Der Triumph der Links- und Rechtspopulisten ist ein Weckruf für Brüssel.
Mit der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten hat sich die EU lange Zeit froh gemacht. Es kam eine veritable Euphorie ins Rollen. Macron hatte mit seinem betont europafreundlichen Kurs nicht nur den rechtsextremen Front National in Frankreich besiegt. Er galt plötzlich als Wunderwaffe gegen die rechtspopulistischen Dämonen in der EU – egal, ob sie AfD (Deutschland), Partei für die Freiheit (Niederlande) oder FPÖ (Österreich) heißen. Endlich neuer Schwung für eine tiefere Integration der Gemeinschaft, lauteten die Jubel-Seufzer aus Brüssel und Berlin. Vor allem die SPD verfiel in einen regelrechten Macron-Rausch.
Die Parlamentswahl in Italien hat den jüngsten europäischen Frühling jäh beendet. Die beiden Gewinner, die linkspopulistische Fünf-Sterne-Partei und die Rechtsaußen-Gruppierung Lega, haben das politische Establishment schwer erschüttert. Der sozialdemokratische Partito Democratico um (Noch-)Regierungschef Paolo Gentiloni wurde ebenso abgestraft wie die rechtskonservative Forza Italia des 81-jährigen Polit-Dinos Silvio Berlusconi.
Aber auch die EU geriet immer mehr ins Visier. Für die Fünf-Sterne-Partei und die Lega ist die Gemeinschaft gleichbedeutend mit brutalen Sparvorgaben und deutschen Machtinteressen. In der Schärfe gleicht die Polemik der Anti-EU-Propaganda des linkspopulistischen griechischen Premierministers Alexis Tsipras zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2015.
Die ursprünglich verfolgte Absicht, aus der Eurozone auszutreten, haben Fünf-Sterne-Partei und Lega zwar auf Eis gelegt. Doch dürften sie künftig den Druck auf Brüssel erhöhen: Sie werden eine Dehnung des Drei-Prozent-Limits bei der Neuverschuldung für mehr Investitionen und höhere staatliche Leistungen fordern. Bedingungsloses Grundeinkommen, niedrigere Steuern, üppige Milliardenpakete für Familien: Angesichts der leergefegten öffentlichen Kassen lässt sich dieses Wünsch-dir-was-Programm nur auf Pump finanzieren. Als nahezu sicher gilt, dass entweder die Fünf-Sterne-Partei oder die Lega in der Regierung sitzt – möglicherweise koalieren sogar beide.
Die Gewinner-Parteien haben sich nicht nur mit Blick auf Europa, sondern auch in der Flüchtlingspolitik ähnlich positioniert. Beide verlangen eine rigorose Grenzsicherung und eine schnelle Abschiebung illegaler Einwanderer. Das deckt sich mit einem Grundgefühl in der Bevölkerung: Mehr als 70 Prozent der Italiener glauben, dass zu viele Migranten im Land sind. Auf diesem Feld hat die EU grob versagt und die Regierung in Rom allein gelassen. Seit 2014 sind mehr als 600.000 Flüchtlinge in Italien gestrandet. Brüsseler Politiker haben unzählige Sonntagsreden gehalten und mit warmen Worten Trost gespendet. Doch wenn es um Finanzierung der Migranten-Betreuung ging, duckten sich die meisten weg.
So verständlich die Klage in diesem Punkt ist: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind Fünf-Sterne-Partei und Lega auf dem Holzweg. Italiens Wachstum ist deutlich niedriger als im EU-Durchschnitt. Das Land hat nach Griechenland die zweithöchste Staatsverschuldung in der Gemeinschaft. Die Arbeitslosenrate liegt über zehn Prozent. All dies sind hausgemachte Probleme, die nur vor Ort gelöst werden können. Italiens Regierung muss auf die Kostenbremse treten und ein Klima der Leistung und Innovation schaffen, damit die Firmen wettbewerbsfähiger werden. Nur dies würde Italien voranbringen. Milliarden-Investitionen für Straßen, Brücken oder Breitband-Internet aus einem Eurozonen-Budget à la Macron würde allenfalls für ein konjunkturelles Strohfeuer sorgen.
Eine derartige Abhilfe, durch die das Land mittelfristig wieder auf die Beine käme, ist jedoch nicht in Sicht. Vielmehr dürfte eine Koalition mit Beteiligung der Fünf-Sterne-Partei und/oder der Lega die Politik des Selbstbetrugs fortsetzen: Mehr Bonbons aus der Staatskasse, um die Wutbürger zu besänftigen.
Aber auch die EU sollte eine Lektion aus der Italien-Wahl mitnehmen. Statt hochfliegende Integrationspläne zu spinnen, sollte sie sich auf das Wesentliche und das Machtbare besinnen: Grenzsicherung, gemeinsamer Anti-Terror-Kampf, Wirtschaftswachstum. Tut sie das nicht, werden die Gräben zwischen Nord und Süd sowie Ost und West noch tiefer werden. Die Italien-Wahl war ein Weckruf.