Krieg und Gewalt sind für Menschen schlimm genug. Vergessen werden dabei oft die vielen Zootiere, die in zerstörten Gehegen ausharren müssen. Ihre einzige Chance: Retter, die sich selbst in Gefahr begeben, um das Unmögliche möglich zu machen.
Dass Lucy und Loki noch leben, grenzt an ein Wunder. Die beiden Huskys sind in den vergangenen Jahren durch die Hölle gegangen. Sie haben Granatenstaub eingeatmet, Bombenangriffe miterlebt, Hunger gelitten, Krankheiten überstanden – dieselben Schrecken, die auch Menschen tagtäglich im syrischen Bürgerkrieg erleiden. Mit einem großen Unterschied: Lucy und Loki konnten das Schlachtfeld nicht freiwillig verlassen. Ihre Besitzer sind in den Wirren des Krieges verschollen. Hätte ein Zoowärter die beiden Hunde nicht aufgenommen, wären sie heute mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben.
Doch auch im Krieg gibt es Momente der Menschlichkeit. Der Magic World-Vergnügungspark, ein zehn Quadratkilometer großes Gelände mit integriertem Zoo, grenzt an die zerstörte Großstadt Aleppo. Die Mitarbeiter haben sich schon lange in Sicherheit gebracht. Der Zoobesitzer wurde von Terroristen entführt, konnte aber entkommen und ins Ausland fliehen. Nur ein Wärter hielt tapfer die Stellung, um die letzten verbliebenen Tiere zu füttern und mit Wasser zu versorgen. Fünf Löwen, zwei Bären, zwei Tiger und zwei Hyänen harrten in ihren Käfigen aus. Genau wie Lucy und Loki. Besser eingesperrt überleben als auf der Straße sterben, sagte sich der Wärter.
Inzwischen haben alle Zoo-Bewohner das Martyrium überstanden. Am 21. Juli 2017 evakuierte die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten" die geschwächten Tiere in einer minutiös geplanten Rettungsaktion, einer „Mission Impossible", wie Eingeweihte das Vorhaben vorab bezeichnet hatten. Immerhin begaben sich die Helfer in ein Kriegsgebiet, in dem fast täglich die Fronten wechseln. In eine Region, in der Sprengfallen, Luftangriffe und Schusswechsel zum normalen Alltag gehören. „Wir mussten an sehr viele Dinge denken, damit wir das heil überstehen", erzählt Amir Khalil, Tierarzt und Leiter der Auslandseinsätze bei „Vier Pfoten". Um Scharfschützen und Kampffliegern zu entgehen, versuchten sich die Beteiligten nach allen Seiten abzusichern. Sie verhandelten mit syrischen Soldaten ebenso wie mit türkischen Truppen und kurdischen Kämpfern. Sie legten Schmiergeld bereit. Und sie traten die Rückreise mit zwei verschiedenen Konvois an: einer beladen mit Tieren, ein anderer ohne jegliche Fracht. „So wollten wir unsere Chancen erhöhen", erklärt Khalil. „Die Sicherheit geht bei solchen Einsätzen vor, auch wenn natürlich immer etwas schiefgehen kann."
Kernteam plant Rettungsaktionen
Doch oft hilft auch der beste Plan nichts. Bei einem Einsatz im irakischen Mossul explodierte eine Autobombe nur wenige Meter von den Tierschützern entfernt. Über ihre Köpfe donnerten Kampfjets hinweg. An der Grenze verzögerten Zöllner die Ausreise. Trotzdem begeben sich Menschen wie Amir Khalil freiwillig in Kriegsgebiete, um Tieren zu helfen, die sonst komplett auf sich alleine gestellt wären. Schon die Versorgung von Menschen funktioniert in Konfliktgebieten nur rudimentär, wenn überhaupt. An Hunde, Katzen, Vögel, Tiger und Bären denkt kaum jemand und das nicht einmal aus bösem Willen. Viele Kriegsflüchtlinge sind froh, wenn sie sich selbst in Sicherheit bringen können. Die meisten Tiere haben diese Möglichkeit nicht, denn Hunde und Katzen sind in Flüchtlingsunterkünften nicht vorgesehen. Auf internationaler Ebene existiert ebenfalls keine Struktur, die sich mit dem Thema befasst. Niemand weiß, wie viele Tiere durch bewaffnete Konflikte sterben oder ihre Lebensgrundlage verlieren.
Sollen Zoos und Wildgehege also evakuiert werden, müssen Zivilisten dabei helfen. „Vier Pfoten" beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit dem Thema. Von Wien aus plant ein fünf- bis zehnköpfiges Kernteam die Rettungsaktionen in aller Welt. „Oft treten lokale Organisationen an uns heran und bitten um Hilfe", sagt Amir Khalil. „Oder wir bekommen verzweifelte Facebook-Nachrichten. Die Leute bitten uns, den armen Tieren in verwahrlosten Zoos zu helfen, in denen sich niemand mehr um sie kümmert." Bevor das aber geschehen kann, muss sich ein gigantisches logistisches Räderwerk in Gang setzen. Die Helfer kontaktieren Ansprechpartner vor Ort, planen Transport-Routen, heuern Sicherheitsfirmen an, die den Konvoi bewachen. „Bei unserem letzten Einsatz in Syrien waren allein 34 Personen damit beschäftigt, den Weg abzusichern", berichtet Khalil. „Die Unterstützung war wirklich bemerkenswert."
