Einmal mit dem Rennauto durch die Kurven sausen: Auf dem Europe Raceway kann dieser Traum wahr werden – mit einem Rennwagen im Maßstab 1:24. Rainer Reif hat in Berlin Europas größte sechsspurige Holzrennbahn aufgebaut.
Berlin ist ja eigentlich nicht gerade als ein Zentrum des Motorsports bekannt. Da denkt man in Deutschland doch eher an Hockenheim oder an den Nürburgring. Doch in einer Rennserie ist die Hauptstadt sogar europaweit die Nummer eins: beim Slot-racing. Die Carrera-Bahn ist wohl das bekannteste Beispiel, doch unter Slotracing versteht man generell jede Form von auf Schienen fahrenden Modellfahrzeugen. Die nicht magnetischen Schienen besitzen dabei in der Regel einen Schlitz (Slot), mit denen die Fahrzeuge (Slotcars) in der Spur gehalten werden.
Rainer Reif hätte als Kind auch gern eine Carrera-Bahn gehabt, doch für eine eigene Anlage fehlte seinen Eltern das Geld. Er hatte bloß eine gebrauchte Faller-Bahn zu Hause. „Aber Carrera war einfach cooler", erinnert er sich. Also ging er nach der Schule zu seinen Freunden, die eine solche Bahn besaßen, und spielte dort. Inzwischen kommen die Leute zu ihm.
Vor gut drei Jahren hat Reif in Berlin den Europe Raceway aufgebaut – Europas längste sechsspurige Holzrennbahn. In einem unscheinbaren Raum in einem Industriegebiet in Marienfelde können sich Motorsportfans seitdem ihren Rennfahrertraum erfüllen, wenn auch nur im Maßstab 1:24. Zwischen 50 und 100 solcher Bahnen, so schätzt Rainer Reif, gibt es in Deutschland, vor allem in Hessen und Nordrhein-Westfalen, doch einige sind nicht öffentlich zugänglich. Und keine ist so lang wie die Berliner Bahn: genau 68,5 Meter. Sie ist in beide Richtungen befahrbar, mit einem Streckenlayout aus schnellen Passagen und verschiedenen Kurvenkombinationen.
Die Strecke führt bergauf und bergab, es gibt Brücken und Tunnel und kleine Lampen am Streckenrand, sodass sogar ein Nachtrennen simuliert werden kann. Angetrieben werden die Modellfahrzeuge durch eine elektrische Spannung von zehn bis zwölf Volt.
Die Anlage ist in der Vergangenheit schon viel herumgekommen: Eine erste Version des Europe Raceways entstand im Sommer 2009 in Kalifornien (USA), dort stand sie in einer Garage und maß damals nur etwa 30 Meter. 2011 zogen die damaligen Besitzer nach Südspanien um, wo sie die Strecke im Keller neu aufbauten, dieses Mal sogar noch einmal vier Meter kürzer. 2014 kaufte Reif ihnen die Anlage ab und brachte sie nach Berlin, wo sie seitdem in mehreren Etappen immer weiter ausgebaut wurde.
„Für Europa wissen wir sicher, dass es keine längere gibt", erzählt er. „Aber es ist auch möglich, dass wir sogar weltweit die längste Bahn haben." Der Streckenrekord liegt bei knapp über zehn Sekunden. Mit bis zu 25 Stundenkilometern sausen die kleinen Rennwagen über die Bahn. „Das klingt erst einmal nicht viel, aber wenn man bedenkt, dass die Modellautos 24 Mal kleiner sind als echte Autos, dann ist das doch ziemlich rasant", sagt Rainer Reif.
