In ihrem neuen Buch geht die Kult-Autorin Nunu Kaller (36) dem heutigen Schönheitsverständnis auf den Grund und kommt zu der Erkenntnis: „Fuck Beauty!" Im Interview spricht die Österreicherin über ihre Recherchen.
Frau Kaller, nach „Ich kauf nix. Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde" haben Sie nun mit „Fuck Beauty!" ein Plädoyer für die Selbstakzeptanz vorgelegt. Was war Ihre Intention, dieses Buch zu schreiben?
Es gab in meinem Leben vor etwa eineinhalb Jahren einen Schlüsselmoment, in dem mir klar wurde, dass ich mich völlig unnötig jahrelang für meine eigene Optik kritisiert hatte. Dieses Moment zeigte mir, wie stark sich diese Selbstkritik auf mein ganzes Leben ausgewirkt hatte, und wie vieler schöner Momente ich mich selbst beraubt hatte. Als ich begann, zu diesem Thema zu recherchieren, war mir klar: Das wird mein neues Buch. Das Problem betrifft so unglaublich viele Frauen, und man kann sich dem nur stellen, wenn man versucht, es zu verstehen. Diesen Versuch habe ich unternommen und veröffentlicht.
Zu dick, zu dünn, zu unweiblich, zu plump – Sie haben in Ihrem neuen Buch untersucht, warum sich nur etwa vier Prozent aller Frauen wirklich schön finden. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Wir haben ein gesellschaftlich strukturelles Problem: Wir werden immer mehr zu einer Gesellschaft der Narzissten, da das Bild immer mehr zählt. Wir sind nur noch bearbeiteten Bildern ausgesetzt – ob in der Werbung, in Magazinen, auf Instagram oder anderen Medien im Internet. Mit wenigen Klicks können wir selbst ein Bild von uns entknittern und verschlanken. Irgendwann kann da das eigene Spiegelbild nicht mehr mithalten.
Sie gehen auch auf die Rolle der Frauenmagazine ein. Was denken Sie, warum das durch Medien propagierte Schönheitsideal eine derartige Macht auf Frauen ausübt und warum die meisten Frauen so wenig Selbstbewusstsein haben? Männer unterwerfen sich ja nicht derart einer Selbstoptimierung …
Mit dem Selbstwert von Frauen wird wirtschaftlich gearbeitet. Es ist eine bekannte und valide Verkaufsstrategie, jemandem zu erklären, was ihm oder ihr fehlt – um gleichzeitig das Produkt anzubieten, das diesen Mangel ausgleicht. Aber gerade im Kosmetikbereich geht das viel, viel tiefer: Frauen einreden, dass sie „falsch" aussehen, wirkt sich auf ihren Selbstwert aus. Bewusst oder unbewusst. Der Bereich der Kosmetikbranche mit den größten Umsatzzuwächsen ist übrigens die Männerkosmetik. Männer wurden in den letzten Jahren als neue Zielgruppe entdeckt. Es sind nicht mehr nur Frauen betroffen. Die Selbstoptimierung hat auch bei Männern sehr stark eingesetzt.
Am Anfang steht Ihre eigene Geschichte. Was hatten Sie immer an sich auszusetzen?
Ich war eigentlich immer „zu". Zu dick, zu laut, zu groß, zu wenig süß, zu wenig Prinzessin, zu plump. Ich bin immer noch keine Prinzessin und immer noch groß und rundlich, aber ich bin es jetzt einfach. Punkt. Kein „zu" mehr.
Wie schafft man es, sich gegen den Optimierungswahn zu immunisieren? Wie war das bei Ihnen?
Ich glaube, so richtig geht das gar nicht. Wir sind täglich über 4.000 Werbebotschaften ausgesetzt. Wir sehen täglich Fotos von konventionell schönen Frauen. So stark kann man, glaube ich, gar nicht sein, dass nicht irgendwann der innere Vergleichswauwau aufwacht und erklärt, dass man vielleicht mal ein bisschen weniger essen sollte. Aber man kann sich bewusst dagegen wehren. Bei mir hilft die Information – warum vergleichen wir, was finden wir eigentlich schön, all diese Fragen habe ich mir auch im Buch gestellt. Und: entspannter mit sich selbst umgehen, sich auch mal selbst ein Kompliment machen – das hilft ungemein.
