Mehr als 40 Millionen Fahrgäste reisten im vergangenen Jahr mit einem grünen Flixbus von A nach B. Während das Unternehmen auf der Autobahn die Konkurrenz längst hinter sich gelassen hat, sah es auf der Schiene bislang noch anders aus. Inzwischen greift Flixbus aber auch auf das Schienennetz zu – und macht der Deutschen Bahn Konkurrenz.
Beim zweiten Anlauf rollt es schon viel besser: Locomore, der Zug mit dem David-gegen-Goliath-Image, verkehrt wieder zwischen Berlin und Stuttgart. Seit dem 24. August 2017 verbindet er die beiden „Schwabenmetropolen" (Prenzlauer Berg!), nachdem der erste Versuch nach wenigen Monaten im Mai 2017 mit einer Insolvenz der Gründer misslungen war. Doch nun scheint es besser zu laufen: fünf Mal die Woche in sieben Stunden, eine einfache Fahrt schon ab 19 Euro. Der Fernbus-Anbieter Flixbus vertreibt die Tickets via Webseite und App. Inzwischen hat Flixbus nach eigenen Angaben über 100.000 Tickets für den Locomore-Zug verkauft, deutlich mehr als beim ersten Anlauf vor einem Jahr zusammenkamen. Der Ticketverkauf wird jetzt deshalb zunächst bis Ende des Jahres verlängert.
Das Start-up Locomore war Ende 2016 angetreten, um zu zeigen, dass Bahn auch anders möglich ist: Internet an Bord (damals noch nicht üblich bei der DB), günstigere Tickets, freches und grünes Image. Dann kam der Schock der Insolvenz, doch inzwischen hat das tschechische Unternehmen Leo Express den Betrieb übernommen, mit Flixbus als Vertriebspartner.
Dennoch ist Locomore ein Exot auf deutschen Schienen und wird es bis auf Weiteres auch bleiben. Zwar muss die Bahn seit der Öffnung des Schienenverkehrs in den 1990er-Jahren auch Konkurrenten fahren lassen, aber im Personenfernverkehr hat sich da bis heute wenig getan. Neben Locomore gibt es noch den Thalys, der von Amsterdam und Paris aus einige Städte im Ruhrgebiet anfährt, den Hamburg-Köln-Express HKX, der zurzeit gar nicht fährt, sowie den Anbieter BTE im Auto-Reisezugverkehr. Das war es dann im Großen und Ganzen. Zwar zählt die Bundesnetzagentur im Personenfernverkehr insgesamt 26 Unternehmen auf deutschen Schienen. Aber dabei handelt es sich grundsätzlich um kleinste Nischenanbieter, die spezielle Sonderleistungen verkaufen. Der Marktanteil der Bahnkonkurrenz liegt im Fernverkehr quasi unterhalb der Nachweisgrenze.
Marktanteil liegt bei 25 Prozent
Ganz anders im öffentlichen Nahverkehr, wo etwas über ein Viertel des Schienenverkehrs von der Konkurrenz bestritten wird. Hier schreiben die Behörden der Bundesländer eine Leistung aus, um die dann DB Regio mit anderen Anbietern konkurriert – und oft den Kürzeren zieht. „Hier hat der Wettbewerb Fortschritte erzielt: Die Kosten sind gesunken und das Angebot hat sich verbessert", so Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Aber im Fernverkehr läuft es so nicht. Hier müssen Anbieter wie Locomore rund eineinhalb Jahre im Voraus bei der Bahn-Tochter DB Netz eine Trasse anmelden. Wenn sie Glück haben, ist „Platz", denn die deutschen Strecken sind dicht befahren. Der internationale Güterverkehr und der im Takt fahrende Nah- und Fernverkehr gehen vor.
Wenn Private doch den Zuschlag bekommen, zahlen sie einen Trassenpreis von zuletzt im Schnitt etwas über sechs Euro pro Kilometer an DB Netz – diesen Preis zahlen die Züge von DB Fernverkehr allerdings auch. Aber neue Wettbewerber haben einen schwereren Start. „Allenfalls für Nischenanbieter gibt es Platz", so Naumann. „Ein Grund für den bislang nur rudimentär ausgeprägten Wettbewerb in diesem Sektor sind die hohen erforderlichen Investitionen in geeignete Fahrzeuge in Verbindung mit der Sicherheit beim Infrastrukturzugang", schreibt die Bundesnetzagentur dazu.
Flixbus schreibt mit Locomore zusammen ein Unternehmensmodell fort, das eigentlich nur aus einer Internetplattform besteht. Der Schatz des Unternehmens ist die Marke: eine App und eine Datenbank mit gut aufeinander abgestimmten Verbindungsdaten. Die Tickets sind schnell und einfach zu kaufen, ausdrucken erübrigt sich. Gefahren und bereitgestellt werden die Busse gar nicht von Flixbus selbst, sondern von dem Fahrer einer der rund 300 Busgesellschaften, die dafür ihre Busse in Flixbus-Grün lackiert haben. Flixbus bietet inzwischen Verbindungen zu 1.400 Zielen in 26 Ländern Europas an. Die neue Reiseform ist beliebt, vor allem beim jungen Publikum, aber nicht nur. Zehn Prozent sind über 65 und 60 Prozent sind weiblich. Das Unternehmen konnte durch Aufkäufe der Konkurrenten schnell wachsen und innerhalb von fünf Jahren den Markt vollkommen aufrollen. Längst fährt der Anbieter viele Ziele im Ausland an, insgesamt waren es rund 40 Millionen Fahrgäste im vergangenen Jahr. Dieses Modell bauchte Flixbus nur auf Locomore zu übertragen.
Angriff auf das Monopol
Zum Vergleich: Im Fernverkehr der Deutschen Bahn waren zuletzt rund 140 Millionen Fahrgäste unterwegs. Die Bahn dominiert zwar den Fernreisemarkt, aber ihre Vormachtstellung bröckelt. Dabei gehen die Fahrgastzahlen bei der Bahn gar nicht zurück. Im Gegenteil – sie stiegen sogar: 2012 waren erst 131 Millionen Fahrgäste im Bahnfernverkehr unterwegs.
Der Zuwachs bei den Passagieren ist der DB nur gelungen, weil sie mit den Ticketpreisen reagiert hat, ganz offensichtlich auf Druck der neuen Konkurrenz. Die Sparpreisticket-Aktionen sprechen für sich. Ob Flixbus inzwischen Gewinn macht, verrät das Unternehmen nicht. Zwar wird auf der Webseite noch immer mit günstigen Tickets ab fünf Euro geworben. Aber im Schnitt steigen die Preise: Laut Vergleichsportal Fernbusse.de kostete ein Busticket 2017 im Durchschnitt 25,59 Euro. Das sind fast drei Euro mehr als im Jahr zuvor. „Die Kontingente verlagern sich. Dennoch sind die Tickets insgesamt immer noch günstig. Das bremst auch die Ticketpreise bei der Bahn. Ohne die Konkurrenz der Fernbusse wären sie in den letzten Jahren wohl stärker gestiegen", sagt Andreas Oswald vom Vergleichsportal Fernbusse.de.
So manchem wird das schnelle Wachstum denn auch unheimlich. „Der Fernbus hat vielen, vor allem Jungen und sozial Benachteiligten eine neue und günstige Mobilität ermöglicht", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar. „Das darf aber nicht auf Kosten von Sicherheit und Arbeitsbedingungen der Fahrer gehen." Hier seien vor allem die zuständigen Behörden der Bundesländer in der Pflicht.