Für Amir Khalil sind solche Touren beinahe Routine. Der 52-Jährige war schon in Gaza, im Kosovo und in Bagdad unterwegs, um Rettungsaktionen zu leiten. „Es ist immer wieder erstaunlich, was Tiere bewirken können", erzählt der langjährige Tierschützer. „Selbst wenn sich die Menschen gegenseitig umbringen und auf nichts einigen können – wenn unser Konvoi ankommt, legen sie die Gewehre zur Seite." Oft komme es sogar vor, dass Soldaten die Transportboxen tragen oder für Selfies mit den Tieren posieren. Oder sie machen einen gesperrten Weg frei, um kranken Tieren unnötiges Leid zu ersparen. „Eine Hyäne litt an Nierenversagen, die andere war blind", berichtet der Tierretter. Einer der Tiger sei an den Strapazen des Umzugs fast gestorben. „Deshalb wollen wir unnötige Wartezeiten unbedingt vermeiden."
Eine Frage bekommt Khalil immer wieder gestellt: Warum hilft er statt den Tieren nicht lieber den Menschen? „Weil wir nun mal eine Tierschutzorganisation sind", entgegnet er dann. „Außerdem helfen wir sehr wohl auch den Menschen. Wenn wir Tiere in Sicherheit bringen, versorgen und impfen, verhindern wir, dass sich Krankheiten ausbreiten. Und wir verhindern, dass Löwen oder Tiger aus zerstörten Zoogehegen ausbrechen, was die Bevölkerung ebenfalls gefährden würde." Zumal es viele Menschen gibt, die sich explizit für den Schutz von Tieren engagieren. So war die – extrem teure – Rettungsaktion in Aleppo überhaupt nur möglich, weil sich zahlreiche Gönner beteiligten. Der amerikanische Journalist Eric Margolis steuerte einen Großteil der vierstelligen Summe bei, die die Aktion kostete. Auch beim Transport gab es Unterstützer, etwa die jordanische Airline Royal Jordanian, die die Tiere von Istanbul nach Amman ausflog.
Unterstützung durch Gönner
Auf Vereinsebene existieren hingegen nur wenige Organisationen, die sich aktiv mit der Thematik befassen. So hilft der Internationale Tierschutzfonds (IFAW) nach eigenen Angaben bereits seit den 80er-Jahren Tieren in Konfliktgebieten. „Aktuell unterstützen wir drei Tierheime in der Ostukraine", sagt Shannon Walajtys, die für den Bereich „Tierrettung" zuständig ist. „In vielen Ländern ist nicht der Krieg die Ursache des Tierleids", erklärt Walajtys. „Aber der Krieg bringt die Situation überhaupt erst ans Licht." So gebe es rund um Donezk ein großes Problem mit Straßenhunden. „Wir unterstützen lokale NGOs, die mobile Tierkliniken betreiben", berichtet Walajtys. Das Ziel: Straßenhunde impfen, sterilisieren und dadurch die Lage vor Ort verbessern. „Natürlich können wir nicht jeden Hund in eine Boeing 767 setzen und ausfliegen", meint die Tierschützerin. Aber man könne eben auf andere Art helfen. „Im Irak haben wir das Futter für einen Zoo bezahlt", erzählt Walajtys. Auch in Ägypten und Gaza sei der IFAW schon aktiv gewesen. Hinzu kommen zahlreiche Facebook-Gruppen, die Begriffe wie „Animal Rescue" oder „SOS" im Titel tragen. Sie haben sich eine „digitale Unterstützung" von zerstörten Zoos und Auffangstationen auf die Fahne geschrieben.
Das Prinzip ist das gleiche wie bei den großen Organisationen: Wer nicht selbst in Kriegsgebiete fahren möchte, kann Einheimische mit einer Spende unterstützen. Allerdings wird bei vielen der Seiten von Facebook aus direkt auf Homepages verlinkt, die zu Sofort-Überweisungen aufrufen. Wer wirklich dahintersteckt, bleibt im Dunkeln. Einen Rechenschaftsbericht (wie bei eingetragenen Vereinen) findet man nirgendwo. In vielen Fällen gibt es nicht einmal ein Impressum. Ob die Spenden am Ende wirklich am Ziel ankommen, darf zumindest bezweifelt werden.
Ganz anders bei der jüngsten Rettungsaktion in Syrien: Was aus Lucy, Loki und den restlichen Tieren aus dem „Magic World"-Zoo geworden ist, hat „Vier Pfoten" detailliert aufgelistet. Auf der Webseite des Vereins finden sich zahlreiche Fotos und Videos, die die Evakuierung dokumentieren. Nach einem Zwischenstopp in Istanbul sind die meisten Tiere nun an ihrer letzten Station angekommen, dem Wildtierschutz-Zentrum „Al Ma’wa for Nature and Wildlife" in Jordanien. Die zwei geretteten Tiger sollen in die Großkatzenstation „Felida" in den Niederlanden gebracht werden.
Und auch Lucy und Loki bekommen hoffentlich bald ein neues Zuhause, in dem sie sich von Hunger, Krieg und Flucht erholen können. Die Suche nach einer geeigneten Familie läuft bereits auf Hochtouren – diesmal in ihrer neuen Heimat Kanada.
Wie sich am Ende herausstellt, haben die Helfer übrigens nicht nur 13, sondern noch viel mehr Tiere aus Syrien gerettet: Husky-Hündin Lucy brachte im November sechs Welpen zur Welt. Und auch Hajar, das Löwenbaby, wurde kurz nach der Evakuierung geboren. „Es ist, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich in Sicherheit zu sein", sagt Amir Khalil.
Gerne würde sich der engagierte Tierschützer nun selbst ein wenig ausruhen und den jüngsten Erfolg Revue passieren lassen. Doch die globalen Konflikte machen keine Pause, weshalb der Tierarzt schon bald zu einer neuen „Mission Impossible" aufbricht. Nächstes Einsatzziel: Myanmar.