Sie fallen aus dem Rahmen des Gewöhnlichen, die Zeitungsprints als trendiges Muster des Jahres. Vor allem auf der New Yorker Fashion Week waren sie zu sehen, aber auch Kultdesigner Demna Gvasalia zeigt sie in seiner aktuellen Balenciaga-Kollektion.
Mit seiner Show für die Sommerkollektion von Christian Dior hatte John Galliano im Jahr 2000 einen der größten Skandale und eine der hitzigsten Kontroversen der Modegeschichte ausgelöst. Denn nach eigenem Bekunden hatte sich der Designer bei seinen Kreationen von den Pariser Ärmsten der Armen inspirieren lassen – den Obdachlosen entlang der Seine, denen er bei seinen Joggingrunden immer wieder begegnet war. Ihre zerrissene und abgetragene Kleidung fand er dabei ebenso spannend wie die Zeitungen, die von den Pennern sowohl als Schmutz abweisende Liegeunterlage als auch zum Zudecken benutzt wurden. Mit seinen daraus abgeleiteten Entwürfen gilt Galliano als Begründer des Boho-Chics oder des Homeless-Looks (Obdachlosen-Looks).
Insbesondere die Verwendung des Zeitungsprints in Gestalt einer Original-Modeseite der „International Herald Tribune“ auf Seiden-Blusen, Kleidern oder Röcken wurde in Windeseile zum Stadtgespräch in den vornehmen Kreisen der französischen Hauptstadt. Die Pulitzer-Preisträgerin Maureen Dowd kritisierte die Galliano-Kollektion, die auch schon mal als „Haute Homeless“ bezeichnet wurde, in der „New York Times“ als „geschmacklos“. Schützenhilfe sollte der britische Fashion-Revoluzzer ein wenig später von seinem Kollegen Christian Lacroix erhalten, der in einem Interview mit der „Vogue“ bekannte, dass leider ganz häufig die spannendsten Innovationen den Outfits der ärmsten Menschen zu verdanken seien.
Der Newspaper-Print sollte zu einem Markenzeichen John Gallianos werden, immer wieder mal tauchte er in den Kollektionen von Dior oder beim eigenen, 1994 gegründeten Label John Galliano S. A. auf, beispielsweise in der Herbstkollektion 2004 auf diversen Kleidern. Clevererweise pflegte Galliano dabei stets ein Foto von sich selbst und einen seine Design-Arbeit lobenden Text zum zentralen Bestandteil der Zeitungsseite zu machen. Sarah Jessica Parker alias Carrie Bradshaw trug übrigens eines der Dior-Kleidchen mit dem schwarz-weißen Newspaper-Print der fiktiven Postille „Christian Dior Daily“ 2001 in einer Folge der Kultserie „Sex and the City“. Dank der Schauspielerin wurde das Kleid zu einer Ikone der modischen Pop-Kulturgeschichte.
Seltsamerweise hatte sich 65 Jahre vor Gallianos Dior-Show niemand sonderlich wegen eines vergleichbaren, nahezu identischen Szenarios aufgeregt. Obwohl sich die Modezarin Elsa Schiaparelli im Jahr 1935 ebenfalls Inspirationen beim proletarischen Volk geholt hatte. Genauer gesagt bei Fischverkäuferinnen, die sie anlässlich einer Urlaubsreise auf dem Kopenhagener Markt gesehen hatte. Diese Frauen hatten laut Schiaparelli auf ihren Köpfen seltsam geformte Hüte aus Zeitungspapier getragen. Für die große Konkurrentin von Coco Chanel Grund genug, diesen ungewöhnlichen Print, übrigens gemeinsam und als erste Kooperation mit Salvador Dalí, bei der Gestaltung von Blusen, Schals, Kleidern oder Hüten zu verwenden. Wobei übrigens wie später bei Galliano nur Presse-Artikel über ihr eigenes Unternehmen benutzt wurden.
Nach Schiaparelli dauerte es bis in die 60er-Jahre, bis Zeitungs-Looks in der Mode wieder auftauchen sollten. Nun allerdings nicht mehr als Prints auf Stoff, sondern quasi in Reinform. Denn plötzlich waren Papierkleider angesagt. Ursprünglich 1966 nur als Werbegag des amerikanischen Papierherstellers Scott Paper Company konzipiert, fanden die zum Preis von 1,25 Dollar angebotenen Papierkleider reißenden Absatz. Ein Jahr später waren weitere Papierproduzenten auf den Trendzug aufgesprungen, die Kleider wurden nun schon für acht Dollar verkauft. Schon recht viel Geld für ein Teil, das ja nichts anderes als ein kurzlebiges Wegwerfprodukt war, das frau weder waschen konnte und mit dem frau möglichst auch nicht bei Regen unterwegs sein sollte. Dennoch schwappte die Modewelle nach Europa über, wo sich Promi-Damen wie Twiggy oder Claudia Cardinale mit Papierhüllen in Schale warfen.
