Aus der Ferne ist es einfach, Wölfe toll zu finden. Aber wie ist das, dort zu leben, wo auch Wolfsrudel heimisch sind? Für viele Menschen ist das ein Problem, sie „fühlen sich allein gelassen", weiß Frank Michelchen. Der Bio-Landwirt im Bauernbund Brandenburg engagiert sich für eine „wolfsfreie Zone".
Sie sind nicht nur irgendwie wieder da, die Wölfe. Sie sind nah, zu nah. Und zu viele. Und sie verlieren die Scheu: „Bei einem Nachbarn im Dorf sind sie nachts aufs Grundstück gekommen und haben die beiden Hunde gerissen", sagt Frank Michelchen. Er lebt im Unterspreewald, betreibt dort seit 25 Jahren einen Bio-Bauernhof. Und ist als Wolfsbeauftragter des Bauernbundes Brandenburg unter anderem Ansprechpartner für diejenigen, die mit den Wölfen Probleme quasi vor der eigenen Haustür haben.
„Die Leute haben ein mulmiges Gefühl"
„Das hat in den vergangenen Jahren total an Fahrt aufgenommen, dass sich Leute bei mir melden", sagt er. Und eben nicht nur die Viehhalter oder Schäfer, die sich um eine artgerechte Haltung ihrer Kühe, Ziegen, Schafe bemühen – es sind auch Menschen aus der Umgebung, die ein mulmiges Gefühl angesichts des neuen vierbeinigen Nachbarn haben. „Wenn die Viecher nachts durchs Dorf laufen, fangen manche an, sich wirklich Sorgen zu machen", sagt Michelchen. „Ist ja auch kein Wunder." Die, die ihn ansprechen, fühlen sich oft allein gelassen, meint er. Allein gelassen – das bezieht sich auf die aktuelle Politik, vor allem auf die Wolfsverordnung des Landes Brandenburg. Dort steht festgeschrieben, dass Wölfe wie überall in der EU streng geschützt sind und nur im Notfall geschossen werden dürfen. „Als Notfall gilt, wenn sie Herdetiere reißen und vor allem auch dem Menschen zu nahe kommen – und das ist nach Meinung von vielen längst der Fall."
Ein Nachbar habe von November bis Februar acht Tiere verloren, ein anderer 17 Kälber in einer Saison, einem seien bei einem Wolfsangriff 17 Schafe von 25 gerissen worden. Solche heftigen Risse definieren ein klassisches Schwerpunktgebiet, hier zahlt dann auch das zuständige Amt für die entsprechenden Anti-Wolfs-Zäune. Auch Michelchens Kälber hat es schon erwischt, wenn auch „nur" zwei. „Manchmal passiert wochen- oder monatelang nichts, dann plötzlich doch wieder. Ich weiß nie, wenn ich morgens nach den Tieren schaue, ob noch alle leben", sagt der Bauer. Und weil seine Weiden 200 Meter außerhalb des Schwerpunktgebiets liegen, gelte für ihn mit seinen Kühen und Kälbern nur eine Kann-Bestimmung in Sachen Zaun-Förderung. „Aber selbst mit Förderung bleibt es happig", sagt er. „Aus drei Angeboten muss ich das billigste aussuchen, nach drei Jahren baue ich dann neu, das muss doch vernünftig gemacht werden!" Fehlt noch komplett der Unterhalt des Zauns: Vorgeschrieben ist, dass der unterste stromführende Teil 20 Zentimeter über dem Boden verläuft, um wolfssicher zu sein. „In der Höhe leitet ihnen das Gras den Strom ab, und schon ist der weg. Mit dem Mäher kommen Sie nicht drunter, also müsste ich alle 14 Tage von Hand schneiden – in meinem Fall auf zwölf Kilometern. Das ist nicht machbar."
