Bei Berlin-Touristen beliebt, für Hobby-Historiker ein Muss: der ehemalige Führerbunker. Doch die Stadtführer haben ein Problem: Zu zeigen gibt es vor Ort nicht viel. Dennoch ist die Kundschaft beeindruckt.
Ein Ritual, das sich jeden Tag wiederholt, Montag bis Sonntag, zu jeder Jahreszeit, bei strömendem Regen oder bulliger Hitze: Ein Reisebus hält, Menschen steigen aus, stehen in der Getrud-Kolmar-Straße Ecke In den Ministergärten und starren ehrfürchtig auf den Asphalt gleich neben einem Parkplatz. Der begleitende Stadtführer sagt etwas wie „die wohl historischste Stelle Deutschlands", kann aber eigentlich nur auf eine Hinweistafel verweisen.
Hier also, achteinhalb Meter in der Tiefe, liegen die Überreste vom ehemaligen Führerbunker. Genau in der Mitte Berlins, zwischen Leipziger Platz und Brandenburger Tor.
Oberirdisch ist rein gar nichts zu erkennen, keinerlei Bunkerreste oder Bauten aus dem Dritten Reich sind zu sehen. Das Einzige, das übrig geblieben ist vom Führerbunker, ist eine viereinhalb Meter dicke Bodenplatte aus Stahlbeton. Und die liegt fast neun Meter unter der Straße.
Bis November 1989 war hier der Grenzstreifen. Genau über dem Führerbunker, auf Ost-Berliner Gebiet, verlief die Hinterlandmauer. Danach kam der Todesstreifen, an dieser Stelle fast 150 Meter breit. Und dann kam die Mauer nach West-Berlin. Bereits 1947 versuchten die Sowjets den Bunker zu sprengen. Mit mäßigem Erfolg: Die Dynamitladungen waren zu klein. Der Bau sackte zwar etwas in sich zusammen, war aber noch begehbar. 1984 beschloss die DDR-Regierung, den Bunker endgültig abzutragen. Die Ränder des Grenzstreifens an der Wilhelmstraße sollten bebaut werden.
Ende 1988 war es so weit: Nur besagte Bodenplatte blieb noch übrig. Zuvor vermaß die Staatssicherheit allerdings den gesamten Bau, Vor- und Hauptbunker, bis ins Detail. Historiker und auch Filmschaffende profitieren bis jetzt davon.
„Nur deswegen können wir heute überhaupt so genau die Dimensionen dieses Baus bestimmen und vor allem sagen, wie es in dem Bunker aussah", erklärt Sascha Keil von den „Berliner Unterwelten". Der Verein kümmert sich seit mehr als 20 Jahren um den Berliner Untergrund und erforscht vor allem professionell Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg.
Das mit dem Führerbunker hatte Vereinsgründer Dietmar Arnold lange ebenso wenig wie Sascha Keil auf dem Schirm. Alle dachten, dass von diesem Erdmonstrum gar nichts mehr zum Zeigen übrig sei und vor allem nichts mehr zum Erklären. Einzig ein Zeitzeuge, Rochus Misch, konnte damals noch persönlich Auskunft geben über die letzten Tage und Stunden im Führerbunker. Er war Mitglied der SS-Leibstandarte Adolf Hitlers und als SS-Oberscharführer für die Kommunikation im Bunker zuständig gewesen.
Eine Anfrage aus München ließ die Unterwelten-Profis aufhorchen: Filmproduzent Bernd Eichinger fragte an, ob sie nicht einen genauen Plan vom Führerbunker für die Vorarbeiten zum Film „Der Untergang" hätten. Daraus wurde ein Großauftrag, denn dank der Stasi-Vermessungen konnten die Männer vom Verein den Führerbunker für die Dreharbeiten in Teilen eins zu eins nachbauen.
Das offizielle Berlin ist vorsichtig
„Leider haben wir später nicht die Möglichkeit gehabt, diese Kulisse von der Constantin Film zu übernehmen. Das Angebot gab es", erzählt Sascha Keil. „Aber wir hatten keinen Platz. Außerdem war damals noch nicht die Zeit dafür. Wir hatten echt Muffensausen, dass das nach hinten losgeht."
Heute wäre eine Ausstellung mit nachgebauten Teilen des sogenannten Führerbunkers eine Sensation. Der Umgang mit der deutschen Geschichte hat sich inzwischen erheblich geändert. Das merkt der 46-Jährige immer wieder, wenn er Führungen macht. Da wird weniger mystifiziert als früher, es gibt keine Tabufragen mehr. Früher wären das Buch „Er ist wieder da" und der Film dazu undenkbar gewesen.
Doch den „Mythos Führerbunker" kann auch Sascha Keil nicht erklären. „Sicherlich hat der Film ‚Der Untergang‘ vor 14 Jahren den Hype mit ausgelöst", glaubt er. Aber es sei auch das Immense, diese ungeheuerliche Dimension des Verbrechens, das die Leute offenbar anziehe – auch wenn man an Ort und Stelle nichts sieht.
Um diese Faszination in geordnete und vor allem historisch korrekte Bahnen zu leiten, haben die „Berliner Unterwelten" in Absprache mit dem Grundstückseigentümer auf eigene Kosten eine Schautafel an den benachbarten Ministergärten aufstellen lassen. Dort wird versucht, in einem kurzen Abriss die Geschichte des Ortes darzustellen.
Die Stadt Berlin ist beim Umgang mit diesem Areal weiterhin vorsichtig, lehnt jeden Hinweis kategorisch ab. Aus Angst, das Areal über dem ehemaligen Führerbunker könnte zu einer Pilgerstätte für Neonazis werden, ähnlich wie das Hess-Grab im fränkischen Wunsiedel.
In den vergangenen fast 30 Jahren gab es jedoch keine größeren Zwischenfälle, obwohl in der Vergangenheit die NPD immer wieder nur einige hundert Meter entfernt durchs Brandenburger Tor marschiert ist. Doch auch diese Zeiten sind inzwischen schon lange vorbei.