Korea und Spanien, Gesang, Kochkunst und Illustration: Im „Kochu Karu" treffen die unterschiedlichsten Länder, Künste und kulinarischen Traditionen in ungewohnten Kombinationen aufeinander.
Im „Kochu Karu" kann es passieren, dass Bin Lee-Zauner Opern-Arien oder Zwanziger-Jahre-Lieder singt und ihr Partner José Miranda Morillo Gerichte wie „Sepia Dumplings mit Mojo Verde" mit frei gemixten Komponenten aus der asiatischen und der mediterranen Küche auf die Teller zaubert. Das Besitzerpaar bringt in jedem Fall seit beinah sechs Jahren vielfältige Talente in sein Restaurant am östlichen Zipfel der Eberswalder Straße ein.
Da sind ja schon „Hänsel und Gretel"! „Bini", wie Bin Lee-Zauner allenthalben genannt wird, hat uns das nach den Märchen-Geschwistern benannte Pilzgericht serviert. Aus einer Kakao-Erde mit Shiitake-Marmelade, gegrillten Seitlingen und eingelegten Sommertrüffeln sprießt ein kleiner Enoki-Wald. Die schlanken asiatischen Pilze sind ein cremeweißer Hingucker. Sie schmecken leicht metallisch und ergänzen die krümelige braune „Erde" um eine bemerkenswerte Note. Sie wird aus getrockneten und gemahlenen Endstücken der Pilze und gestampften Kakaobohnen gefertigt und gibt den Pilzaromen eine solide Grundlage.
Wir folgen Binis Empfehlung und nehmen ein Glas vom 2017er Blanc de Noir vom Weingut Müller-Dr. Becker aus Rheinhessen dazu. „Ich muss immer meine 450 Flaschen reservieren", sagt sie. „Es gibt nur 2.000 davon." Wir sind glücklich mit diesem frischen, fruchtigen Schwarzriesling, der das feine Aroma dieser und der folgenden Speisen mit duftigen Himbeer- und Aprikosennoten hervorragend unterstreicht.
In zuversichtlichem Gelb-Orange leuchtet uns ein weiterer Tapas-Teller an. Eine „Tortilla Tamago" lässt sich von in Safran gebratenen kleinen Garnelen und koreanischer Chili-Mayonnaise-Tupfen umrahmen. „Tamago" ist ein Eierstich, der im „Kochu Karu" als fluffiges Soufflé gebacken gereicht wird. Fermentierte Chilipaste gibt der Mayonnaise einen feurigen Drive. Die Tortilla ist ein „Eisbrecher-Gericht", wie Bin Lee-Zauner erklärt.
Butterzart gegartes Fleisch
Trotz inzwischen größerer Bekanntheit von Bibimbap, Bulgogi und Kimchi in Berlin ist die ausgefeiltere koreanische Küche für viele eine große Unbekannte. Die in den 70er-Jahren eingewanderten Krankenschwestern und Bergleute hätten vor allem Hausmannskost aus der Heimat mitgebracht. „Wenn jemand nicht so recht weiß, sage ich immer: Probieren Sie erst einmal einen Tapas-Teller. Wenn es Ihnen nicht schmeckt, müssen Sie nicht aufessen", erzählt Bini lächelnd. „Das ist aber noch nie passiert." Vielleicht haben die Gäste entdeckt, dass Rippchen mit Rotkohl auch auf Koreanisch funktionieren? „Galbi", Rinder-Rippchen, mit Rotkohl-Kimchi, Gingko-Nüssen und Sherry-Jus sind vielleicht nicht so weit von einem „ordentlichen" Tellergericht entfernt wie gedacht.
Die Farbe Orange, meist in Gestalt und Geschmacksrichtung Mandarine, spiele in der koreanischen Küche eine große Rolle, verrät uns Bini. „Mandarinen und Birnen sind unsere Lieblingsobstsorten. Die kauft man nicht pfund-, sondern kistenweise." Während beim Dessert ein Sorbet aus der echten Mandarine eine tragende fruchtige Rolle spielt, kommt beim Chicorée mit Buchweizen-Panade die Zitrus-Schwester Yuja zum Einsatz. In Japan heißt die leicht gestaucht aussehende Frucht Yuzu, und sie macht gerade hierzulande mit fein modulierten Aromen kulinarische Karriere. In der koreanischen Küche wurde sie schon immer von Köchen geschätzt, weiß José Miranda Morillo: „Sie verliert beim Erhitzen nicht ihren Geschmack." Kein Wunder also, dass der Küchenchef sie zu Gel einkochte, das den leicht bitteren und mit Buchweizen-Porridge eingekleideten Chicorée frisch begleitet. Nussig-warmes Getreide, etwas Popcorn für den Knack, Frucht, Gemüse und Bitteres.
Dieses vegane Gericht sei typisch für die buddhistische Tempelküche, der sich das „Kochu Karu" verbunden fühlt, erzählt José. Den unspektakulär bräunlich umhüllten Chicorée, nur an der charakteristischen Lanzenform erkennbar, findet die Begleiterin mit seinem Kontrast von frisch, bitter und fruchtig „aufregend". „Das ist so ein Gericht, bei dem du hängenbleibst und dich fragst: ‚Hey, was ist das jetzt?‘" In der Tapas-Abteilung auf der ersten Seite der mit zehn Vorspeisen und sieben Hauptgerichten angenehm übersichtlich gehaltenen Karte ist es gut aufgehoben. „In der koreanischen Küche ist der Bittergeschmack wichtig, weil er den Appetit anregt", erklärt José.
