Zu Hause sitzen, mit der Air Berlin-Tasse in der Hand. Markus Menslin hat 25 Jahre lang Herzblut in die Arbeit der Pleite-Airline gesteckt, Aufstieg und Absturz hautnah miterlebt. Wie bei vielen seiner Kollegen sitzen Schock und Verletzung über das abrupte Ende tief. Denn viele der Jobzusagen bewahrheiten sich nicht – ein Kampf zwischen Frust und Hoffnung.
Es ist still in der schicken 4-Zimmer-Wohnung in Berlin Lichtenrade. Markus Menslin hat sich gerade einen Kaffee gemacht, extra stark und mit viel Zucker. Den braucht der 52-Jährige jetzt. Dann setzt er sich an seinen Küchentisch und schüttelt den Kopf: „Ganz ehrlich: Ich fühle mich einfach leer. Total leer." Schuld daran ist sein ehemaliger Arbeitgeber, die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin. 25 Jahre war Menslin mit Herzblut dabei, war unter anderem Stationsleiter und Verkehrsleiter vom Dienst am Flughafen Tegel. „Ich habe alles für meine Airline gemacht, falls nötig auch 24 Stunden am Stück gearbeitet." Seit kurz nach Weihnachten ist das Vergangenheit, am 28. Dezember flatterte die fristlose Kündigung ins Haus. Ein Schock: „Das Schreiben war völlig herzlos, ohne jedes persönliche Wort." Menslin holt den Brief von seinem ehemaligen Arbeitgeber aus einem Ordner, kann seine Wut kaum zurückhalten: „Ich fühle mich schlichtweg betrogen."
Mit diesem Gefühl steht Markus Menslin nicht allein da. Viele der zuletzt rund 7.000 Air Berliner fühlen sich nach der Insolvenz und dem Verkauf an die Lufthansa verschaukelt. Trotz Jobzusagen durch den Lufthansa-Billigcarrier Eurowings müssen sie sich einem neuen Bewerbungsverfahren stellen. Jobs gibt es vor allem in Köln oder im Ausland – nicht aber in Berlin. Verträge werden nicht etwa in Deutschland geschlossen, sondern mit der Eurowings in Österreich. Und dort wird nicht nur schlechter bezahlt, auch deutsche Tarifverträge gelten nicht. Wie viele der ehemaligen Air Berliner tatsächlich gewechselt sind, ist unbekannt. Die Pressestelle von Eurowings in Köln hüllt sich auf Nachfrage in Schweigen.
Dazu kommt die emotionale Bindung: „Ich habe sogar meine Frau im Dienst kennengelernt", erzählt Menslin. Rückblende: Romy (38) und Markus lernen sich vor gut 15 Jahren auf der Party eines Kollegen kennen. Sie eine Stewardess, er der Manager am Boden – zwischen den beiden funkte es. Heute hat die Familie „mit Kerosin im Blut" zwei Kinder im Alter von 13 und sieben Jahren. Alle vier bisher geprägt von Air Berlin.
Anschlussjobs in Köln und Österreich
Doch Romy und Markus haben Anfang der 2000er-Jahre nicht nur eine Familie zu Hause. Auch bei der Airline wird alles dafür getan, dass sich die Mitarbeiter „wie zu Hause" fühlen. Air Berlin-Gründer Joachim Hunold kennt viele der Mitarbeiter mit Vornamen. „Der Achim kam jeden Morgen rein und hat mich erst mal gefragt, wie es uns geht", erinnert sich Markus Menslin. „Er war praktisch ein Familienmitglied." Auf ausgelassenen Firmenpartys werden die mittlerweile rund 9.000 Airline-Mitarbeiter zusammengeschweißt. Sogar eine eigens komponierte Firmenhymne gibt es. Der Refrain lautet: „Die mit der Nase im Wind, im Blut Kerosin – meine Air Berlin". Nach den Partys schmeißt der Firmenchef Taxis für jeden, damit alle gut nach Hause kommen.
