Er kennt die Sorgen der Schafzüchter, und er weiß, wie sie sich gegen den Wolf schützen können: Knut Kucznik ist selbst Schäfermeister mit rund 300 Tieren. „Hirten sind ein Grundpfeiler der Gesellschaft", sagt er. Und wünscht sich mehr Anerkennung und bessere staatliche Unterstützung.
Herr Kucznik, mögen Sie Wölfe?
Nein, weil sie meine Schafe bedrohen. Ich mag auch keine Bandwürmer. Hunde mag ich, das sind Kumpel. Der Wolf dagegen ist ein feiger Räuber und eben kein Kumpel.
Haben Sie schon mal einen Wolf gesehen?
In der freien Landschaft noch nicht, aber zerrissene Schafe meiner Kollegen habe ich schon oft gesehen.
Wie kommt es dazu, dass Wölfe Schafe reißen? Es gibt doch genug Wild in unseren Wäldern.
Schafe sind eine leichte Beute für den Wolf. Sie haben viel Fleisch, bis zu 50 Kilogramm. Ein Reh bringt vielleicht zehn Kilo auf die Waage. Und ein Wolf wägt genau ab: Wie erziele ich den höchsten Nutzen bei geringstem Körpereinsatz und am wenigsten Gefahr?
Aber die Schafe sind doch meistens geschützt ...
Der Wolf kontrolliert genau, wie stark der Schutz ist – der läuft die Weiden ab und sucht nach der Lücke. Und wenn die Gelegenheit günstig ist, schlägt er zu. Das ist für ihn immer noch besser, als einem Reh hinterherzurennen.
Warum reißen die Wölfe, wenn sie eine Schafherde angreifen, gleich so viele Tiere?
Da siegt der Jagdtrieb über den Fresstrieb. Die Schafe rennen weg, wenn der Wolf angreift, aber sie können nicht weg, weil sie im Gatter stehen. Dann tötet er halt immer weiter. Das ist wie beim Fuchs im Hühnerstall – der lässt auch kein Huhn übrig.
Wie viele Wölfe leben in Ihrer Umgebung?
Wir haben in Brandenburg und Ostsachsen die höchste Wolfsdichte in Europa. Die nächsten Rudel sind laut Wolfverbreitungskarte im Sauener Forst und in Müllrose, das sind 40, 50 Kilometer weg. Aber ein Wolf legt in einer Nacht schon einmal 30 Kilometer zurück.
Wie kann man Schafe oder Ziegen auf der Weide effektiv vor dem Wolf schützen?
Das geht nur mit Elektrozäunen und Herdenschutzhunden. Der Wolf ist feige, das ist kein heroisches Raubtier. Der kalkuliert sein Risiko genau. So ein Herdenschutzhund muss nicht mal kämpfen, es genügt, wenn der einfach stehen bleibt und dem Gegner signalisiert: Mit mir musst du kämpfen, wenn du zu den Schafen willst, mit mir gehst du das Risiko ein, verletzt zu werden. Und ein Wolf weiß genau, wenn er eine verletzte Pfote hat, kann er nicht mehr jagen, dann gerät er in Gefahr, zu verhungern. Er kann ja nicht zum Tierarzt gehen. Also lässt er es bleiben.
Wer bezahlt das denn alles – Zäune, Hunde und Unterhalt? Und was kostet das?
Das Betriebseinkommen des Schäfers reicht nicht, wenn er sich vor dem Wolf schützen möchte. Für einen wolfabwehrenden Elektrozaun zahlt Ihnen das Umweltministerium zwischen 50 Cent und 1,14 Euro pro laufenden Meter. Für einen Herdenschutzhund bekommen Sie bis 4.000 Euro.
Das alles sind Einmalzahlungen, da sind die Unterhaltskosten für den Hund – Futter, Tierarzt – nicht drin. Die sind noch einmal so hoch. Da ist aber auch die zusätzliche Arbeitsleistung nicht mit berechnet, die ein Schäfer erbringen muss, wenn er seinen Elektrozaun immer wieder neu auf- und wieder abbauen muss, je nach Standort der Herde. Ich bin früher mit einer Hilfskraft ausgekommen, jetzt muss ich wegen des Mehraufwands zwei Arbeiter bezahlen.
Und wenn der Wolf doch kommt und Schafe reißt – wie hoch ist da die Entschädigung?
Das kommt auf die Sorte Schafe an, die Sie auf der Weide haben. So ein besonderes Zuchttier kann bis zu 4.000 Euro wert sein. Der durchschnittliche Preis für Herdbuchtiere liegt bei 250 bis 400 Euro. Reine Fleischschafe oder Lämmer sind 100 bis 150 Euro wert.