Seine schwerpunktmäßig spanische Seite kehrt der gebürtige Rheinländer mit den andalusischen Wurzeln im Hauptgang hervor. Ein schön durchwachsenes Stück vom Ibérico-Schwein wurde sous vide gegart und geflämmt, mit Pilz-Kakao-Erde, Edamame und Buchenpilzen bedeckt. Auf einem Spiegel vom Jus mit Süßholz und Sancho-Pfeffer hockt eine Nocke Pesto aus Zitronenmelisse und Cashews. Das Fleisch könnten wir glatt ohne Messer essen: Es ist butterweich, aber genau so kompakt, dass es erst beim Teilen zerfällt.
Asien grüßt mit dem Anis-Touch vom Süßholz und der zitronigen Schärfe des Sancho-Pfeffers. Auch in diesem Gericht spielen die unterschiedlichen Aromen und Texturen erneut ein höchst erfreuliches und europäische Gaumen keineswegs überforderndes Pingpong miteinander. Der japanische Verwandte des Szechuan-Pfeffers ist wie dieser keine Piper-Art, sondern ein Zitronengewächs, dem die Richtung „taub-scharf" zugeschrieben wird.
Ein Besuch im „Kochu Karu" bleibt übrigens preislich im Rahmen – das Ibérico-Schwein kostet 21 Euro. Die Tapas liegen im Schnitt bei neun oder zehn Euro, Hauptgerichte zwischen zwölf und 22 Euro. Die Desserts werden für acht Euro serviert.
Vor siebeneinhalb Jahren, als eine dem dafür üblichen Alter entwachsene Praktikantin bei ihm in der Küche stand, nahm José Miranda Morillos Weg nach Stationen in Frankreich und in Hotel-Restaurants wie im Savoy oder in Hyatt Hotels bald darauf noch einmal einen anderen Abzweig. Bin Lee-Zauner, ausgebildete Opern- und Konzertsängerin, hatte sich zum Ziel gesetzt, nicht nur gut, sondern auch professionell kochen zu lernen und „irgendwann ein eigenes Restaurant zu eröffnen". Montags bis freitags probte sie damals für ein Projekt im „Radialsystem", samstags und sonntags stand sie bei José in der Küche. Kein Wunder, dass José der Sängerin mit dem ambitionierten Wochenprogramm bald bedeutete: „Ganz langsam, junge Frau!"
Das hat so mittelgut geklappt – mit dem „Kochu Karu" eröffneten die beiden im April 2012 ihr erstes eigenes und gemeinsames Restaurant. José leitet das dreiköpfige Team in der offenen Küche, ist längst in der koreanischen Tempelküche zu Hause und lässt sich bei Besuchen der befreundeten buddhistischen Nonne Jungkwan beim gemeinsamen Kochen zu neuen Gerichten inspirieren.
Bini ist Gastgeberin und im Service dafür zuständig, dass sich die Gäste auf den 34 Plätzen im rot-schwarz akzentuierten Ambiente hinter den hohen Scheiben wohlfühlen. „Es ist nicht unähnlich zur Bühne", sagt sie. Wenn sie „draußen" steht, geht es darum, das Publikum glücklich zu machen. Die Opern- und Konzertbühnen sind dennoch bis heute ihr Zuhause: „Ich bin verrückt genug, das immer noch nebenbei zu machen."
Manchmal ist es die kleine Bühne, die den besonderen Auftritt ermöglicht: Jeden ersten Donnerstag im Monat kommen beim „SingMahl" im „Kochu Karu" die Liebhaber von Gesang und Kulinarik unter dem Motto „Bini singt, José kocht und ihr genießt!" zusammen.
Möglich, dass demnächst beim Valentinstag-Special die Crema Catalana mit Yuja, Mandarinen-Sorbet und „Lazos", einem spanischem Honig-Blätterteiggebäck, Frühlingsgefühle zu Dessert und Liebesliedern hervorlockt. Wir haben die leichte und intensiv fruchtige Creme unter der Karamellkruste genossen.
Beim Dessert „lesen" wir die Wände. Auf ihnen erzählt der Berliner Illustrator Ulrich Scheel auf allen vier Seiten des Gastraumes die frei interpretierte Geschichte des „Kochu Karu" – mit Fabelwesen, einem Tiger, Drachen und der Stadt Berlin als Weltkugel.
Wer sich lieber nur aufs Essen und Trinken konzentriert, wird von der kleinteiligen und freihändig ausgeführten Banderole nicht abgelenkt; die Zeichnung ist anregend und zurückhaltend zugleich. Wir verstehen nach einem Abend jedenfalls sehr gut, warum sich das Michelin-Männchen angesichts des „Kochu Karu" genüsslich die Zunge leckt und der Guide Michelin 2018 das Restaurant mit einem „Bib Gourmand" für seine „sorgfältig zubereiteten Speisen zu einem besonders guten Preis-Leistungs-Verhältnis" erneut bedachte.