Twiggy ließ sich in einem Kleid ablichten, das optisch viel Ähnlichkeit mit den späteren Galliano-Dresses hatte. Allerdings waren die damaligen Wegwerf-Modelle keine reinen Papierprodukte, sondern ihnen waren zur besseren Haltbarkeit Synthetikfasern beigemischt.
Ende 1968 war der Papierkleid-Spuk dann abrupt vorbei, nur in der DDR gab es einen Jugendmode-Ableger namens Vliesett, das zwar papierähnlichen Charakter hatte, aber tatsächlich aus kurzlebigen Synthetikmaterialien hergestellt war.
Nach langer Abwesenheit war das schwarz-weiße Zeitungsmuster in der Winterkollektion 2011 von Dolce & Gabbana wieder aufgetaucht. Auch das nigerianische Label Ituen Basi hatte in den folgenden Jahren den Newspaper-Print immer mal wieder für seine Klamotten, darunter Bleistiftrock oder Mini, verwendet.
Pippa Middleton war in einem Schößchenkleid mit diesem Muster gesichtet worden. Doch noch nie war das Relikt aus analogen Medienzeiten so prominent in der Modewelt präsent gewesen wie jüngst auf der New York Fashion Week für Frühjahr/Sommer 2018. Für die englischsprachige Ausgabe der „Vogue“ war es denn auch der „most powerful trend“ der gesamten Veranstaltung. Bei Helmut Lang musste frau dabei allerdings schon etwas genauer hinschauen, denn Designer Shayne Oliver ließ seine Models mit scheinbar zusammengerollten Zeitungen vor dem Gesicht oder über dem Kopf auf dem Laufsteg stolzieren. Die Newspaper entpuppten sich schließlich als bedruckte Handtaschen.
Der kunstsinnige Raf Simons entwarf für die Marke Calvin Klein T-Shirts und Kleider, auf denen ein „Newsweek“-Artikel über das „Tunafish Disaster“ abgebildet war, allerdings in der Umsetzung und als Zitat des gleichnamigen Werkes von Andy Warhol 1963. Im Original hatte der „Newsweek“-Beitrag die Headline „Two Tuna Sandwiches“ getragen und die Geschichte zweier Detroiter Hausfrauen erzählt, die zwei Tage nach dem Verzehr von Sandwiches mit verdorbenem Thunfisch verstorben waren. Neben Calvin Klein hatten sich auch die Labels Assembly und LRS in New York für dekorative Zeitungsprints auf Kleidern, Tops oder Stiefeln entschieden. Bei Gypsy Sport war ein Overall/Anzug im bauch- und oberschenkelfreien Destroyed-Style samt Zeitungsmuster zu bestaunen. Nicht nur in der Mode scheint der gute alte Blocksatz in den USA derzeit wieder Hochkonjunktur zu haben. Sondern auch bei Social-Media-Stars wie Taylor Swift, die das Cover ihres neuen Albums „Reputation“ in Zeitungsoptik voller verschnörkelter Gothic-Lettern gestaltet hat.
Ob die Labels in New York mit der Rückbesinnung auf Gedrucktes nicht nur ein dekoratives, sondern auch ein politisches Statement für Pressefreiheit und gegen den steno-twitternden Präsidenten Trump setzen wollten, wie die „Süddeutsche Zeitung“ in einer Stil-Kolumne geäußert hatte, sei mal dahingestellt. Weil es letztlich nicht mehr als reine Spekulation ist. In der Alten Welt wurde hingegen eine medienkritische Variante klar zum Ausdruck gebracht. Und zwar durch Demna Gvasalia betreffs der Verwendung des Schriftdrucks bei Blusen in der Sommer-Kollektion 2018 von Balenciaga. Der Designer wollte durch frei erfundene Geschichten das wachsende Misstrauen gegenüber den Medien herausstellen und zugleich durch „fake good news“ einen Gegenpol zu den in der aktuellen weltpolitischen Lage dominierenden schlechten Nachrichten setzen.