Der Streit nimmt Fahrt auf. Drei Jahre nach Veröffentlichung des viel diskutierten Junkernheinrich-Gutachtens über die saarländischen Kommunalfinanzen geht es ans Eingemachte. Neue Vorschläge haben die Fronten zwischen Kommunen und Kreisen verhärtet.
Martin Junkernheinrich ist ein ziemlich gewieft-verschmitzter Gutachter. Wenn er seine Zahlen und Analysen präsentiert, zieht er in der Regel den größten Teil seiner Zuhörer auf die Linie seiner Schlussfolgerungen. Gegenrede und Widersprüche kontert er häufig in einer Art, die insgeheim an Radio Eriwan erinnert. Frage: „Warum antworten Sie meist mit einer Gegenfrage?“. Antwort: „Warum nicht?“. Seine Auftritte im Saarland sind selten geworden. Vor knapp drei Jahren war das anders.
Anfang März 2015 hatte der Gutachter zusammen mit Innenminister Klaus Bouillon (CDU) seine Analyse über die Kommunalfinanzen im Saarland vorgestellt. Bouillon war erst wenige Monate zuvor ins Kabinett berufen worden. Mit der jahrzehntelangen Erfahrung eines erfolgreichen Kommunalpolitikers und unbelastet von weiteren Karriereambitionen sollte er sich über den gordischen Knoten hermachen, zu dem sich die Finanzsituation der saarländischen Städte und Gemeinden schier unauflösbar verwoben hatte.
War Junkernheinrich in den Wochen und Monaten danach ein ebenso viel gefragter wie gefürchteter Diskussionsgast, versetzten manche Äußerungen des unerschrockenen Ministers beispielsweise über Personalabbauziele die Kommunalvertreter ein ums andere Mal in Panik. CDU und SPD schrieben in der Folge kommunalpolitische Papiere, Wörter wie Back-Office, Infrastruktureinheiten, Ultima Ratio, Gebietsreform, FKZ (Freiwillige kommunale Zusammenarbeit), Vergeblichkeitsfalle machten die Runde. Dann überlagerte die Flüchtlingsherausforderung alles andere und schließlich warfen die Landtagswahlen bereits ihre Schatten voraus.
Zeitfenster für Maßnahmen offen
Dieses Jahr steht das Zeitfenster wieder offen, um grundlegende Schritte auf den Weg zu bringen, bevor im kommenden Jahr die Kommunalwahlen die Agenda bestimmen werden. Die allgemeine Vorlage ist im Koalitionsvertrag bei der Neuauflage der Saar-GroKo ab Seite 93 nachzulesen: „Interkommunale Zusammenarbeit nachhaltig strukturieren – Funktionalreform konsequent umsetzen“.
Zum ersten Teil wollen die Regierungspartner bis zum Sommer die Punkte festzurren, die sie als „Katalog…mit verbindlichen Vorgaben hinsichtlich pflichtiger Zusammenarbeit“ angekündigt haben. Was bislang freiwillig nur halbherzig Fortschritte gemacht hat, soll nun unter Druck vorangetrieben werden. In einigen Teilen des Landes sind durchaus bereits erhebliche Schritte unternommen worden. Insbesondere im Kreis St. Wendel ist man in Sachen interkommunaler Zusammenarbeit rege unterwegs, was mit der Struktur des Kreises ebenso wie mit den handelnden Personen zu tun hat. Als sichtbarstes Pilotprojekt kann die Zusammenarbeit von Kreisen und Kommunen in Sachen Schwimmbäder dienen, zudem hat man sich dort auf einen 20-Punkte Plan von Aufgaben verständigt, in denen Zusammenarbeit vorangetrieben werden soll, wie Landrat Udo Recktenwald (CDU) bereits im vergangenen Jahr gegenüber FORUM erläuterte. Dabei hat er auch bereits Überlegungen skizziert, die nun in sehr viel weiterreichenden Reform-Vorschlägen des Landkreistages, dessen Vorsitz er derzeit innehat, für neue Impulse in der Debatte sorgen.
