Vor 75 Jahren wurden Hans und Sophie Scholl festgenommen und vier Tage später zum Tode verurteilt, weil sie Flugblätter gegen das nationalsozialistische Regime verteilt hatten. Die beiden Geschwister und ihre Gruppe „Weiße Rose“ wurden zum Symbol des bürgerlichen Widerstands gegen Adolf Hitler.
Der Fernsehsender „Arte“ hat es 2005 einmal ganz genau nachgerechnet. Von den mehr als 36.000 staatlichen Schulen in Deutschland sind die meisten nicht etwa nach Johann Wolfgang von Goethe, Albert Schweitzer oder Friedrich Schiller benannt, sondern nach den Geschwistern Scholl. Nach Hans und Sophie Scholl, die am 18. Februar 1943 dabei erwischt wurden, wie sie Flugblätter gegen das nationalsozialistische Regime an der Münchener Universität verteilten und dafür vier Tage später zum Tode verurteilt wurden. Die beiden 24 und 21 Jahre alten Geschwister, Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, wurden so zum Symbol des studentisch-bürgerlichen Widerstands gegen das Hitler-Regime. Oder wie es der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse 2003 bei der Gedenkveranstaltung der Stiftung „Weiße Rose“ formulierte: „Ihr Widerstand speist sich ganz wesentlich aus jugendlicher Sehnsucht nach Menschlichkeit, aus jugendlicher Leidenschaft für Freiheit und Gerechtigkeit. Das lässt die Geschwister Scholl und die anderen auch über die Zeitdistanz von 60 Jahren uns so nahe, so lebendig sein.“
Einer der anderen war Willi Graf, der zusammen mit seiner Schwester Anneliese am gleichen Tag wie die Scholls in München festgenommen wurde und am 19. April 1943 wegen Hochverrats, Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung vom Volksgerichtshof unter Vorsitz Roland Freislers zum Tode verurteilt wurde. Graf wurde am 12. Oktober 1943 im Gefängnis Stadelheim mit dem Fallbeil enthauptet. Seine sterblichen Überreste wurden 1946 exhumiert und auf Wunsch der Familie in ein Ehrengrab in Saarbrücken überführt.
Anfangs sogar mit dem Regime sympathisiert
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, hatten Sophie und Hans Scholl anfangs sogar noch mit dem Regime sympathisiert. Beide glaubten zunächst an das von den Nazis propagierte Gemeinschaftsideal. Sophie Scholl trat dem Bund Deutscher Mädel (BDM) bei, ihr Bruder Hans war begeistertes Mitglied der Hitler-Jugend. Doch schon bald durchschauten sie die wahren Absichten der neuen Machthaber. So wunderte sich Sophie Scholl früh, warum ihre jüdische Klassenkameradin nicht auch Mitglied im BDM sein durfte. Sie verstand auch nicht, weshalb man plötzlich nicht mehr aus den Büchern Heinrich Heines vorlesen durfte – die Werke des jüdischen Dichters waren im Mai 1933 von den Nazis öffentlichkeitswirksam verbrannt worden. 1937 wurden Hans und Sophie Scholl dann zusammen mit zwei weiteren Geschwistern erstmals verhaftet.
In der Folge wandten sich die Geschwister vom Nationalsozialismus ab. Stattdessen fanden sie Halt im christlichen Glauben. Ende 1941 schrieb Hans Scholl in einem Brief an den katholischen Publizisten Carl Muth: „Ich bin erfüllt von der Freude, zum ersten Mal in meinem Leben Weihnachten eigentlich und in klarer Überzeugung christlich zu feiern. Eines Tages ist dann von irgendwoher die Lösung gefallen. Ich hörte den Namen des Herrn und vernahm ihn. Dann ist es von Tag zu Tag heller geworden. Dann ist es wie Schuppen von meinen Augen gefallen. Ich bete. Ich spüre einen sicheren Hintergrund, und ich sehe ein sicheres Ziel. Mir ist in diesem Jahr Christus neu geboren.“
In Zeiten des Krieges war die Religion ein Mittel, um die Seele zu beruhigen. Doch nicht allein darum ging es den Geschwistern Scholl. Ihr Ziel war das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Im Juni 1942 gründete Hans Scholl zusammen mit seinem Kommilitonen Alexander Schmorell die studentische Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Über den Ursprung des Namens ist viel gerätselt worden, bis heute ist der genaue Hintergrund nicht bekannt. Hans Scholl selbst gab im Verhör zu Protokoll: „Der Name ,Die Weiße Rose‘ ist willkürlich gewählt. Ich ging von der Voraussetzung aus, dass in einer schlagkräftigen Propaganda gewisse feste Begriffe da sein müssen, die an und für sich nichts besagen, einen guten Klang haben, hinter denen aber ein Programm steht.“