Bei so viel Aufmerksamkeit merkt zunächst niemand, dass sich „Achim" Hunold in immer größenwahnsinnigere Projekte verstrickt. Erst steigt er bei der österreichischen Airline Niki ein, dann kauft er die Deutsche BA, übernimmt die LTU und bringt Air Berlin an die Börse. Menslin: „Wir haben gearbeitet wie wild. Wir waren überzeugt davon, bald Deutschlands Fluglinie Nummer eins zu sein. Doch spätestens mit dem Kauf der LTU wurde uns klar: Damit kamen viel zu viele Altlasten, doppelte Strukturen und hohe Gehaltsverpflichtungen."
Der Rest ist Geschichte: Im August 2017, zahlreiche Manager und zahllose Sparprogramme nach „Achim", ist Air Berlin pleite.
Zurück in der Wohnung der Menslins in Berlin-Lichtenrade. Vieles erinnert hier an die Glanzzeiten der Fluglinie. In der Küche steht ein alter Trolley, mit dem die Stewardessen einst Getränke und Essen zu den Passagieren brachten. Im Wohnzimmer das Modell einer Boeing 737, Markus bekam es zu seinem 15-jährigen Firmenjubiläum 2011 vom Management überreicht. Und wenn die Menslins Gästen einen Kaffee anbieten, wird der meist in knallroten Air Berlin-Tassen serviert. „Verrückt! Aber wir haben uns damals eben zu 100 Prozent mit der Airline identifiziert. Es war eine so schöne Zeit!" Bis zu den Kündigungen vor einem Monat. „Seitdem sind wir offiziell arbeitslos. Und das fühlt sich echt mies an." Vor allem für Markus ist es mit seinen 52 Jahren schwer einen Job zu finden. „Ich bin außerdem total überqualifiziert für die meisten Jobs am Flughafen und bei einer Fluggesellschaft." Es gebe derzeit keine Airline in Berlin, die einen Stationsmanager oder einen Verkehrsleiter suche. In dieser Funktion steuerte er sämtliche Abläufe rund um den Air Berlin-Flugverkehr, vom Check-in bis zum Abrollen der Maschine, von der Umsetzung internationaler Gesetze und Vorschriften bis hin zur Überwachung der Servicequalität. „Da haben es meine ehemaligen Mitarbeiter einfacher auf der Suche nach einem Job als Gepäckverlader oder Einweiser auf dem Vorfeld. Das kann ich in meinem Alter einfach körperlich nicht mehr leisten." In der Tat hätten bereits viele der Kollegen, die ihn heute noch freundschaftlich „Chef" nennen, eine neue Anstellung gefunden. „Das freut mich natürlich sehr."
Zu 100 Prozent mit der Airline identifiziert
Letzte Woche war Markus Menslin das erste Mal beim Arbeitsamt. Dort hat er sich offiziell „arbeitssuchend" gemeldet. Hoffnung auf einen neuen Job habe man ihm nicht gemacht. „Für Führungskräfte am Boden ist es extrem schwierig, etwas Neues in Berlin zu finden", sagt Menslin. Das habe gleich mehrere Ursachen: Zum einen seien die Fluggesellschaften am Berliner Boden mit Personal gut versorgt. „Das ist in Köln oder Düsseldorf anders." Zum anderen kann man mit Familie nicht so ohne Weiteres wegziehen."
Doch Menslin nutzt jede Chance, hat mittlerweile mehr als 30 Bewerbungen geschrieben, auch branchenübergreifend. Bislang hat er nur eine einzige Einladung bekommen. Zehn potenzielle Arbeitgeber haben sich gar nicht erst gemeldet. „Das ist extrem demütigend." Gute Nachrichten gab es indes für Romy Menslin: Sie hat es schon geschafft, wird demnächst als Senior Cabin Crew Member, zu Deutsch Chef-Stewardess, für eine andere Fluggesellschaft fliegen. „Kabinenpersonal hat es bei der Jobsuche leichter."
