Das „Mavericks" im „Vienna House Andel’s" in Berlin ist perfekt, um sich mit mehreren Personen durch die Karte zu schnabulieren. Alles, was auf den Tisch kommt, wird miteinander geteilt und probiert. Genussvielfalt pur.
Kalifornien hat eine Außenstelle in Lichtenberg. Die wird allerdings eher über S-Bahn-Schienen als über pazifische Wellen angesurft. Oder über die sechsspurige Landsberger Allee, die durchaus amerikanische Dimensionen hat. Im „Mavericks", dem Restaurant im Erdgeschoss des „Vienna House Andel’s Berlin", werden vor an die Wand gehängten Skateboards und unter schwebenden Kochtopflampen Röllchen, Burger, Steaks und Salate serviert. Das klingt lapidarer als es ist.
Die Gerichte sind alltagstauglich, für Leicht-Esser ebenso wie für Freunde ausgeprägter fleischlicher Gelüste gemacht. Menschen aus der Nachbarschaft im Dreibezirke-Eck am S-Bahnhof Landsberger Allee finden ebenso Schmackhaftes wie Hotelgäste, die spontan im Haus essen wollen.
Das „Mavericks" steht für unkomplizierten California-Style. Zwanglos und erfrischend wie im Südwesten der USA geht es in der offenen Küche, an der langen Bar und an den Tischen in den „Schaufenstern" oder auf der Empore zu. Seit Mai 2017 ist „Surfin’ USA" die Devise in dem mit 74 Plätzen recht groß geratenen Ecklokal. Ganz gleich, ob sich „Thunfisch-Tataki", „King Crab Cakes" oder „Mavericks Roll" Starter, Snack oder Vorspeise nennen – die kleineren Gerichte mit Meeresgetier, Reis und Gemüse sind frisch und machen Freude.
„Wir nehmen nicht irgendwelche, sondern immer die besten Produkte", sagt Küchendirektor Manuel-Björn Winter. In die Burger etwa kommen nur Pattys aus einem Wagyu-Rindfleisch-Mix hinein. „Hundert Prozent Wagyu-Rind wäre zu krass im Geschmack", ergänzt Küchenchef Robert Grell. Vielleicht auch einen Tick zu fett, denn das Fleisch der japanischen Rinder ist fein, aber üppig marmoriert.
Der „Mavericks Beef Burger" mit gereiftem Cheddar, Tomaten, Salat, Zwiebelchen und Gurke hat sich aufs Wesentliche besonnen und ist die unumstrittene Nummer eins bei den Gästen. Einen besonderen Kick geben die geräucherte Orangen-Mayonnaise und der purpurfarbene „Cole Slaw Frisco Style". In Letzteren kommen „ein Kopf Rotkohl und ein Kopf Weißkohl", erläutert Robert Grell. Karotten, Rosinen und eine Schmand-Mayo steuern Süße und Schmackes bei, ohne den Krautsalat zu beschweren.
Das Geheimnis der Schmackhaftigkeit ist die Zubereitung
„California-Style ist nicht fettig, anders als etwa die Südstaaten-Küche", erklärt er. Grell und sein fünfköpfiges Küchenteam achten darauf, dass sich der Geschmack über gute Produkte und gute Würze transportiert, nicht über unnützes Fett. Glaubt man dem Küchenchef, ist die typische Küche eigentlich ganz einfach herzustellen: „Walnüsse, Mandeln, Artischocken und Orangen", sagt er augenzwinkernd, „dann hast du Kalifornien im Essen."
Wenn’s denn ganz so einfach wäre, müssten wir nicht ins „Mavericks" pilgern und die Profis bemühen. Low Carb, Steaks, Asiatisches, Gemüse und Salat sind Bestandteile der sonnengeprägten Küche, die sich in den 80er-Jahren zunächst aus italienischen und französischen Einflüssen speiste. Rasch besannen sich die Köche jedoch auf regionale Produkte und Erzeuger. Sie hatten festgestellt, dass Tomaten oder Artischocken in Kalifornien anders wachsen und schmecken als in der Toskana oder der Provence. Mexikanische, japanische und koreanische Einflüsse von den Nachbarn und Einwanderern kamen schnell hinzu.
Zweiter Favorit der Gäste ist die „Mavericks Roll". In einer meeresblauen Schale schwimmen dunkelrosarote Thunfisch-Scheiben, nachdem sie in schwarzem und hellem Sesam gewälzt und kurz von außen erhitzt wurden. „Mit lauwarmem Rand", meint der Fotograf und gabelt sich ein Stückchen Avocado. Nimmt von der grobstückigen
Chimichurri-Soße dazu. Noch eine Scheibe, noch ein Stückchen, noch eine Scheibe – der Fotograf hat seinen leichten, frischen Liebling des Tages gefunden. Ich wiederum vermisse gar nichts Tierisches, als ich mir Röllchen für Röllchen von der gebackenen Maki-Rolle vom Keramik-Bananenblatt picke. Quinoa, Avocado und Gurke haben sich willig in ein Kombu-Algenblatt wickeln lassen. Ponzu-Soße und eingelegter Ingwer dazu; fertig ist die vegane Sushi-Rolle in sechs Happen.
