Die Mieter werden gegenüber dem Markt alleingelassen, sagt Katrin Schmidberger, Sprecherin für Mieten und Wohnen der Berliner Grünen-Fraktion. Um gezielter reagieren zu können, müssten die Länder mehr Befugnisse bekommen. Und mehr Unterstützung vom Bund – sonst gefährdet man den sozialen Frieden.
Frau Schmidberger, ich weiß nicht, ob Sie die vergangenen Monate versucht haben, eine neue Wohnung zu ergattern – das ist aktuell wirklich eine Strafe! Wahrscheinlich nicht nur in Berlin …
Nein, ich musste selber nicht suchen, ein Glück. Aber es gibt tatsächlich 365 Kommunen mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ in Deutschland – und zu wenige Regelungen, die dem entgegenwirken.
365?! Unglaublich. Da kann man nur hoffen, dass das Thema bald mal wichtiger wird in der aktuellen Politik.
Das stimmt. Gucken Sie sich die Sondierungen zur GroKo an, nur sehr wenige Punkte drehten sich ums Wohnen. Deswegen ja auch das aktuelle Zehn-Punkte-Programm von meiner Linken-Kollegin Gaby Gottwald und mir – als Appell, dass sich die Bundesregierung dringend um die Wohnungsversorgung kümmern muss.
CDU, CSU, SPD – gibt’s denn da Unterschiede im Umgang mit dem Thema?
Die Erfahrungen mit den Jamaika-Gesprächen haben gezeigt, dass es nicht einfach ist, mit der CDU über Mietenpolitik zu diskutieren. Was aber kaum jemand außerhalb Bayerns weiß: Die CSU ist beispielsweise bei der Mietpreisbremse viel offener. Und München verlangt schon lange von Investoren, 30 Prozent der Flächen für den sozialen Wohnungsbau zu reservieren.
München ist auch schon lange extrem teuer … Apropos: Es heißt inzwischen, Berlin könnte bis 2030 die teuerste Stadt Deutschlands werden.
Wenn man sich die rasante Mietpreisentwicklung ansieht, ja, das befürchte ich. Wir haben pro Jahr einen Zuzug von 40.000 bis 50.000 Neu-Berlinern. Die Stadt wächst – und zusätzlich nimmt die Immobilienspekulation zum Beispiel durch Share-Deals zu!
Share-Deals?
Normalerweise zahlt ein Investor 6,5 Prozent Grunderwerbssteuer beim Erwerb einer Immobilie. Wenn aber daraus eine GmbH gemacht wird und er weniger als 95 Prozent erwirbt, zahlt er nichts. Das muss geändert werden!
Dann ändern Sie es doch.
Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen legt der Bund fest, nicht die Länder. Ich sage Ihnen, als Landespolitikerin verzweifle ich da an vielen Stellen! Das Mietrecht muss dahingehend geändert werden, dass wir besser auf die jeweilige Lage vor Ort reagieren können: Zum Beispiel die Länder ermächtigen, die Modernisierungsumlage zu reformieren und zu senken oder Mietobergrenzen in Milieuschutzgebieten festzusetzen.
Was ist das Besondere an Milieuschutzgebieten?
In diesen Gebieten, wo der Druck auf die Mieter besonders hoch ist, soll die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung vor Verdrängung geschützt werden. Dort darf man dann zum Beispiel keine Wohnungen abreißen oder Luxussanierungen durchführen, ein „zeitgemäßer Ausstattungsstandard“ ist aber o.k. Bei energetischer Sanierung ist es unterschiedlich – teils ist es uns aber schon gelungen, überteuerte Fassadendämmungen bei Altbauten zu unterbinden, die ökologisch auch nichts bringen. Ein zweiter Punkt ist, dass Mietwohnungen Mietwohnungen bleiben sollen. Aber da gibt es im Bundesrecht eine Lücke, wenn der Eigentümer sich bereit erklärt, beim Verkauf die Wohnung die ersten sieben Jahre dem Mieter anzubieten.
Wenn der mal das Geld dafür hat …
Genau. Und dann mache ich eine teure Sanierung und werde die Mieter los. Eine leere Wohnung bringt dreimal so viel wie mit Mieter. Oder ich warte als Besitzer eben sieben Jahre ab und gehe dann an den Markt. Milieuschutz ade.
Das sind doch bekannte Dinge – das kam alles bei den Sondierungsgesprächen nicht vor?
Ich sehe da keine wirkliche Verbesserung gegenüber den Jamaika-Verhandlungen. Dabei haben wir durchgehend Wohnungsnot in wachsenden Kommunen, überall. Deutschland ist zweitgrößtes EU-Mieterland nach der Schweiz – da müssen Bundesregierung und Bundestag endlich ihre Hausaufgaben machen!
Sie haben als Lösungsansatz in Ihrem Punkte-Plan die Wohnungsgemeinnützigkeit angeführt – gab es die nicht schon mal?
Doch, sie wurde ab 1990 unter Kohl gestrichen. Mit der Folge, dass seitdem große private Investoren und Fonds das Ruder übernommen haben und der soziale Wohnungsbau insgesamt geschrumpft ist. Und Mietwohnungen werden bei uns – anders als beispielsweise in der Schweiz – irgendwann aus der Sozialbindung auf den freien Markt entlassen.
