In unserer Welt herrscht eine binäre Geschlechterordnung: Es gibt Männer und Frauen. Immer mehr Menschen scheinen diese Stereotypen von sich zu weisen, wechseln ihr biologisches Geschlecht oder lehnen eine bestimmte Identität sogar ab.
Die breite Gesellschaft lässt sich in zwei Kategorien unterteilen: weiblich und männlich. So schreibt es uns in der Regel auch die Natur vor. Aber es gibt auch Ausnahmen wie beispielsweise Intersexuelle – Menschen, die genetisch, anatomisch oder auch hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können – oder auch Transsexuelle, die sich in ihrem biologischen Körper nicht wohlfühlen und mit ihrem zugewiesenen Geschlecht nicht glücklich sind. Das wirft wiederum die Frage auf: Wie und wann wird unsere Geschlechtsidentität festgelegt? Darüber streiten sich die Wissenschaftler schon seit Jahren. Sie benutzen dabei das Wort „Gender“, was für das soziale Geschlecht steht. Das Wort steht in Abgrenzung zu „Sex“, dem biologischen Geschlecht. Erstmals in den 60er-Jahren wird Gender in der Medizin, genauer gesagt in der Forschung mit Intersexuellen verwendet, um die Theorie zu verdeutlichen, dass die Sozialisation die Geschlechtszugehörigkeit beziehungsweise die Geschlechtsidentität bestimmt. Seitdem unterscheidet man zwischen dem sozialen Geschlecht – Gender – und dem biologischen Geschlecht – Sex. Feministinnen benutzen das englische Wort Gender in den 70er-Jahren als Analysekategorie, um die Unterscheidung zwischen sozialem und biologischem Geschlecht zu betonen. Sie wollten damit die Veränderbarkeit des Geschlechts in den Fokus rücken, das heißt, sie wollten deutlich machen, dass Geschlechterrollen kein biologisches Phänomen sind, sondern in der sozialen Interaktion geprägt werden und damit auch veränderbar sind. Seit den 90er-Jahren wird diese Annahme intensiver untersucht, und es wird kontrovers diskutiert, ob die biologische Unterscheidung zwischen Mann- und Frausein lediglich ein kulturelles Produkt ist.
Die Grenzen verschwimmen
Manche Forscher gehen davon aus, dass die Geschlechtsidentität biologisch bestimmt wird und bereits vor der Geburt Hormone Einfluss nehmen. Andere sind der Meinung, dass die Geschlechtsidentität bis zum dritten Lebensjahr erlernt und festgelegt wird. Bereits sehr früh werden Kinder durch die Erwartungen Dritter – bewusst oder unbewusst – sozialisiert. Ist dieser Prozess abgeschlossen, hätten Kinder zunächst stereotypische Urteile darüber, wie Jungen und Mädchen sein sollen. Die Grenzen zwischen beiden Geschlechtern sind in den vergangenen Jahrzehnten in unserer westlichen Kultur nicht mehr so zementiert, wie sie einmal waren. Denn darin sind sich die Experten einig: Die Geschlechtsidentitäten sind soziokulturellen Schwankungen unterworfen.
Dr. Carolin Küppers beschreibt es in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung so: „Geschlecht ist nicht etwas, was wir haben, schon gar nicht etwas, was wir sind. Geschlecht ist etwas, was wir tun.“ Das sieht man auch an der Rolle der Frau, die sich gerade in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Statt Hausfrau und Mutter zu sein, machen heute viele Frauen Karriere. Auch die Rolle des Mannes verändert sich: Er ist heute nicht mehr der alleinige Ernährer der Familie, immer öfter bleiben die Väter zu Hause und übernehmen die Kindererziehung. Aber auch die expandierenden schillernden Szenen von Angehörigen beider Geschlechter, die es vor allem in den Großstädten der westlichen Welt gibt, und die eine Geschlechtsidentität jenseits der binären, herkömmlichen entwickelt und andere Bezeichnungen dafür gefunden haben, zeigen, dass Geschlechtlichkeit beeinflussbar und veränderbar ist. Die Gesellschaft ist in einem ständigen Wandel – und mit ihr auch die Geschlechterrollen und -identitäten.
Hollywood als Vorreiter
Doch wie sehr verschwimmen die Grenzen zwischen Frau- und Mannsein tatsächlich? Vor allem durch die Medien hat man in letzter Zeit das Gefühl, dass Anderssein heute zur neuen Realität geworden ist. Die Jungs von Schauspielerin Megan Fox dürfen tragen was sie möchten, auch gerne Kleidchen und natürliche lange Haare. Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton lud erst kürzlich seinen Neffen zum Prinzessinnen-Tag nach Disneyland ein. „Human Ken Doll“ Rodrigo Alves machte vor wenigen Wochen Schlagzeilen, weil sich der mehrfach operierte Brasilianer nach dem Entfernen einiger Rippen nun als Genderfluid bezeichnet, also sowohl männlich als auch weiblich ist. Auch Sängerin Miley Cyrus sagte einmal gegenüber dem Magazin „Variety“: „Mein ganzes Leben schon habe ich mein eigenes soziales Geschlecht und meine eigene Sexualität nicht verstanden. Ich habe das Wort ‚bisexuell‘ immer gehasst, weil es mich in eine Schublade steckt. Ich teile die Menschen nicht in Jungen und Mädchen ein.“ Cyrus selbst beschreibt sich als pansexuell, das heißt, dass ihr das Geschlecht eines Menschen egal ist und keine Rolle für ihre sexuelle Präferenz spielt. Aber Hollywood hat noch mehr zu bieten: Auch Jaden Smith, Sohn von Hollywood-Megastar Will Smith, spielt mit Gender-Klischees: So sah man ihn in einer Louis-Vuitton-Kampagne im Rock oder auch im Kleid auf dem Weg zum Highschool-Ball. Er möchte damit erreichen, dass Stereotypen verschwinden und sich die Gesellschaft nachhaltig verändert.
Aber die ist sowieso im steten Wandel. Obwohl das Geschlechtserleben zwischen den Geschlechtern eine breite mediale und auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt, ist es ein Irrglaube, dass ihre Zahl Überhand nimmt. Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, sind auch heute die Regel. Und so bleiben uns die Stereotypen über Männlichkeit und Weiblichkeit auch noch in den kommenden Jahrzehnten erhalten.