Sie haben bei Facebook eine Umfrage gestartet, in der Sie wissen wollten, was Menschen am anderen Geschlecht als anziehend empfinden. Was kam dabei heraus?
Das, was ich vorher schon erwartet hatte: Die wenigsten betonten irgendwelche physischen Eigenschaften. Fast alle sagten, dass es auf die Ausstrahlung, den Menschen hinter der Schale ankomme. Und sie hatten sowas von Recht.
Wie ist Ihre persönliche Definition von Schönheit?
Ich genieße es sehr, keine zu haben.
Hat sich dies erst durch das Schreiben des Buchs beziehungsweise durch Ihre Recherchen und Umfragen verändert?
Ja. Früher hätte ich wahrscheinlich einen bestimmten Frauentyp beschrieben – zwar auch immer die Ausstrahlung betont, aber ein paar „Eckdaten" wären dabei gewesen. Sind sie jetzt nicht mehr. Alles ist Einstellung und Ausstrahlung.
Zuvor haben Sie den Erfahrungsbericht „Ich kauf nix. Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde" geschrieben. Haben Sie nach Ihrer Pause wieder angefangen zu shoppen, oder halten Sie weiterhin Fashion-Diät?
Ich kaufe wieder, aber sehr viel weniger und wenn, dann möglichst fair und ökologisch produziert. Außerdem tausche ich wahnsinnig gerne – sicherlich ein Drittel meines Kleiderschranks ist inzwischen ertauscht …
Wieso sind Sie damals auf die Idee gekommen?
Es war ein Streit mit meinem Ex, der mir mal wieder fehlende Konsequenz vorwarf. Ich war mir sicher: Das könnte ich beweisen. Und so war es dann auch. Es wurde aber viel mehr. Das Thema der fairen Textilproduktion ist immer noch eines meiner beruflichen und privaten Leitthemen und nicht mehr wegzudenken.
Warum kaufen wir Frauen eigentlich so viel mehr als Männer?
Ich kann dazu nur sagen: Studien haben ergeben, dass Konsum – inklusive Alltagskonsum – fest in weiblicher Hand ist. Bis zu 80 Prozent des gesamten Konsums weltweit sind weiblich. Warum das so ist… dafür gibt es sicherlich viele Gründe. Von evolutionsbiologischen Erklärungen bis hin zu der Tatsache, dass in unseren immer noch patriarchalen Strukturen Frauen viel stärker an ihrem Aussehen gemessen werden als Männer und da „hineininvestieren" müssen.
Kaufen unglückliche Frauen mehr als glückliche?
Definitiv. Es wird uns ja von allen Seiten eingeredet, dass „wir es uns wert sind" und dass man sich schön und glücklich kaufen kann.
Können Sie Tipps geben, um spontanen Shopping-Attacken vorzubeugen?
Ich stelle mir immer drei Fragen: Brauch’ ich das wirklich? Passt mir das wirklich? Will ich das wirklich – oder ist es nur eine Ersatzhandlung? Oft hilft es, einmal drüber zu schlafen. Am Tag danach ist der Impuls oft nicht mehr so stark.
Warum ist Ihnen der Nachhaltigkeitsgedanke beim Thema Bekleidung so wichtig?
Weil ich es fürchterlich finde, dass für die Tatsache, dass wir hier täglich neue Kleidung im Laden kaufen können und Kleidung minderer Qualität für quasi kein Geld kaufen können und wir es ein- oder zweimal anziehen, woanders die Umwelt zerstört wird und Menschen sklavenartig behandelt und bezahlt werden. Das ist moderner Kolonialismus für einen trügerischen Luxus hierzulande.
Womit sind Sie aktuell beschäftigt?
„Fuck Beauty!" ist ja unlängst erst herausgekommen, und ich bin ganz überwältigt von dem Erfolg. Außerdem arbeite ich immer noch hauptberuflich als Konsumentensprecherin bei Greenpeace in Österreich und bin dort voll eingesetzt.