Manchester United war auf dem Weg in die europäische Spitze, als am 6. Februar 1958 gleich acht Spieler des Fußballclubs bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Auf dem Flughafen München-Riem war die Maschine mit der Mannschaft des englischen Meisters über die Startbahn hinausgeschossen und explodiert. Zwei der Überlebenden gewannen später mit United den Europapokal.
Gegen 17 Uhr traf das Telegramm von Duncan Edwards endlich bei seiner Vermieterin in Manchester ein – zwei Stunden, nachdem er es am Münchener Flughafen abgeschickt hatte. „Alle Flüge gestrichen – komme morgen", ließ der Fußballer des englischen Meisters Manchester United sie wissen. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Edwards bereits in einem Münchener Krankenhaus um sein Leben, wo er zwei Wochen später jedoch seinen schweren Verletzungen erlag. Das größte englische Fußballtalent der späten 50er-Jahre war eines von insgesamt 23 Opfern, darunter auch sieben weitere Spieler von Manchester United, die am 6. Februar 1958 beim Absturz von British-European-Airways-Flug 609 ums Leben kamen. Auf dem Rückflug vom Europapokalspiel bei Roter Stern Belgrad war die Maschine nach einem Tankstopp auf dem Flughafen München-Riem über die Startbahn hinausgeschossen und explodiert. Nur 21 der 44 an Bord befindlichen Personen überlebten den Unfall.
Die Namen der toten Spieler kennt in Manchester bis heute jedes Kind. Neben Duncan Edwards waren es Geoff Bent, Eddie Colman, Mark Jones, David Pegg, Tommy Taylor, Liam „Billy" Whelan und Roger Byrne, dessen Familie es vielleicht besonders schlimm traf, denn seine Frau war im zweiten Monat schwanger und wollte ihn erst nach seiner Rückkehr über den baldigen Nachwuchs in Kenntnis setzen. Auch acht Journalisten, die das Team nach Belgrad begleitet hatten, und drei Offizielle des Vereins, darunter Manchesters Vereinssekretär Walter Crickmer, überlebten die Katastrophe nicht.
Es ist nicht das einzige Mal in der Geschichte, dass ein ganzes Team oder zumindest große Teile bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. 1949 verlor der AC Turin seine komplette Mannschaft auf diese Weise; 1993 stürzte eine Maschine mit dem Nationalteam Sambias in den Atlantik; und zuletzt zerschellte 2016 ein Flugzeug mit den Spielern des brasilianischen Erstligisten Chapecoense an einem Berg in Kolumbien.
Manchester United hatte 1956 und 1957 die englische Meisterschaft gewonnen und war in der Saison 1956/57 als erster Club von der Insel im Europapokal der Landesmeister angetreten, wo man auf Anhieb das Halbfinale erreichte. „Busby Babes" wurde die Mannschaft von Trainer Matt Busby genannt – in Anspielung auf das geringe Durchschnittsalter des Teams von gerade einmal 24 Jahren. Mit ihrer offensiven Spielweise begeisterten sie die Fans. „Winning isn’t everything", machte Busby seinen Spielern immer wieder aufs Neue klar: Es gehe nicht allein um den Sieg, sondern auch darum, die Zuschauer dabei gut zu unterhalten. Auch im letzten Spiel vor der Katastrophe hatten sie sich seine Worte noch einmal zu Herzen genommen: Manchester bezwang Arsenal London spektakulär mit 5:4. Es war also eine hoffnungsvolle Truppe, die sich gerade aufmachte, auch Europa zu erobern, als das Schicksal so grausam zuschlug.
Fliegen war damals noch abenteuerlich
Fliegen war zur damaligen Zeit noch mit einem größeren Risiko verbunden, als es heute der Fall ist. Das musste die Mannschaft von United bereits ein Jahr zuvor bei einem Spiel gegen Athletic Bilbao erfahren, als die Spieler die Tragflächen der beiden Chartermaschinen eigenhändig vom Eis befreien mussten, damit diese überhaupt abheben konnten. Gleichzeitig war es das einzig geeignete Verkehrsmittel, um die Auswärtsspiele im Europapokal zu bestreiten. Am 5. Februar 1958 war Manchester United im Viertelfinal-Rückspiel bei Roter Stern Belgrad angetreten – ein hart erkämpftes 3:3-Unentschieden reichte nach dem 2:1 im Hinspiel für den Einzug ins Halbfinale. Beim Empfang nach dem Spiel, so berichtet es Jürgen Bitter in seinem Buch „Als die Sonne vom Himmel fiel" über die größten Katastrophen der Sportgeschichte, fing United-Verteidiger Robert Byrne an ein Lied zu singen, in das bald auch seine Teamkollegen mit einstimmten: „Wir werden uns wiedersehen, ich weiß nicht wo, ich weiß nicht wann. Wir werden uns an einem schönen Tag wiedersehen …" Byrne sollte den Flugzeugabsturz nicht überleben.
