Alice Cooper gilt als Erfinder des Schock-Rock. Am 4. Februar wird der Sänger aus Phoenix im US-Bundesstaat Arizona 70 Jahre alt.
Vincent Damon Furnier alias Alice Cooper verkörpert seit einem halben Jahrhundert eine düstere Bühnenfigur mit üppiger Schminke, hautengen Lederklamotten und makaberem Humor. Oft war er nur als Gruseldarsteller zu ertragen – mit Musik als Beigabe. Lediglich einzelne Songs wie „Under My Wheels", „No More Mr. Nice Guy" oder „Welcome To My Nightmare" hatten das gewisse Etwas. Das war anfangs anders. Die Musik auf seinen ersten beiden Alben „Pretties For You" (1969) und „Easy Action" (1970) klingt noch sehr hektisch, unvorhersehbar und gelegentlich disharmonisch. Erst der dritte Longplayer „Love It To Death" (1971) macht einer konventionellen Ordnung Platz und wirft mit der Single „I‘m Eighteen" einen ersten Top-40-Hit ab. Der Song hat einen beträchtlichen Einfluss auf Punk, Hard Rock und Heavy Metal. Joey Ramone bastelt später seinen ersten Song aus den Akkorden von „I‘m Eighteen" und Johnny Rotten performt zu dem Song, als er bei den Sex Pistols „vorsingt".
1973 erscheint „Billion Dollar Babies" und klettert auf Platz eins der britischen und amerikanischen Album-Charts. Die Single „No More Mr. Nice Guy" ist Alice Coopers Reaktion auf die Kritik seitens der Kirchengemeinde seiner Mutter, die seine bizarren Bühnenshows monierte. Zwei Jahre später veröffentlicht er mit „Welcome To My Nightmare" sein bis heute originellstes Album. Die Platte ist bestimmt von einer alptraumartigen, unwirklichen und drogengeschwängerten Stimmung. Coopers Horrorgeschichten voller schwarzem Humor drücken dem Hörer mächtig aufs Gemüt.
Auf der Bühne präsentiert Alice Cooper seine Musik in einer für damalige Verhältnisse wahren Schock-Rock-Show: Federn fliegen durch die Luft, ein androgyner, langmähniger Cooper stolziert als Toilettenpapier-Mumie zwischen Schlangen, Guillotinen, Galgen und elektrischem Stuhl hin und her. Am Ende einer jeden Show lässt er sich lustvoll hinrichten.
Amerikanische Elternverbände, konservative Politiker und religiöse Organisationen rennen Sturm gegen den Superstar. Das legendäre Horror-Rock-Spektakel „Welcome To My Nightmare" macht Alice Cooper zum Alptraum aller Philister – und das lange bevor Black-Metal-Bands mit einem satanistischen Image und Texten über Teufel, Hölle und Fegefeuer aufkommen. „Man beschimpfte mich als erbärmlich und absolut nicht gesellschaftsfähig", erinnert der Sänger sich mit Schaudern. „Dabei war es nur eine Rock’n’Roll-Show!"
Angst vor dem Schock-Rocker
Offensichtlich aber eine ziemlich gute. Die braven Bürger in den 70er-Jahren haben jedenfalls Angst vor dem Schock-Rocker und interpretieren in die Figur Alice Cooper unglaubliche Dinge hinein. Dadurch geben sie ihr eine Wichtigkeit, die sie im Nachhinein wahrscheinlich gar nicht verdient hat. „Auch Elvis hatte die Menschen Anfang der 50er-Jahre unheimlich erschreckt. Die Leute neigen dazu, an Images zu glauben."
Beileibe nicht nur durch seine Bühnenshows wird Alice Cooper zur Kultfigur. Als Richard O‘Brien Anfang 1973 das Musical „The Rocky Horror Show" schreibt, diente Cooper als Vorlage für die Figur Frank N. Furter. Dem nicht genug: Fast alle Mitglieder der original Alice Cooper Band sind ehemalige Kunststudenten und verehren Salvador Dalí, weil sie sich selbst für Surrealisten halten. Im April 1973 kommt es schließlich zu einer Zusammenarbeit mit dem Großmeister des Surrealismus: Dalí fertigt in New York eine Skulptur von Alice Coopers Gehirn an. Er nennt sie „First Cylindric Chromo-Hologram Portrait of Alice Cooper‘s Brain".
Der Sänger erinnert sich: „Dalí und ich trafen uns über einen Zeitraum von zwei Wochen immer wieder in einem Luxushotel zum Gedankenaustausch. Das Hologramm, das dabei entstand, ist heute im Dalí-Museum in St. Petersburg in Florida zu sehen. Aber Dalí fertigte auch noch eine Skulptur meines Gehirns an. Sie war aus Plastik, an einer Stelle lief Schokolade heraus und Ameisen krochen auf ihr herum. Leider ist dieses Kunstwerk spurlos verschwunden. Dalí wollte es mir damals nicht geben, weil es Millionen Dollar wert sei. Diese Skulptur ist mein persönlicher Heiliger Gral!"