Bald darauf bestand der Kern der Gruppe aus sechs Personen: neben den Geschwistern und Schmorell auch noch Christoph Probst, Willi Graf und der Universitätsprofessor Kurt Huber. Sie verfassten Flugblätter, in denen sie die Bevölkerung zum Widerstand aufriefen. Gleich im ersten hieß es: „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ,regieren‘ zu lassen. Ist es nicht so, dass sich jeder ehrliche Deutsche heute seiner Regierung schämt, und wer von uns ahnt das Ausmaß der Schmach, die über uns und unsere Kinder kommen wird, wenn einst der Schleier von unseren Augen gefallen ist und die grauenvollsten und jegliches Maß unendlich überschreitenden Verbrechen ans Tageslicht treten?“ In weiteren Flugblättern riefen sie zum passiven Widerstand, später auch zur Sabotage auf und berichteten vom Völkermord an den polnischen Juden. Das vierte Flugblatt endete mit den Worten: „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen; die Weiße Rose läßt Euch keine Ruhe!“
Vom Hausmeister der Uni denunziert
Diese ersten vier Flugblätter wurden noch ausschließlich per Post an Intellektuelle im Raum München verschickt. Erst mit dem fünften und sechsten Flugblatt zielte die Gruppe Anfang 1943 auf die breite Masse ab und verteilte es in mehreren süddeutschen und österreichischen Städten. Zu diesem Zeitpunkt waren sie überzeugt, dass der Krieg verloren war: „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern.“ Nachdem die deutsche Armee in Stalingrad kapituliert hatte, hofften sie auf einen breiten Widerstand innerhalb der kriegsmüden Bevölkerung. Doch dazu kam es nie. Stattdessen schwor Reichspropagandaminister Joseph Goebbels das Volk ausgerechnet am Tag der Verhaftung von Hans und Sophie Scholl in seiner Sportpalastrede auf den „totalen Krieg“ (siehe FORUM Augabe 8/2018) ein.
Es war der 18. Februar 1943, als die Geschwister Scholl dabei erwischt wurden, wie sie Flugblätter in den Lichthof der Münchener Universität flattern ließen. Hausmeister Jakob Schmid hatte mitbekommen, was sie dort taten, und lieferte die beiden an die Geheime Staatspolizei (Gestapo) aus. Kurz darauf wurde auch Christoph Probst festgenommen, der ebenfalls der „Weißen Rose“ angehörte. Weil er Frau und Kinder hatte, wollten ihn die anderen eigentlich aus der Sache heraushalten. Allerdings trug Hans Scholl bei seiner Verhaftung den Entwurf eines Flugblattes bei sich, in dem Probst zum Sturz Adolf Hitlers aufrief, sodass auch er zwei Tage später festgenommen wurde.
In den folgenden Verhören versuchten Hans und Sophie Scholl, möglichst viel Schuld auf sich zu nehmen, um ihre Freunde und Mitstreiter zu retten. Vergeblich, wie sich später herausstellte, denn in einem zweiten Prozess wurden zwei Monate später mit Alexander Schmorell, Kurt Huber und Willi Graf weitere Mitglieder der „Weißen Rose“ zum Tode verurteilt. Auch den Geschwistern Scholl war bewusst, dass mit ihrer Verhaftung auch gleichzeitig schon ihr Todesurteil gesprochen war. Sie wurden vor den Volksgerichtshof gestellt, für den Reichsjustizminister Otto Georg Thierack erst ein Jahr zuvor klargestellt hatte: „Bei keinem anderen Gericht als beim Volksgerichtshof tritt so klar zutage, dass die Rechtsprechung dieses höchsten politischen Gerichtshofes mit der Staatsführung in Einklang stehen muss. Im Allgemeinen muss sich der Richter des Volksgerichtshofs daran gewöhnen, die Ideen und Absichten der Staatsführung als das Primäre zu sehen, das Menschenschicksal, das von ihm abhängt, als das Sekundäre.“
Mit der Guillotine enthauptet
Eigens für diesen Prozess wurde der gefürchtete „Blutrichter“ Roland Freisler aus Berlin eingeflogen. Die Anklage gegen Hans und Sophie Scholl lautete auf „landesverräterische Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“. Sie leugneten ihre Taten nicht, stattdessen begründeten sie vor Gericht noch einmal ihr Vorgehen: „Einer muss ja doch schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen“, sagte Sophie Scholl. Auch als Frau mochte sie nicht anders als bei beiden männlichen Angeklagten behandelt werden. „Wenn mein Bruder zum Tode verurteilt wird, so will und darf ich keine mildere Strafe bekommen. Ich bin genauso schuldig wie er.“
Am 22. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst zum Tode verurteilt, nur wenige Stunden später wurde das Urteil auch schon vollstreckt. Alle drei wurden mit der Guillotine enthauptet. Scharfrichter Johann Reichhart äußerte später, er habe noch nie jemanden so tapfer sterben sehen wie Sophie Scholl. Kurz vor ihrem Tod hatte sie auf die Rückseite der Anklageschrift das Wort „Freiheit“ geschrieben. Auch die letzten Worte ihres Bruders sollen gewesen sein: „Es lebe die Freiheit!“ An der Wand seiner Zelle hatte er mit Bleistift eine Notiz hinterlassen: „Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.“ Ein Zitat von Goethe und die Losung der Familie Scholl.