Denn die gehen nun weit über die klassisch bislang diskutierten Zusammenarbeitsfelder hinaus: Übertragung der Schulträgerschaft der Grundschulen von den Kommunen auf die Kreise, um so einen „Schulentwicklungsplan aus einem Guss“ zu organisieren, Zusammenlegung der Unteren Bauaufsichten, ebenso der Volkshochschulen nach dem Motto: Ein Kreis – eine VHS. Insgesamt 21 Punkte umfasst das Vorschlagspapier. Dabei verstehen sich die Kreise selbstbewusst als „ideale Plattform zur gebündelten einheitlichen Aufgabenwahrnehmung“ und, wie es die Landräte unisono betonen, „geborene Zweckverbände“ frei nach dem Motto: Warum neue Verbände zur interkommunalen Zusammenarbeit ins Leben rufen, wenn es doch die Kreise bereits gibt? Stützen können sie sich auf den Koalitionsvertrag, der etwas umständlich festschreibt: „Auf Ebene der Gemeindeverbände bleibt die Gebietskulisse unverändert“. Womit die immer wieder insbesondere von der Opposition geforderte Reduzierung der Zahl der Kreise vom Tisch ist.
Erwartbarer Streit um Kompetenzen
Der Protestaufschrei der Gemeinden ließ nicht lange auf sich warten. Bürgermeister durch Entzug von zentralen Aufgaben zu „Grüßonkeln“ machen – Nein Danke! wettern die CDU-Rathauschefs. Der Städte- und Gemeindetag (SSGT) fordert erst einmal, Gutachten über die Effizienz der Kreisebene abzuwarten. Und der Neunkircher Oberbürgermeister, derzeit auch SSGT-Präsident, Jürgen Fried, holt zum Gegenschlag auf die Kreise aus. Einrichtungen wie die Kreise, die sich hauptsächlich aus den Umlagen von den Gemeinden finanzieren, würden erfahrungsgemäß nicht unbedingt dazu neigen, „auf strenge Sparsamkeit zu achten“. Würden die geforderten Aufgaben auf die Kreise übertragen, würden die Kommunen zu reinen Zahlmeistern degradiert, so die Befürchtung.
Der neue Streit zum Jahresauftakt gibt einen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Wochen und Monaten auszutragen ist. Denn dass kein Weg um spürbare Reformen auf der kommunalen Ebene vorbeiführt, ist längst Konsens. Und überwiegend auch die Hoffnung, das möglichst so hinzubekommen, dass sich (Zwangs-) Gebietsreformen vermeiden lassen. Wohin die führen können, lässt sich andernorts trefflich besichtigen. Experten führen beispielsweise auch die starken AfD-Wahlergebnisse insbesondere in ostdeutschen Ländern zumindest teilweise auf dortige Kommunalreformen der jüngsten Vergangenheit zurück.
Dass es die Landesregierung mit Druck auf die Kommunen ernst meint, zeigen die geplanten Kommunal-Gesetzesänderungen, die zumindest den rechtlichen Rahmen für die „Ultima Ratio“ Gebietsreform vorbereiten sollen. Über die würde aber erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden werden müssen, falls das freiwillig-gezwungene Zusammenarbeiten nicht den erhofften Effekt bringen würden.
Parallel zu den landesinternen Debatten hat Annegret Kramp-Karrenbauer als derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Stichwort „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ die Situation der Kommunen insgesamt zum Chefthema gemacht, sozusagen als konsequente Fortsetzung nach den zähen Verhandlungen über die Bund-Länder-Beziehungen in der letzten Legislaturperiode. Und insbesondere die saarländischen Vertreter bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin haben nach eigenem Bekunden ein besonderes Augenmerk auf die Situation der Kommunen gelegt. Hier würde das Saarland gerne seinen Spitzenplatz als Land mit den höchstverschuldeten Kommunen abgeben.