Während Romy sich auf ihre neue Aufgabe an Bord eines Airbusses A320 vorbereitet, sitzt Markus meist zu Hause, kümmert sich um Haushalt, um Kinder. „Das hat sich am Anfang angefühlt wie Urlaub. Jetzt wird es von Tag zu Tag frustrierender."
Im Internet oder per Whatsapp-Gruppe chattet er deshalb oft mit ehemaligen Kollegen. „Da sprechen wir viel über das, was passiert ist und was falsch gelaufen ist." In der Gruppe gebe es mehr als 400 aktive Mitglieder, darunter auch Piloten, Stewardessen und ehemalige Manager. Menslin: „Erstaunlich ist, dass trotz anders lautender Zusagen der Lufthansa meines Wissens niemand zu Eurowings gewechselt ist." Das habe in der Whatsapp-Gruppe auch ein ehemaliger Air Berlin-Pilot bestätigt: „Die wollten uns haben, aber in Österreich anstellen und nur einen Bruchteil dessen zahlen, was wir vorher verdient haben." Er habe sich deshalb bei Ryanair beworben – einer Billig-Fluglinie, die eigentlich für die schlechte Bezahlung ihrer Crew bekannt ist. Und für ihn hat es geklappt: „Ich kann weiter ab Berlin fliegen und verdiene bei Ryanair deutlich mehr, als mir Eurowings jemals gezahlt hätte."
Markus’ Handy klingelt: Am anderen Ende der Leitung ist zu seiner Verblüffung eine ehemalige Kollegin aus der Presseabteilung von Air Berlin, die ihn zu einer Ehemaligen-Veranstaltung einladen möchte. Er sagt freundlich ab und gibt dann zu: Darauf habe er derzeit keine Lust.
Bei denen, die allein mit ihren Problemen zu Hause sitzen, ist der Bedarf nach Austausch bestimmt sehr groß. Vielleicht auch gerade deswegen, weil die Firmenzentrale von interner Kommunikation so gar nichts zu halten schien: „Vom Ende meiner mehr als 20jährigen Zeit bei Air Berlin habe ich durch eine Eilmeldung bei n-tv erfahren. Das macht traurig", sagt Markus Menslin.
Die Kommunikation könnte besser sein
Was schon früher ein Problem war, habe sich bis heute nicht geändert. Immer noch arbeitet in der ehemaligen Konzernzentrale der Air Berlin am Saatwinkler Damm, ganz in der Nähe zum Flughafen Tegel, eine Restmannschaft von gut 500 Mitarbeitern. Sie haben die Aufgabe, die Reste der Airline mit abzuwickeln. „Reden ist mit denen nicht möglich. Ich habe schon zigmal angerufen, abgehoben hat niemand." Dabei hatte Menslin ein ganz banales Anliegen: Er brauchte eine Arbeitsbescheinigung fürs Arbeitsamt. Die hat er mittlerweile übers Intranet der Pleite-Airline bekommen. Gerade noch rechtzeitig: Ende Februar wird auch das Intranet abgeschaltet – für immer.
„Einmal Airliner, immer Airliner", dieses Gefühl haben wohl viele der mittlerweile arbeitslosen Mitarbeiter der Pleite-Airline. Für Menslin könnte der Wunsch in Erfüllung gehen: Demnächst hat er ein Bewerbungsgespräch. „Wo, möchte ich noch nicht verraten, aber die suchen einen Abteilungsleiter. Und es wäre ein Job direkt am Flughafen." Auch ein ehemaliger Passagier, ein Iraner, habe in der Zwischenzeit angerufen. „Er hatte ein Kreislaufproblem, hat deshalb seinen Anschlussflug verpasst." Menslin hat dem Geschäftsmann jenseits jeder Dienstvorschrift ein Hotel gebucht und ihn mit seinem Privatauto dorthin gefahren. Nun will der iranische Geschäftsmann den Menslins bei der Jobsuche im Ausland helfen. „Wenn wir weggehen, dann richtig weg. Und dann wäre das genau das Richtige."