondern ebenso stilmäßig. Deswegen gilt: Keine Kompromisse bei der Qualität. Vintage ist ok, Plastik ist ein No-Go.“ Die Investition scheint sich zu lohnen, denn beim ersten Blick in die Sommerkollektionen 2018 konnten wir eine Fortsetzung des Trends feststellen.
Als kleine Hilfestellung möchten wir nach Schuharten getrennt einige Designer mit den schönsten Modellen aufführen:
Boots/Stiefel: Balenciaga (knalleng wie zweite Haut), Victoria Beckham, Dries Van Noten, Marc Jacobs, Narciso Rodriguez, Adam Lippes, Ellery, Joseph, Mango Ankle Boots/Stiefeletten: Blumarine, MSGM, Derek Lam, Gabriela Hearst, Gucci, Dear Frances, Moschino, Dries Van Noten, Laurence Decade, Yeezy.
Pumps: Victoria Beckham, Maison Margiela, Dries Van Noten, Emilia Wicksteak, Suzanne Rae, Tibi (Slingback-Pumps), Topshop (Slingback-Pumps), Ellery (Slingback-Pumps), Dorateymur, Reike Nen, Attico, Mansur Gavriel, Asos, Stuart Weitzman, Maryam Nassir Zadeh, Donald J. Pliner, Yull Yie, Off-White, Chloé, Attico, Fabrizio Viti, Calvin Klein, Valentino, Manolo Blahnik
Sandalen/Sandaletten/Mules: Lanvin, Attico, Jason Wu, Marques’ Almeida, Boyy, J. W. Anderson, Jimmy Choo, Zara Loafer: Dorateymur, Gucci.