Belesen geben sich dagegen die feinen Verwandten der Fischfrikadelle: „King Crab Cakes" lagern mit gebratenem Lauch, Spinatblättchen, frischem Spargel und gepickeltem Gemüse auf „Zeitungspapier". Das gewachste „New York Times"-Blatt könnte die Mandelmilch-Aioli als Dip wortreich ankündigen. Die Küchlein sind ein zarter, leichter Einstieg ins gemeinschaftliche Essen.
Wir machen genau das, was sich das „Mavericks"-Team von seinen Gästen wünscht: Wir nehmen die „Sharing Dishes" beim Wort. Alles, was auf den Tisch kommt, wird miteinander geteilt und probiert. So auch das Rib-Eye-Steak, das pur, gebräunt und nur mit Meersalz bekrümelt vor uns landet. 250 Gramm geteilte Fleischeslust mit einem gebratenen Römersalat und einer Grilltomate mit Panko-Kräutermehl-Haube auf olivgrünem Keramikteller. Mehr braucht es nicht fürs Essglück. Ach, doch, das „Mördermesser", wie ich das dunkle, überdimensionale Schneidgerät bezeichne.
Komprimierter Sommertag am Meer
Das Geheimnis der Schmackhaftigkeit des Fleisches liegt in seiner Zubereitung, verrät Robert Grell: „Wir grillen das Steak im ‚Beefer’, einem Spezialgrill, bei 720 Grad für ein bis zwei Minuten. Danach ruht es relativ lange." Das Fleisch gart sich innen praktisch von selbst. Das Äußere bleibt kross, das Innere wird schön rosa. Das Rib-Eye-Steak ist eine „GOP", eine „Greater Omaha Prime"-Qualität, und dry aged, langsam an der Luft gereift. Das gut marmorierte Fleisch ist einmal mehr Garant für den intensiven Geschmack. Liebhaber dieser Qualität zahlen gern 32,50 Euro dafür. Es gibt aber auch preiswertere Gerichte: Die „Mavericks Roll" oder Zucchini-Spaghetti mit Walnusscreme stehen für 9,50 oder neun Euro auf der Karte. Die „Tuna Tataki", der „King Crab Cake" oder ein „Cioppino"-Fischeintopf kosten zwischen 16,50 und 20,50 Euro.
An so mancher Stelle verstecken sich viel Ambition und Handwerk hinterm vermeintlich Einfachen, wie sich zum Beispiel beim „Cioppino"-Eintopf zeigt. Man kocht doch eigentlich nur einen Fischeintopf und legt die gebratene Jakobsmuschel, Garnele, Dorade und Meerbarbe kurz vor dem Servieren auf. Uneigentlich ist der dicke, rote Sud ein verwunschener, drei Mal eingekochter Sterneküchen-Ansatz. Zuerst wird ein „klassischer Hummerfonds aus Karkassen" zubereitet. In der zweiten Runde kommen Karotten, Zwiebeln, Sellerie und Tomaten dazu; ebenso Garnelenkarkassen, die mitpüriert und passiert werden. Im dritten Durchgang werden erneut Karotten und Sellerie zugegeben und das Ganze mit Balsamico und Safran abgeschmeckt.
„So einen Ansatz könnte es auch zwölf Stockwerke weiter oben geben", erklärt Robert Grell. Oben ist die mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete „Skykitchen" von Küchenchef Alexander Koppe. Dort zählen drei, vier oder fünf Ansätze zum Standard. Ich wiederum möchte mich nur unverzüglich in die tomatig-meerige Tunke mit Wurzelstückchen einlegen lassen: Dieser Eintopf ist ein komprimierter Sommertag am Meer. „Bis man bei den zwei einfachen Arbeitsschritten ist, dauert es ein bisschen länger", stapelt der Küchenchef tief. Wie Sterneküche funktioniert, weiß Grell. Er arbeitete unter anderem länger beim zweifach besternten Hendrik Otto im „Lorenz Adlon Esszimmer" des Hotel Adlon.
Weil ein Dessert zum Abschluss sein muss, aber „Lime Pie" oder „Churros", Spritzgebäckkringel, einfach nicht mehr in uns hineinpassen wollen, naschen wir vom „Berry Granola" und „Orange Cinnamon Compote". Das hausgemachte Knuspermüsli mit Joghurt-Vanillecreme und Beerenpüree ist der Favorit – sowohl vom Küchenchef als auch vom Fotografen.
Ich mag wiederum das fruchtige Orangen-Zimt-Kompott mit Blaubeereis sehr gern. Wann filetiert schon jemand zu Hause Orangen, badet sie in einem Thymian-Kardamom-Sud und streut nussige Chiasamen darüber? Ich löffele ein paar leichte, heitere Bissen.
Wenn schon nicht der Pazifik vor der Tür rauscht, können die benachbarten Berliner Bäder Betriebe immerhin einen bescheidenen Ersatz fürs kalifornische Meeresgefühl liefern. Ich bin mir sicher: Nach ein paar Tausend Metern im Sportschwimmbecken fühlt sich das „Mavericks" besonders nah an.