Was also ist die Alternative? Mit Sachlichkeit und Sachverstand drangehen, sagt Michelchen. Heißt: „Wenn die Wölfe in den Wäldern bleiben, ist ja alles gut. Aber sie sollen weg von Dörfern und Weiden." Schließlich ist das Land von Menschen besiedelt, sie haben große Teile der Wildnis in eine Kulturlandschaft verwandelt, und auch die ist schützenswert, samt ihren Bewohnern. „Dass die Wölfe in den Wäldern bleiben, funktioniert aber nur, wenn es nicht zu viele werden", sagt Michelchen und rechnet vor: Wenn es 1.000 erwachsene Tiere gibt – ab dann, heißt es, sei die Population in Deutschland nicht mehr gefährdet –, könnte der Bestand mitsamt den dazugehörigen Jungen insgesamt bis auf 8.000 steigen, wenn man zwei Elterntiere und den Nachwuchs aus zwei Jahren zusammenrechnet. „In ganz Europa bis hinunter zum Ural leben insgesamt 30.000 Wölfe, und nirgendwo außer in Deutschland gelten sie als gefährdet", ergänzt er. Würde es nicht reichen, 20 Rudel im dicht besiedelten Bundesgebiet zu haben – anstatt wie jetzt so viele allein schon in Brandenburg?
Wölfe zurück in die Wälder
Man sollte über eine Bestandsregulierung nachdenken, wie es beispielsweise auch in Schweden gang und gäbe sei, regt Michelchen an. Dort werden Wölfe gejagt. In Deutschland braucht es nach seiner Ansicht eine öffentliche Regelung, damit da, wo es akut Probleme gibt, auch einzelne Tiere geschossen werden können. Mit Betonung auf „akut": Erst nachweisen zu müssen, dass zweimal derselbe Wolf zugeschlagen habe – wie, bitte, soll das funktionieren? Abgesehen davon, dass ein Wolf eben aus Instinkt jage, bis sich nichts mehr bewegt; weil eingezäunte Tiere nicht wie Rehe oder Wildschweine im Wald weglaufen können. So passieren die großen Risse.
Und damit nicht immer öfter der Fall „akut" eintritt? „Ziel müsste doch sein, dass sich die Wölfe in die Wälder zurückziehen, da gehören sie hin, da können sie gerne leben", sagt Michelchen. Und die Tiere sind ja schlau: Der Wolfsbeauftragte glaubt, dass sie sehr schnell lernen würden, sich von Mensch und Vieh fernzuhalten, wenn sie bejagt würden. „Wir müssen uns mit Sachverstand fragen: Was ist verträglich mit besiedeltem Land, wie viele Wölfe wollen wir haben?" Er ist für Begrenzung, glaubt sicher, dass sich diese Erkenntnis irgendwann doch durchsetzen muss. Und plädiert für eine öffentliche Regelung, dass Jäger als verantwortungsvolle Fachleute wie auch bei anderem heimischen Wild geordnet eingreifen – also schießen – dürfen. Michelchen wird da ganz konkret: „Für alles und jedes gibt’s ’ne App", so sein Vorschlag. „Da könnte man doch sagen: So und so viele Wölfe will ich im Gebiet, der Rest wird freigegeben. Und immer, wenn ein Jäger ein Tier geschossen hat, trägt er das ein – die App zählt rückwärts, bis der gewünschte Bestand erreicht ist."
„Wir sind keine Wolfshasser", sagt er über die, die sich unter dem Label „Wolfsfreie Zone" zusammengetan haben. Viehhalter, Schäfer, Züchter, Bio-Bauern – ihr Ziel ist es, auch weiterhin „ohne Angst auf dem Land leben" zu können. Und auch ihren Berufen weiter nachzugehen: Gerade die Bio-Bauern mit Weidehaltung, fürchtet Michelchen, könnten nach und nach aufgeben, wenn es so weiter gehe. Spätestens, wenn es kein leckeres Bio-Weiderind aus der Region mehr zu kaufen gebe, würden das alle spüren. Auch die Städter.
„Wer irgendwo in der Stadt wohnt, kann Wölfe gerne von fern ganz toll finden", erklärt er. Auf dem Land, in direkter Nachbarschaft, fühle sich das aber ganz anders an: „Wenn du das Gefühl hast, die Kinder lieber im Blick behalten zu wollen, weil eines der größten Raubtiere hier frei lebt und zu nahe kommt, dann ist was schief."
Wer einmal in die Natur eingegriffen habe, um sie zu nutzen für Felder, Häuser, Weiden, könne nicht auf einmal aufhören, sich zu kümmern. „Wir sind quasi verdammt, weiter einzugreifen, um das Gleichgewicht zu wahren."