An den Grünen lag es nicht, dass Jamaika in Berlin nicht zustande kam. Für den nächsten Anlauf soll der bevorstehende Parteitag die ersten Weichen stellen. Streit um Personal und grüne Grundsätze sind vorprogrammiert.
Schon auf der letzten Fraktionssitzung vor dem Parteitag lag eine gewisse Spannung in der Luft, etwas, das es seit gefühlt einem Jahr bei den Grünen nicht mehr gab. Das „Piep-piep-piep, wir haben uns alle lieb“ ist vorbei. Nach den Kuschelparteitagen kam erst Wahlkampf, dann die Jamaika-Sondierungen – und danach ein ganz schwerer Blues, wie es der designierte Parteivorsitzende Robert Habeck in FORUM auf den Punkt brachte. Auch der ist nun langsam vorbei, die Grünen sind im tristen Januar 2018 wieder in der Realität angekommen. Weitere knapp vier Jahre in der Opposition, und das auch noch als kleinste Fraktion, trotz verbessertem Wahlergebnis. Es gab schon schönere Aussichten.
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die nach gutem Wahlkampf mittlerweile recht selbstbewusst und resolut in der Fraktion auftritt, gibt dabei die Marschrichtung vor. Mit-Fraktionschef Anton Hofreiter (beide mit sehr mäßigem Ergebnis gerade wiedergewählt) tapert hinterher und sagt ab und zu auch mal was, wird aus der Fraktion berichtet. Dass „der Toni“ überhaupt noch da vorne sitzen darf, hat er dem grünen Parteiproporz zu verdanken. Er gehört zum linken Flügel, Göring-Eckardt ist „Reala“. Viele in der Fraktion hätten lieber den scheidenden Parteichef Cem Özdemir als Fraktionschef gesehen. Der „anatolische Schwabe“ (Özdemir über Özdemir) ist parteiübergreifend derzeit einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.
Viele wollten Özdemir als Parteichef behalten
Toni Hofreiter kommt aus Bayern, und dort nimmt der Landtagswahlkampf langsam Fahrt auf. Entschieden wird der auch im Bierzelt, und dort geht Hofreiter schlicht unter, liest alle Reden vom Zettel ab, Spontaneität gleich Null. Özdemir dagegen kann Wahlkampf – und das nicht nur im Bierzelt, das hat er während der Bundestagswahl bewiesen. Doch Özdemir ist Realo, und zwei von der Sorte als Fraktionsspitze gehen nun mal nicht, auch wenn es im Wahlkampf hingehauen hat. Damit steht jetzt erstmalig bei den Grünen ernsthaft die Frage im Raum, ist diese Mann/Frau-, Links/Realo-Einteilung überhaupt noch zeitgemäß?
Damit nicht genug. Die jetzt nachrückende Generation der unter 50-Jährigen geht noch einen Schritt weiter und wird auf dem Parteitag ein urgrünes Heiligtum zumindest vorrübergehend aushebeln: die Ämtertrennung. Sie war vor fast vier Jahrzehnten für die Gründungsmütter und -väter um Petra Kelly, Jutta Ditfurth, Gert Bastian und Otto Schily die ganze große Errungenschaft gegen das politische Establishment. Keiner darf zwei Ämter auf einmal haben. Damals wurde auch noch alle zwei Jahre rotiert, was zusätzlich viele große politische Talente verschlissen hat. Die Rotation ist längst Geschichte, nun soll es der Ämtertrennung an den Kragen gehen.
Auslöser ist die neue, ganz große Hoffnung der Grünen, der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck. Es gilt als sicher, dass er der neue Grünen-Chef wird. Doch dazu muss der Passus über die Ämtertrennung zumindest ausgesetzt werden – Habeck ist Minister in Schleswig-Holstein. Mehr ist derzeit der grünen Basis und vor allem dem linken Flügel nicht zuzumuten.
Doch der 48-jährige Habeck, überzeugter Realo im Softigewand, geht noch einen Schritt weiter. Bereits am Rande des Parteitags im vergangenen November forderte er, die Proporz-Regelung endlich aufzugeben, um nicht länger politische Talente zu blockieren. Ob er damals schon die Reala Annalena Baerbock als Mitvorsitzende im Hinterkopf hatte, bleibt sein Geheimnis, doch die Diskussion war losgetreten.
Spätestens als Baerbock im Dezember ihre Kandidatur erklärte, war es zum einen um die Parteilinke Simone Peter geschehen. Sie verzichtet nach vier Jahren auf eine erneute Kandidatur. Die Grünen haben nun eine Flügel-Debatte am Hals, die sie nicht wollen, schon gar nicht jetzt, wo es um die Geschlossenheit in der Opposition geht. Darum wurde ganz schnell die Parteilinke Anja Piel aus Niedersachsen zum Kandidieren animiert. Nicht wenige bei den Grünen fragten sich: „Anja wer?“. Die 52-jährige Fraktionschefin aus dem niedersächsischen Landtag ist bundesweit völlig unbekannt. In Hameln machte sie mal Schlagzeilen, nachdem sie sich bei der Debatte um die Gymnasien schwer im Ton vergriffen hatte und anschließend entschuldigen musste. Das war’s auch schon. Da werden Erinnerungen wach an die Kandidatur der jetzt scheidenden Grünen-Chefin Simone Peter, die ebenfalls vom linken Flügel nominiert wurde, mangels Alternativen. Auch sie war und blieb mehr als farblos, in der Bundestagsfraktion überhaupt nicht vernetzt, brillierte sie bundesweit in den Schlagzeilen nur einmal richtig – und das ziemlich negativ mit ihrer Kritik an der Kölner Polizei nach der Silvesternacht 2015.
Nicht wenige fragten sich: „Anja wer?“
Nun befürchten die Realos bei den Grünen, dass sich dank Proporz die Geschichte wiederholt. Ein bundesweit erfahrener Spitzenpolitiker mit hohem Bekanntheitsgrad, Robert Habeck, übernimmt den Parteivorsitz. An seiner Seite eine völlig unbekannte Anja Piel, deren Name kaum jemand außerhalb Niedersachsens jemals gehört hat, die obendrein weder in der Partei, noch im Bundestag vernetzt ist. Sie hat neben Habeck nicht den Hauch einer Chance, sich als Parteivorsitzende zu profilieren, es sei denn, Habeck nimmt sich völlig zurück. Doch damit wäre wiederum nun der Partei überhaupt nicht gedient.
Auf Nachfrage hält man sich in der Bundestagsfraktion dazu zurück, weder Jürgen Trittin noch Anton Hofreiter wollten sich äußern. Ihre Beweggründe sind verständlich. Auch ihnen sind vermutlich die erheblichen Unterschiede der beiden Kandidaten nicht entgangen. Doch Trittin und Hofreiter haben offenbar keine Lust, die Diskussion um den Parteiproporz und damit eine Flügel-Debatte noch anzuheizen. Einzig Claudia Roth verteidigt im FORUM-Gespräch die Flügel mit einem Ausflug in die Zoologie. „Haben sie schon mal einen Vogel gesehen, der mit einem Flügel fliegt? Eben, und darum sind Flügel wichtig. Die, die da rufen, es gibt keine Flügel mehr, die sind meist selbst sehr fest in einem verankert“. Schönen Gruß an Robert Habeck.