1976 heiratet Alice Cooper die Choreografin Sheryl Goddard, mit der er drei Kinder hat. Goddard hält auch dann noch zu ihm, als er ganz unten ist. Das einzige, was Alice Cooper im Rückblick auf seine außergewöhnlich lange Karriere bereut, ist seine Blackout-Phase. Der Alkohol hat seine Erinnerungen an die Zeit zwischen 1978 und 1982 gelöscht. Gern würde er die drei Alben dieser Periode noch einmal schreiben, aufnehmen und live spielen. In den 90er-Jahren wendet sich das Blatt, und er wird vor allem durch seinen Auftritt im Film „Wayne‘s World" zur Kultfigur einer neuen Generation von Rockfans und Rockmusikern. Marilyn Manson soll seinen Albumtitel „Antichrist Superstar" direkt an Alice Cooper angelehnt haben.
1976 heiratet der Musiker
„Damit wollte er die Leute so richtig auf die Palme bringen", orakelt das Original, das 2011 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. „Ich kann es gut nachvollziehen, wenn man Manson mit mir vergleicht. Ich bewundere seine Fähigkeit, die Leute zu unterhalten. Er ist sehr clever und stylish. In Fragen des Glaubens kommen wir zwar nicht zusammen, aber wir können trotzdem eine interessante Unterhaltung führen. Ich würde mir lieber Marilyn Manson auf der Bühne anschauen als die meisten anderen Bands."
Ein weiterer Spezi des Schock-Rockers ist Johnny Depp. Der Hollywoodstar begann seine Karriere als Gitarrist und kam eher zufällig zum Film. Jahrzehnte später fragte Alice Cooper den musizierenden Schauspieler, ob er nicht Lust hätte, sich den Hollywood Vampires anzuschließen. Zu der illustren Band gehört neben Cooper auch Steve Perry von Aerosmith. Im Juni tourt sie durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Eigentlich müsste Alice Cooper längst unter der Erde liegen wie seine Freunde Jimi Hendrix, Jim Morrison, John Lennon, Keith Moon, Marc Bolan und Harry Nilsson. Der junge Alice ließ kein Rockklischee aus, verwüstete Hotelzimmer und schien es darauf anzulegen, möglichst bald an irgendeiner Droge zu sterben. In einer Zeit der Orientierungslosigkeit fand er schließlich durch Gott zu Kraft und Halt. Heute ist dem Sohn eines Priesters sein Glaube genauso heilig wie seine Musik. „Gott ist ein ewiger spiritueller Begleiter, Rock’n’Roll ist mein Job. Ein Mensch erreicht irgendwann den Punkt, an dem er sich für einen bestimmten Glauben entscheiden muss. Wenn meine 100 Jahre auf diesem Planeten vorbei sind, muss ich schließlich irgendwie mit der Ewigkeit klarkommen."
Auch wenn der Gothic-Rock-Pionier heute regelmäßig in die Kirche geht, hat er sich nicht zu einem penibel-sauberen, klinisch-sterilen Monsterchen zähmen lassen. Seine Neigung zu Gewaltfantasien spaltet Vincent Furnier von sich ab, indem er sich mit dem Kunstblut verspritzenden Bühnenschreck Alice Cooper eine zweite Gestalt erfunden hat. Sie ermöglicht es dem Musiker, den dunklen Trieben freien Lauf zu lassen. Vielleicht ist es sogar Vincent Furniers Aufgabe, die Untaten des Alice Cooper wieder gutzumachen. So engagiert sich der Familienvater in der christlichen Stiftung „Solid Rock Foundation" für gestrandete Kids.
Heute ein regelmäßiger Kirchgänger
„Phoenix ist die sechstgrößte Stadt der USA, deshalb haben wir hier das sechstgrößte Jugendbanden-Problem", erzählt er. „Solid Rock unterstützt unter anderem die Kids auf der Straße, die es am nötigsten haben. Manche von ihnen haben keine Wahl. Sie geraten unweigerlich in die Fänge einer Gang oder in die Drogenszene, wo alle mit Knarren rumlaufen. Wir sähen es lieber, wenn sich die Kids Volleybälle statt Waffen kaufen würden. Mit meiner Stiftung möchte ich dabei helfen, ihnen eine zweite Chance zu geben."
Vincent Furniers Versuch, sich an Gott und die Musik zu verlieren, um sich selbst zu finden, ist offenbar geglückt.