Und das bekommt der Hirte auch gezahlt?
Ja, aber nur, wenn er bereits einen Elektrozaun von 90 Zentimetern Höhe installiert hat – das ist Mindeststandard. Wer seine Herde nicht schützt, bekommt nichts. Leider gibt es davon noch viele in Brandenburg.
Nehmen Sie meinen Vater – er ist körperlich nicht mehr in der Lage, Zäune zu bauen. Wie der seine sieben Ziegen eingehegt hat, ist das eine Einladung an den Wolf. Kommt einer, ist es mit der kleinen Herde aus. So leben noch viele ältere Leute hier. Das ist ja das Fatale: Wenn ein Wolf nicht früh genug vergrault wird und sich einmal gemerkt hat, dass er auf einer Weide gefahrlos leichte Beute machen kann, dann versucht er es immer wieder.
Stirbt der Beruf des Schäfers aus?
Ja und nein. Die meisten Menschen haben den Bezug zur Landwirtschaft, also auch zur Schäferei, verloren. Aber die Hirten werden nicht aussterben: Sie sind ein Grundpfeiler der Gesellschaft. Hirten gibt es in der Familie, in den Schulen, im Beruf, in der Kirche natürlich. Und bewusst oder unbewusst möchte sich jede Herde gut behütet fühlen. Meine Hoffnung ist, dass sich die Gesellschaft darauf wieder besinnt und auch den Wert dessen wieder erkennt, was wir Schäfer tun.
Und bis dahin?
Unser Bundesverband fordert eine Weidetierprämie in Höhe von 38 Euro je Mutterschaf und -ziege, um die deutschen Betriebe wirtschaftlich zu stabilisieren. 22 europäische Mitgliedstaaten unterstützen so ihre Schäfer mit rund 500 Millionen Euro im Jahr – Deutschland nicht. Für die Einführung ab dem 1. Januar 2019 reicht eine Meldung der Bundesregierung an die Europäische Kommission bis zum 1. August 2018. Ein anderes europäisches Instrument zur Förderung der Schäferei wird es in absehbarer Zeit kaum geben.
Die Schäferei ist auch Landschaftspflege, sagt Ihr Verband. Worin besteht Ihr Beitrag zur Ökologie?
Wir verbinden mit unseren Herden Biotope, Schafe transportieren in ihrem Fell Schnecken, Insekten, Pollen von Ort zu Ort. Damit tragen wir dazu bei, das Artensterben wenigstens zu verringern. Lammfleisch ist über den Preis nicht mehr konkurrenzfähig. Dafür sind gesellschaftliche Güter gefragt, die Schäfer lange Zeit unentgeltlich erzeugten: Klima, Artenvielfalt, Landschaft, tiergerechte Haltung. Der Wert dieser Leistungen für die Gesellschaft ist vielfach größer als der Marktwert von Fleisch, Milch und Wolle. Aber angemessen entlohnt werden die Schäfer für solche Leistungen weder am Markt noch durch staatliche Beihilfen. In Zukunft muss eben der Herdenschutz in die Kosten für die Landschaftspflege mit eingepreist werden.
Das Insektensterben ist ja bekannt – also ist die Öffentlichkeit doch auf Ihrer Seite?
Klar, wenn die Biodiversität verloren geht, merken das die Menschen früher oder später. Das beste Beispiel sind die Bienen. Wenn die fehlen, gibt es auch keine Ernten.
Dinge, an die man bei Schafen erst mal nicht so denkt. Und der Wolf gefährdet sie. Müssen wir denn zukünftig mit ihm leben?
Ja, es geht ja nicht anders. Wölfe sind gesetzlich streng geschützt. Auch wenn die Jagd auf Wölfe wieder erlaubt wäre – die Jäger werden sie genauso wenig ausrotten können wie die Waschbären oder die Mufflons. Das sind Wildschafe, die aus irgendeinem Gehege weggelaufen sind. Sie vermehren sich gerade explosionsartig, etwa in Rheinland-Pfalz. Wenn die Wölfe mal dahin kämen, hätte das ganz schnell ein Ende.
Soll man „Problemwölfe" schießen?
Ich bin Hirte, kein Jäger. Aber wenn es dazu käme, dass ein Jäger einmal einen Wolf, der immer wieder auch in geschützte Weiden eindringt und Tiere reißt, abschießt, würde das unseren Leuten schon den Rücken stärken. Das wäre ein Zeichen, dass die Verantwortlichen es mit dem Schutz der Herden ernst nehmen.