Die Situation der kurdischen Provinz im Irak bleibt kritisch.
Wer nach Erbil, der Hauptstadt der irakisch-kurdischen Region im Norden des Landes, reisen will, hat nicht allzu viel Auswahl: Er fliegt entweder über Bagdad und benötigt seit den Unru-hen, die dem Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 folgten, ein Visum – das für viele nicht ausgestellt wird. Oder er reist über den türkischen Flughafen Sirnak, wartet stundenlang an der Grenze und fährt weiter bis Erbil – was nicht nur teuer, sondern auch unbequem ist. Wenn es gut klappt, kommt man so von Frankfurt nach Erbil in 24 Stunden. Es kann aber auch länger dauern.
Die schwierige Erreichbarkeit Erbils ist nur eine der Bürden, die seit dem Referendum auf den Kurden lastet. Seit Monaten wurden die Gehälter der Staatsangestellten nicht mehr bezahlt.Das umfasst auch Ärzte und Krankenpfleger, Lehrer und Polizisten. Erbil, eine Millionenstadt, stöhnt unter den Flüchtlingen, die nicht nur aus Syrien hierhergekommen sind, sondern auch aus den einstmals unter kurdischer Kontrolle befindlichen Gebieten um Kirkuk. Und der ehemals starke Mann der Regierung, Präsident Masud Barzani, kündigte an, bei den in einigen Monaten anstehenden Wahlen nicht mehr antreten zu wollen.
Wen die Kurden wählen werden, ist aber nicht nur deswegen unklar. Barzani war aufgrund seines jahrzehntelangen Kampfes um kurdische Unabhängigkeit eine Figur, die die unterschiedlichen Fraktionen einte und repräsentierte. Er hinterlässt ein personelles Vakuum. Die Zerstrittenheit der kurdischen Parteien führte nicht nur im Vorfeld der anstehenden Wahlen zu zahlreichen Neugründungen. Derzeit wird geschätzt, dass sich bis zu 60 Gruppierungen um Parlamentssitze bewerben werden. Sie führt auch zu großer Ernüchterung.
Die goldene Zukunft, die Barzani den Kurden für die Zeit nach dem Referendum versprochen hatte, bleibt aus. Enttäuschung ist das vorherrschende Gefühl. Der ökonomische Niedergang ist überall spürbar: Die einstmals überfüllten Restaurants und Hotels sind leer, die Region übersät mit halb fertigen, mittlerweile aufgegebenen Bauprojekten. Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordniveau angekommen, und viele Rückkehrer, die aus Deutschland den Weg zurück in die alte Heimat gefunden haben, wissen nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen.
Die Bemühungen der nun bescheidener auftretenden Regierung, in Bagdad eine Aufweichung der Sanktionen zu erreichen, waren bisher erfolglos. In einer konzertierten Aktion europäischer Regierungen wurde nun zumindest die Wiedereröffnung des Flughafens für den internationalen Verkehr gefordert. Nicht zuletzt, um die notwendigen humanitären Maßnahmen zu unterstützen.
Doch Bagdad hält sich bedeckt. Ursache dafür sind nicht zuletzt die auch im Gesamtstaat anstehenden Wahlen. Ministerpräsident al-Abbadi, der sich in der Vergangenheit eine gewisse Hausmacht aufgebaut hat, ist nicht der ideale Partner des Westens, aber ein besserer als sein Vorgänger, und er möchte seine einmal errungene Macht erhalten. Er ist dafür auf ein Bündnis angewiesen, dessen Stabilität er unter anderem mit einer klaren Haltung in der Kurdenfrage bewahren möchte.
Andererseits: Sollte Bagdad anfangen, wieder Gehälter zu zahlen, gäbe es nicht wenige ernüchterte Kurden, die vielleicht auch für ihn stimmen würden. Ein Abwägungsprozess, der in Bagdad noch nicht abgeschlossen ist. Vor allem, wenn man die Angst einbezieht, dass der nächste militärische Konflikt gegen die erstarkten Shia-Milizen ausgetragen wird und man da wieder die Hilfe der kurdischen Peshmerga brauchen könnte.
Die Kurden sind einmal mehr zum Spielball politischer Interessen geworden. Die kurze Euphorie des Oktobers ist jedenfalls lange verflogen.