Am nächsten Tag landete der Flieger planmäßig in München, um dort aufzutanken und dann die weitere Reise bis Manchester fortzusetzen. Nach etwas über einer Stunde Pause sollte es weitergehen, trotz zunehmend schlechtem Wetter und Schneematsch auf der Startbahn. Der erste Versuch missglückte jedoch – es gab Unregelmäßigkeiten beim Druck der beiden Triebwerke, so dass Flugkapitän James Thain den Startversuch abbrach. Beim zweiten Start trat derselbe Defekt erneut auf, wieder kam es zum Abbruch. Die Passagiere wurden aufgefordert, die Maschine zu verlassen, damit die Technik überprüft werden könne, nach kurzem Aufenthalt in der Flughafen-Lounge aber schon wieder zurückgerufen. Thain und sein Copilot Ken Rayment hatten entschieden, vorher noch einen letzten Startversuch zu wagen.
Mittlerweile waren mehrere Spieler nervös geworden. In der Maschine war es mucksmäuschenstill, als das Flugzeug zum dritten Mal auf die Startbahn rollte. Linksaußen David Pegg und Stürmer Tommy Taylor hatten dieses Mal noch extra die Plätze mit Bobby Charlton und Dennis Viollet getauscht; sie saßen jetzt auf einem der hinteren Plätze. Beide kamen im Heck des Fliegers ums Leben, während Charlton und Viollet das Unglück überlebten.
Zunächst schien aber alles gut zu gehen. Das Flugzeug raste mit 117 Knoten (217 km/h) über die Startbahn, ehe die Geschwindigkeit dann jedoch plötzlich auf 105 Knoten (194 km/h) absackte – zu wenig, um abzuheben, aber gleichzeitig zu viel, um den Startversuch noch abzubrechen. Die Maschine durchbrach einen Zaun und streifte mit der linken Tragfläche ein nahestehendes Wohnhaus, das dadurch in Brand geriet (sämtliche Bewohner überlebten wie durch ein Wunder) – dabei wurde die Tragfläche mit dem Heck abgerissen. Der vordere Teil des Rumpfes krachte gegen eine Garage, in der ein Lastwagen mit Benzin explodierte.
Flugkapitän hatte keine Schuld
„Ich hörte keine Schreie. Es herrschte eine gespenstische Stille", erinnerte sich Torwart Harry Gregg an den Moment nach dem Unfall. Er hatte überlebt und wurde nun zum Helden, weil er todesmutig – die Maschine drohte ja zu explodieren – weitere Personen aus dem Flugzeug rettete: darunter eine schwangere Frau, ein kleines Mädchen, seine beiden Teamkollegen Bobby Charlton und Dennis Viollet sowie Trainer Matt Busby. Das volle Ausmaß der Katastrophe erkannte aber auch Gregg erst am nächsten Tag. Zusammen mit Mitspieler Bill Foulkes besuchte er die Überlebenden im Krankenhaus und wunderte sich, dass einige fehlten. „Wo sind die anderen?", fragten sie eine Krankenschwester. „Es gibt keine anderen", antwortete sie. Auch Trainer Busby brauchte eine Weile, ehe er die Tragödie richtig einordnen konnte. Bobby Charlton meinte einmal: „Er hat München nie vergessen. Irgendwie fühlte er sich verantwortlich. Als wären es seine Kinder, die dort gestorben sind."
Während Busby verletzt im Krankenhaus lag, übernahm Cotrainer Jimmy Murphy, der wegen eines parallel ausgetragenen Spiels der Waliser Nationalmannschaft nicht mit nach Belgrad geflogen war, fürs Erste das Kommando. „Ich hatte zwar keine Spieler mehr, aber trotzdem einen Job zu erledigen", sagte Murphy. Bereits 13 Tage nach der Katastrophe trat Manchester mit einer neu aufgestellten Mannschaft – darunter mit Harry Gregg and Bill Foulkes auch zwei Überlebende des Crash‘ – gegen Sheffield Wednesday an und siegte mit 3:0. Im Programmheft waren die Seiten mit der Mannschaftsaufstellung von United weiß geblieben, als Erinnerung an die Toten. Viele Fans hatten ihre rot-weißen Schals mit einem schwarzen Trauerflor versehen – später wurde schwarz sogar ganz offiziell zu einer der Vereinsfarben. So sind die Ereignisse von München auch ein Stück Identität und bis heute ein Teil der United-Legende geblieben.
1968 wurde als Ursache für den Flugzeugabsturz die Menge des schmelzenden Schnees auf der Startbahn ermittelt, wegen der die Maschine nicht die erforderliche Abhebegeschwindigkeit erreichen konnte. Anfangs hatte man noch Kapitän Thain verantwortlich gemacht, der aber von jeder Schuld freigesprochen wurde. Im selben Jahr gewann Manchester den Europapokal, unter anderem mit Foulkes und Bobby Charlton. Dieser war 1966 zuvor schon mit England Weltmeister geworden. Duncan Edwards wäre wohl, wenn er nicht in München ums Leben gekommen wäre, ebenfalls bei Englands einzigem WM-Titel dabei gewesen. Der legendäre Bobby Charlton meinte jedenfalls einst über ihn: „Ich bin überzeugt, dass er der beste Spieler gewesen ist, den ich je gesehen habe."