Gesteuert wird über eine Art Joystick
Man kann die Modellautos fertig kaufen, doch wer etwas auf sich hält, baut seinen Flitzer selbst. „Das Basteln steigert die Vorfreude auf das nächste Rennen", erklärt Reif. Ein bis zwei Wochen benötigt er, um ein neues Modell zusammenzuschrauben. Manch einer zeigt dabei viel Liebe zum Detail: Es gibt Modelle mit kleinen Figuren als Fahrer, die sogar vorschriftsmäßig einen Sicherheitsgurt tragen; Strohhalme werden als Überrollbügel verwendet; Aderendhülsen dienen als Auspuffrohr. In der Oldtimer-Rennserie geht das Design sogar zum Teil in die Wertung ein. Dort reicht es nicht, einfach bloß schnell zu fahren, das Fahrzeug muss dabei auch noch gut aussehen. Die selbstgebauten Wagen haben zudem den Vorteil, dass sie deutlich weniger wiegen – nur 20 bis 30 Gramm für die Karosserie anstatt 70 Gramm bei einem gekauften Auto – und dass das Gewicht dort ideal verteilt ist, mit einer leichten Karosserie und einem im Verhältnis dazu umso schwereren Chassis. Dafür kosten sie aber auch locker doppelt so viel.
Dass die Autos selbst zusammengebaut werden, heißt im Übrigen nicht, dass die Besitzer so sehr daran hängen, dass sie sich nie von einem Exemplar trennen würden. „Es gibt sogar einen regelrechten Gebrauchtmarkt", berichtet Rainer Reif. Dabei läuft es ein bisschen so wie mit Rennpferden: Wenn sie schon einmal ein Rennen gewonnen haben, steigt der Preis umso höher.
Das Material mache etwa 70 Prozent aus, meint er, das fahrerische Können dagegen nur 30 Prozent. „Das Fahren lernt man relativ schnell", sagt Reif, „aber dann kommt es darauf an, das Auto ideal auf die jeweilige Strecke einzustellen." Gesteuert wird über einen Handregler, eine Art Joystick, der meist mit dem Zeigefinger bedient wird, manchmal auch mit dem Daumen.
Das Prinzip ist einfach: Es gibt eigentlich nur An und Aus, aber es lässt sich auch dosieren, wie viel Gas die Renner geben sollen. Fahrtechnisch ist
Slotracing mit dem echten Motorsport vergleichbar. Rainer Reif erklärt: „Der häufigste Fehler, den Anfänger machen, ist, dass sie auch in der Kurve zu viel Gas geben – und dann aus der Kurve fliegen." Besser sei es, kurz anzubremsen, den Wagen in die Kurve hineinrollen zu lassen und dann erst am Scheitelpunkt wieder Gas zu geben.
Auf dem Europe Raceway veranstaltet Rainer Reif Kindergeburtstage und Firmenevents. Es finden dort aber auch offizielle Renntage statt. Der 54-Jährige war selbst mehrmals ostdeutscher und einmal norddeutscher Meister, seine beste Platzierung bei Deutschen Meisterschaften erreichte er vor zwei Jahren als Fünfter. Gefahren wird in verschiedenen Rennserien: Formel 1, Tourenwagen, Nascar oder auch Lastwagen. Reifs Lieblingsserie sind die Deutschen Slot-Classics (DSC), bei denen mit Oldtimern gefahren wird und wie erwähnt auch das Aussehen der Modellautos eine Rolle spielt. Im Rennen muss dann jeder Fahrer einmal auf jeder der sechs Bahnen antreten, ehe reihum gewechselt wird – das sorgt für größere Chancengleichheit zwischen den Teilnehmern.
In anderer Hinsicht orientiert sich Slotracing an der Formel 1: Es gibt auch im deutlich kleineren Maßstab einen Parc Fermé, in dem die Wagen vor dem Rennen abgestellt werden müssen, damit niemand mehr daran herumschraubt. Und auch die Siegerehrung verläuft standesgemäß mit Pokal für den Schnellsten und Sekt. Bloß, dass dieser wegen des Stromantriebs wohl besser nicht direkt an der Bahn versprüht wird.