Den GroKo-Parteien fehlen zündende Ideen. Aufbruch sieht anders aus.
Eines steht fest: Die designierte Bundesregierung verfügt über kein Hermann-Hesse-Moment. In seinem berühmten Gedicht „Stufen“ beschreibt der Schriftsteller den magischen Augenblick des Neubeginns: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
Die sich abzeichnende Große Koalition – die dritte seit 2005 – hat eine quälende Verhandlungsphase hinter sich. In den viereinhalb Monaten seit der Bundestagswahl bot sich den Bürgern ein gespenstisches Schauspiel. Nach den geplatzten Jamaika-Gesprächen, bei denen die Akteure ein absurdes Balkon-Theater aufgeführt hatten, folgte die zähe GroKo-Show.
Dabei sonderten Spitzenpolitiker vor den Mikrofonen der öffentlich-rechtlichen Fernseh-Hofberichterstatter permanent Sprechblasen ab. Die politische Klasse zelebrierte sich selbst mit einem absurden Stück der Null-Kommunikation. Die Langzeitschäden dieser jämmerlichen Vorstellung sind bereits heute sichtbar: Nach einer aktuellen Umfrage hätten Union und SPD nicht einmal mehr 50 Prozent.
Nein, der Zauber des Neuen sieht anders aus. Die Chefs der GroKo-Parteien wirken ausgezehrt oder deplatziert. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat die Koalitionsgespräche weder geleitet noch inspiriert, sondern bestenfalls verwaltet. Sie schien nicht einmal daran teilzunehmen. Der CSU-Leithammel Horst Seehofer, dessen politisches Haltbarkeitsdatum bei jeder Frage mitschwingt, war ein tragikomischer Beisteher. Beim Obergenossen Martin Schulz, der die Extremzustände „Hosianna“ und „Kreuzigt ihn“ in Lichtgeschwindigkeit durchgemacht hat, drängt sich der Eindruck auf, dass er noch immer nicht in der Bundespolitik angekommen ist. Drei Parteiführer, die in der Not aufeinander angewiesen sind, weil sie nicht die Schlussbeleuchtung ihrer politischen Karrieren anschalten wollen.
Sie stehen jedenfalls nicht für Aufbruch. Ebenso wenig zeugt das GroKo-Programm von zündenden Ideen. In einer Zeit, in der der Wohlstand einer Gesellschaft von der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft abhängt, müssen Impulse für mehr Leistung gegeben werden. Es geht um lebenslange Bildung, berufliche Weiterqualifizierung und um den besten Stand der digitalen Technik für Unternehmen und Verbraucher. Die alternde Bevölkerung braucht ein Renten- und Pflegesystem, das finanzierbar und zukunftsfest ist. Das hat nicht nur mit staatlichen Rahmenbedingungen zu tun, sondern auch mit der Verantwortung und dem Arbeitseinsatz jedes einzelnen Bürgers.
Statt die großen Herausforderungen zu benennen und Leuchtturm-Projekte zu definieren, haben die GroKo-Parteien ein Sammelsurium von Punkten vorgelegt. Beispiel: Das Baukindergeld von 1.200 Euro pro Kind pro Jahr wird die Lage auf dem angespannten Wohnungsmarkt kaum verbessern, aber viel Geld kosten. Dass Vermieter Modernisierungskosten nur zu acht statt bislang zu elf Prozent auf die Mieter umlegen können, wird keine einzige neue Bleibe schaffen.
Der Streit über den Familiennachzug für „subsidiär geschützte Flüchtlinge“ wurde mit einer Vehemenz geführt, als hänge davon das Wohl und Wehe der Republik ab. Das Gleiche gilt für die von der SPD eröffnete Kampagne für die „Bürgerversicherung“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte jüngst in einer Fernseh-Talkshow eingeräumt, dass dieses Thema bei der sozialdemokratischen Basis vor der letzten Landtagswahl im Oktober praktisch keine Rolle gespielt habe.
Union und SPD haben sich in einem Themenwust verloren und die großen Linien aus dem Blick verloren. 45 Milliarden Euro wollen sie sich diese Waschzettel-Politik in den kommenden vier Jahren kosten lassen. Strategisch die völlig falsche Entscheidung.
Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen wäre es an der Zeit gewesen, an alle Bürger einen großen Batzen zurückzugeben. Stattdessen wurde die große staatliche Umverteilungs-Maschine angeworfen. Und zweitens: Warum wird ein Teil der Überschüsse nicht zur Abtragung der staatlichen Gesamtverschuldung in Höhe von rund zwei Billionen Euro verwendet? Wann, wenn nicht jetzt?
Der Lack einer neuen GroKo ist bereits heute ab. Die Parteien hätten lieber bei Hermann Hesse nachgelesen: „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“