Alles beginnt und endet auf dem Grund und Boden unter unseren Füßen. Im Grundbuch stehen die Besitzer, denen gehört, was alle brauchen. Das ganze Leben lang – der letzte Grund ist der Friedhof. Kann es sein, dass ein Allgemeingut nur einigen wenigen gehört?
Mietshaus für 7,16 Millionen Euro versteigert – Preissteigerungen von 130 Prozent seit 2004 – eine Ein-Zimmer-Wohnung zum Schnäppchenpreis von 149.000 Euro zuzüglich Makler-Courtage von 10.638,60 Euro – Wohnungsbesichtigungen, bei denen Hunderte Schlange stehen – Quadratmeterpreise von 4.800 Euro und mehr: Die Nachrichten zum Geschehen in Berlin scheinen einen Markt zu beschreiben, auf dem frühkapitalistische Verhältnisse ausgebrochen sind.
Weil die Bank keine Zinsen mehr auf das Ersparte zahlt, werden Wohnungen zur beliebten Geldanlage. Renditen müssen her, selbst den großen Wohnungsbaugesellschaften sitzen die internationalen Hedgefonds im Nacken. Und die bestehen zum großen Teil auch wieder aus Kleinanlegern, die ihr Geld in dem guten Glauben investieren, so etwas für ihre Rente zu tun, die sonst zum Leben womöglich nicht reichen würde.
Oder ist die Gentrifizierung an allem schuld? Man lässt ganze Straßenzüge verkommen, bis der Wind durch alle Ritzen pfeift, lässt ein buntes Biotop aus armen Künstlern und Kreativen entstehen und beginnt dann, wenn die Mischung ansprechend hip geworden ist, die Wohnungen aufwendig mit Wärmedämmung, Doppelfenstern, komfortablen Bädern und neuen Fußböden zu renovieren. Dass die alten Mieter nicht mehr zahlen können, wen juckt es? Auf der Straße warten doch ohnehin schon ein paar Dutzend andere, die dringend eine Wohnung suchen und mehr auf der Tasche haben. Alles ganz einfach, Angebot und Nachfrage!
Es gab einmal die Vorstellung, dass der Grund und Boden genau wie Luft und Wasser allen gehört, da waren sich die Philosophen einig. Boden ist kein Handelsgut, man kann ihn nicht ernten, er vermehrt sich nicht, jeder braucht ihn, und sei es als letzte Ruhestätte: „Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren“ (1. Mo 3,19).
Schon Jean-Jacques Rousseau warnte eindringlich: „Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam, zu sagen „Dies gehört mir“ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: „Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört.“
Her mit einer neuen Grundstückspolitik!
Der Markt hat sich nicht daran gehalten. Der Boden ist zum Spekulationsobjekt geworden. In den Städten, schätzen Experten, macht der Preis für das Grundstück bereits bis zu 70 Prozent der Baukosten aus. Folge: Die Gesellschaft ist gespalten in Grundbesitzer und Grundlose. Wer Land besitzt, ist fein raus. Er kann sogar zusehen, wie sein Grund an Wert gewinnt, wenn die öffentliche Hand die fürs Leben notwendige Infrastruktur ansiedelt: Straßen, Schulen, Kitas, Sportplätze entstehen, ohne dass er einen Euro dazuzahlt. Denn dafür kommt ja die Allgemeinheit auf, der Steuerzahler. Und der wird dann auch noch bestraft durch die steigenden Mieten, die der Grundbesitzer für die „gute Lage“ anschließend verlangen kann.
Also enteignen!? Im Prinzip ist eine Enteignung möglich – sagt das Grundgesetz, „wenn sie zum Wohle der Allgemeinheit“ dient (Art 14,3). Sie ist gebunden an ein Gesetz, das „Art und Ausmaß der Entschädigung“ regelt. Aber so weit muss es gar nicht kommen. Es gibt einen anderen, in der letzten Zeit ziemlich in Vergessenheit geratenen Satz im Grundgesetz, Artikel 14,2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Wie wäre es damit?
In der Tat sind manche Stadtväter und -mütter aufgewacht. In Ulm, in Tübingen, ja auch in Berlin kaufen sie städtischen Grund und Boden zurück, den sie in den 1990er-Jahren zur Schuldendeckung verschleudert haben. Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) hat angekündigt, auch aus dem „Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt“ schöpfen zu wollen, um Grundstücke für öffentliche Zwecke im großen Stil zu erwerben. 300 Millionen Euro sollen für Immobilienkäufe zur Verfügung stehen. Solange die Städte ihre Neuerwerbungen nicht wieder an reine Investoren weiter verkaufen, könnte daraus eine neue Grundstückspolitik werden: Eine, die kleine Bauträger ermutigt, wie zum Beispiel die Genossenschaften oder Baugruppen, die eine einzelne Parzelle bebauen wollen und nicht gleich eine ganze Neubausiedlung hochziehen möchten. Sie bekommen den Boden in Erbpacht und müssen so nicht gleichzeitig zum Hausbau ein Grundstück erwerben. Läuft der Vertrag aus, fällt der Grund wieder an die Allgemeinheit zurück. In der Zwischenzeit kann niemand mit dem Boden spekulieren.
Eine Utopie? Die Leute werden in den Häusern und in den Wohnungen, die jetzt gebaut werden, in den kommenden 30 Jahren wohnen müssen. Können sie sich das nicht leisten, könnte es vielleicht wieder so kommen wie vor 50 Jahren: Statt sich von den Banken vertreiben zu lassen, würden die Häuser einfach besetzt. Dieses Mal nicht, weil Abriss droht oder mit Leerstand spekuliert wird. Sondern weil nicht alle so „einfältig“ sind, zu glauben, der Grund und Boden gehöre für immer und ewig nur dem, der ihn irgendwann mal eingezäunt hat.