Das bedingungslose Grundeinkommen steht immer häufiger in der öffentlichen Diskussion, auch in Deutschland. Diese liberale Idee könnte allerdings Wasser auf die Mühlen von Radikalen und Migrationsgegnern sein.
Die öffentliche Diskussion um das garantierte oder bedingungslose Grundeinkommen (BGE) gewinnt derzeit an Fahrt, vor allem dort, wo vom bisherigen Verlauf der sozialen Debatte enttäuschte Spitzenpolitiker versuchen, sich vom politischen Mainstream abzugrenzen. Zuletzt war es die hessische SPD-Politikerin Ypsilanti, die nicht nur mit ihrer Partei abrechnete, sondern das BGE als eine neue, gemeinsame und sinnstiftende Idee der politischen Linken hervorhob. Das Konzept einer finanziellen Grundversorgung aller Bürger, ganz unabhängig von Fragen der Bedürftigkeit, scheint eine zunehmende Zahl von Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen als Allheilmittel zur Überwindung sozialer Ungleichheit zu faszinieren – und ruft unausweichlich Kritik hervor.
Es kann sein, dass die Berechnungen der Befürworter wie der Opposition zur Finanzierbarkeit des BGE richtig oder falsch sind. Je nachdem, welche Modelle man zugrundelegt und von welchen Einsparungen man andernorts ausgeht, sehen die unterschiedlichen Berechnungen mal mehr oder mal weniger realistisch aus. Wie immer ist alles abhängig davon, wie hoch denn am Ende die ausgezahlte Summe sein soll – ein besseres Taschengeld oder ein Betrag, von dem man die Grundbedürfnisse tatsächlich abdecken kann. Die genauen volkswirtschaftlichen Aspekte und die Konsequenzen für das Steueraufkommen können sicher nur relativ vage vorhergesagt werden, hier gibt es aber ausreichenden ökonomischen Sachverstand auf beiden Seiten, um eine intensive Debatte zu führen.
„Bedingungslos" könnte auch abhängig heißen
Etwas weniger prominent sind aber die damit verbundenen gesellschaftspolitischen Fragen. Zwei sollen an dieser Stelle hervorgehoben werden: Zum einen wäre zu bedenken, wie sich das Verhältnis vom Bürger zum Staat gestaltet, wenn Letzterer endgültig die Rolle des vollalimentierenden Versorgers übernommen hat, und dann, eines Tages, möglicherweise ein wenig mehr Loyalität fordert, als ihm zusteht? Welche Mechanismen gehören installiert, um zu verhindern, dass ein Staat in dem Bewusstsein eines „neuen Gesellschaftsvertrages" zwischen ihm und seinen Mitgliedern zu dem Schluss kommt, dass die Gewährung finanzieller Freiheit die Reduzierung derselben in anderen Lebensbereichen durchaus rechtfertigt? Wie stark ist eine Zivilgesellschaft in ihrer möglichen Opposition zu staatlichem Handeln, wenn sie in einem so umfassenden Maße am Tropf derjenigen hängt, die sie im Zweifelsfalle zu bekämpfen trachtet? Wer die Gefahr des Verlustes von individueller Freiheit durch die Auslieferung an eine allumfassende und auskömmliche finanzielle Versorgung negiert, sollte sich über das Wort „bedingungslos" im BGE-Begriff noch einmal ganz genau Gedanken machen. Er könnte noch eine ganz andere Bedeutung bekommen.
Ebenfalls zusätzliche Überlegungen erfordert die Frage, ob die „Sozialschmarotzer"-Diskussion, die in Deutschland ganz wesentlich zur rechtsradikalen Aufheizung der Migrationsdebatte beigetragen hat, durch ein BGE nicht noch zusätzlich befeuert wird. Wer sich jetzt bereits über die angebliche „Zuwanderung in die Sozialsysteme" aufregt, wird im Falle eines BGE für diese Argumentation noch viel besseres Futter finden und sie nutzen können – und wollen! –, um gegen ein liberales Einwanderungsregime Stimmung zu machen. Wer ein BGE bekommt, ist dann möglicherweise auch anfälliger gegen diese Propaganda, da man tatsächlich den Eindruck bekommt, man könne etwas Substanzielles verlieren. Die Nutzung dieses sozialpolitischen Instruments durch rechtsradikale Propaganda scheint ein Thema zu sein, dass vielen BGE-Befürwortern bis jetzt noch nicht so auf der Seele brennt. Es ist jedoch möglicherweise weitaus wichtiger als die Frage, ob wir uns so ein System überhaupt leisten können oder nicht. Nur wenn man die finanziellen und die gesellschaftlichen Konsequenzen des BGE gleichermaßen berücksichtigt, kann man sich redlich dafür oder dagegen aussprechen.