Italien wählt: Die Parteien suchen ihr Heil in Spendierhosen-Politik
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker verplapperte sich bei einer Diskussionsveranstaltung vor gut einer Woche in Brüssel. Er fürchte eine „starke Reaktion auf den Finanzmärkten" in der zweiten März-Woche, nach der Parlamentswahl in Italien und der SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag. Er mache sich dabei „mehr Sorgen" über Italien, so Juncker. Die Kommission bereite sich auf das Worst-Case-Szenario für den Fall vor, dass es keine handlungsfähige Regierung in Rom geben werde. Einen Tag später ruderte Juncker zurück, doch der Verdacht war in der Welt.
Die Nervosität in den höchsten EU-Zirkeln ist berechtigt. Am kommenden Sonntag wählen die Italiener. Doch ein stabiles Kabinett ist nicht in Sicht. Die regierenden Sozialdemokraten könnten nach neuesten Umfragen unter die 20-Prozent-Marke rutschen. Die linkspopulistische Fünf-Sterne-Partei käme auf 28 Prozent und wäre damit stärkste Kraft. Doch bislang hatte sie sich strikt geweigert, in eine Koalition einzutreten.
Das Mitte-rechts-Bündnis um den viermaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi verzeichnet demnach rund 35 Prozent. Doch das reicht nicht. Nach dem italienischen Wahlgesetz sind rund 40 Prozent der Stimmen nötig, um die absolute Mehrheit der Parlamentssitze zu bekommen. Dem 81-jährigen Berlusconi ist das Amt des Premiers zwar verwehrt, da er 2013 wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Aber er würde gern hinter dem Vorhang die Strippen ziehen.
Italiens Politik stößt auf großes Misstrauen. Laut einer Erhebung haben 81 Prozent der Bürger eine miserable Meinung vom Staat. Darüber hinaus wird der relativ schlechte Zustand des Landes der politischen Klasse angekreidet. Italien hat gerade die tiefste Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs hinter sich. Es verlor dabei 25 Prozent der Industrieproduktion sowie eine Million Arbeitsplätze. In der EU sind 7,3 Prozent der Menschen ohne Job, in Italien liegt der Anteil bei 10,8 Prozent. Zudem hat das Land hinter Griechenland die zweithöchste Staatsverschuldung der Gemeinschaft.
Das Problem: Die Parteien blenden die Realität aus und suchen stattdessen nach Sündenböcken. So überbieten sich die Partner der Mitte-rechts-Allianz gegenseitig mit radikalen Parolen und ausländerfeindlichen Vorschlägen. Es findet ein Wettlauf statt, wer mehr illegale Einwanderer abschiebt. Konservative, Rechts- und Linkspopulisten poltern gleichermaßen gegen die strengen Sparvorgaben aus Europa, die als deutsches Austeritäts-Diktat gebrandmarkt werden.
Berlusconi wirbt mit der Einführung der italienischen Lira als Parallelwährung, um öffentliche Aufträge und inneritalienische Geschäfte zu bezahlen. Die Fünf-Sterne-Partei trommelte lange Zeit für ein Referendum über den Ausstieg aus dem Euro. Was alle Parteien eint, ist der Wunsch nach mehr „Flexibilität" in Brüssel: Die im Maastricht-Vertrag festgeschriebene Drei-Prozent-Grenze bei der Neuverschuldung soll zu jeder Zeit überschritten werden können.
Angesichts der hohen Unzufriedenheit zünden sämtliche politischen Lager ein gigantisches Feuerwerk von Wahlversprechen. Berlusconi lockt Rentner mit einer Verdoppelung der Mindestpension auf 1.000 Euro. Die Fünf-Sterne-Partei macht sich für ein Bürgergehalt von monatlich 780 Euro sowie 17 Milliarden Euro Zuschüsse für Familien stark. Es ist die alte italienische Krankheit der 80er- und 90er- Jahre: Die murrenden Bürger sollen mit einer maßlosen Spendierhosen-Politik ruhiggestellt werden.
Bislang konnte sich Italien dank günstiger Rahmenbedingungen mit seiner Finanzierung auf Pump über Wasser halten. Die Europäische Zentralbank sorgte durch ihre Niedrigzins-Linie für billiges Geld. Zudem kaufte die EZB Staatsanleihen auf, was zusätzlich Mittel in die öffentlichen Kassen spülte.
Diese Politik der offenen Taschen wird Ende 2018 oder spätestens 2019 aufhören. Dann steckt die Regierung in der Schuldenfalle. Darlehen auf dem Kapitalmarkt werden teurer, die italienischen Banken sitzen auf einem Berg fauler Kredite und lassen Unternehmen und Verbraucher abblitzen.
Wenn es hart auf hart kommt, reicht der Euro-Rettungsfonds ESM nicht aus, um der drittgrößten Volkswirtschaft der EU aus der Patsche zu helfen. Das ist das nächste riskante Szenario für Europa.