Aber was bedeutet denn nun „Gemeinnützigkeit“?
Ziel ist die Gemeinwohlorientierung von Wohnungsunternehmen und Genossenschaften. Die spekulieren eben nicht oder achten nur auf hohe Renditen. Die Bundesregierung muss das Recht auf Wohnen als öffentliche Aufgabe begreifen und die Länder auch in die Lage versetzen, den Mangel zu beheben durch Gelder für den sozialen Wohnungsbau und ein faires Mietrecht. Frau Merkel duckt sich weg. Dabei ist das doch die soziale Frage schlechthin in den Städten! Wenn man sich ansieht, dass nur 40 Prozent der Neuvermietungen in Berlin den Anforderungen der Mietpreisbremse entsprechen …
Wobei eines der Probleme mit der Mietpreisbremse ist, dass jemand mit einem neuen Mietvertrag nicht gerne vor Gericht zieht.
Ja, die Mieter werden komplett alleingelassen. Überhaupt ist es reines politisches Kalkül, dass sie nicht funktioniert aufgrund der vielen Ausnahmen. Drei Jahre Diskussion darüber, ob eine Mietpreisbindung bei Neuvermietung eingeführt werden soll, Effekt: Jeder Eigentümer erhöhte nochmal schnell die Miete vor dem Tag X.
Was könnte man tun?
Im bundesweit geltenden Wirtschaftsstrafrecht steht, dass es ordnungswidrig ist, wenn eine Miete mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Das gilt als Mietwucher. Leider änderte sich Anfang der 2000er die Beweislast: Nun muss der Mieter seinem Vermieter unlautere Gründe nachweisen – fast unmöglich. Das muss man wieder schärfen. Dann könnte ein Mieter sich beim Amt melden, und das könnte Strafen wegen Ordnungswidrigkeiten aussprechen.
Und wie ist es mit der angeblichen Kluft zwischen der Zahl der Baugenehmigungen und den tatsächlichen Bauprojekten?
Ein Grund ist die Spekulation. Wenn ein Grundstück Baugenehmigung erhält, steigert sich sein Wert. Jemand kauft es günstig, durchläuft das Verfahren, verkauft es teuer weiter. Der nächste verkauft es nochmal weiter und so fort. In Berlin liegt die Hälfte der baureifen Grundstücke brach.
Die Hälfte?!
Ja. Hintergrund ist, dass es aktuell keine Baupflicht gibt, man die Baugenehmigung aber quasi beliebig verlängern und weiter spekulieren kann.
Was also tun? Enteignen geht ja nicht …
Wir überarbeiten gerade die Bauordnung, um die Fristen für Baugenehmigungen zu verkürzen. Und schaffen Entwicklungsgebiete, wo wir eine bestimmte Entwicklung vorschreiben können.
Wie sieht das eigentlich prinzipiell aus: Hat man Einfluss darauf, wie viele günstige Wohnungen beim Neubau entstehen?
In Berlin gibt es die „kooperative Baulandentwicklung“, Ähnliches auch in vielen anderen Städten und Kommunen: Wird eine Baugenehmigung erteilt, ist der Investor verpflichtet, 30 Prozent der Wohnfläche im öffentlichen Interesse anzubieten. Das können günstige Wohnungen sein, aber auch Räume für Kitas oder Schulen oder Ausgleichsflächen. Für Finanzierungslücken gibt es Fördergelder.
Aber das löst noch nicht das Grundproblem mit der Spekulation.
Eine Lösung wäre, dass Städte Baugrund kaufen, darauf bauen und Fördermittel vom Bund erhalten. Da hängen wir aber am Tropf, allein können wir das nicht stemmen. Eine andere Möglichkeit wäre das Vorkaufsrecht: Mit ihm könnten Städte und Kommunen Häuser zum Verkehrswert erwerben, anstatt dass Spekulanten die Preise nach oben treiben. Das sollte insbesondere auch für Immobilien und Grundstücke gelten, die der Bund veräußert.
Wenn der Bund das nicht tut, sorgt er selbst für teure Mieten.
Im Prinzip ja. Ob Mieten generell bezahlbar bleiben, liegt ja daran, ob wir Spekulation mit Immobilien und Boden – von welcher Seite auch immer – verhindern können. Und es ist zwingend nötig, dass der Mietspiegel ausschlaggebend für die Miethöhe sein muss. Aber das Mietrecht ist da nicht eindeutig. Auch ein Gutachten oder eine Vergleichswohnung als Maßstab sind möglich. Zum Beispiel zieht die „Deutsche Wohnen“ eigene teure Wohnungen als „gleich“ heran …
Na prima. Was tut man dagegen?
Als Mieter werden Sie mürbe gemacht, da sind Sie schnell mal zwei, drei Jahre vor Gericht. Das Mietrecht hat komplett die soziale Balance verloren. Da muss die Bundespolitik ran: Wer die Augen vor solchen Problemen verschließt, gefährdet den sozialen Frieden.