Wenn sie dich nicht lieben, hassen sie dich – so ging es Amerikas erfolgreichster Eiskunstläuferin in den 90ern. Durch einen Skandal wurde Tonya Hardings Ansehen mit einem Schlag beschmutzt. „I, Tonya" erzählt die wahre Geschichte einer überaus ehrgeizigen Athletin.
Ruhm ist eine vergängliche Angelegenheit. Wissen Sie noch, wer bei den Olympischen Winterspielen im Eiskunstlauf gewonnen hat, im Einzellauf der Damen? 1992 in Albertville oder 1994 in Lillehammer? Vermutlich nicht, wenn Sie nicht gerade ein ausgemachter Fan sind. Wissen Sie, wer Tonya Harding ist? Diejenigen, die 1994 im fernsehfähigen Alter waren, dürften sich erinnern. Das war doch die, die ihrer Konkurrentin die Knie zertrümmern lassen wollte: „Trashy Tonya", arm, weiß und irgendwie ein Teil von Amerika.
Portland, Oregon, 1975: Mit einer Zigarette in der Hand betritt LaVona Golden (Allison Janney) die Eislaufbahn, um der Eiskunstlauf-Trainerin Diane Rawlinson (Julianne Nicholson) ihre gerade einmal vier Jahre alte Tochter Tonya (Maizie Smith) vorzustellen. Sie trainiere keine Anfänger, sagt Rawlinson zunächst, erkennt dann aber, als sie Tonya auf dem Eis sieht, deren Talent. Es folgen Jahre extrem harten Trainings, angetrieben von der Mutter, die das Leben zynisch gemacht hat. Üben, üben, üben ist ihr Grundsatz. Ob Tonya (als älteres Kind dargestellt von Mckenna Grace) müde ist oder während des Trainings aufs Klo muss, interessiert da nicht.
„I, Tonya" gelingt es hervorragend, die Atmosphäre der 70er- und 80er-Jahre wiederzugeben. Die Ausstattung, die Kleidung der Darsteller und ihre Haare – all das ist mit sehr viel Liebe zum Detail gemacht. Vor allem aber lebt der Film von der Leistung der Schauspieler. Verdient gewann Allison Janney für ihre Rolle als Tonyas Mutter den Oscar als beste Nebendarstellerin und eine ganze Reihe weiterer Preise. Margot Robbie, die Tonya als Jugendliche und Erwachsene spielt, war bei den Oscars immerhin als beste Hauptdarstellerin nominiert und gewann mehrere andere Preise. Insgesamt war der Film bei verschiedenen Wettbewerben für 94 Auszeichnungen nominiert, 44 davon hat er gewonnen.
Herausragend sind die Eiskunstlauf-Aufnahmen im Film, bei denen der Zuschauer – ganz anders als bei den Fernseh-Übertragungen der damaligen Zeit – das Gefühl hat, mit über das Eis zu gleiten. Dank moderner Tricktechnik entsteht der Eindruck, Margot Robbie sei diese Figuren selbst gelaufen.
Schläge stehen auf der Tagesordnung
Mit 15 Jahren ist Tonya als Eiskunstläuferin erfolgreich. Und sie interessiert sich allmählich für Jungs. Am Rand der Eislaufbahn, wo sie jeden Tag acht Stunden lang trainiert, lernt sie Jeff Gillooly (Sebastian Stan) kennen. Auch wenn Tonyas Mutter – die beim ersten Date dabei ist – unmissverständlich klarmacht, dass sie von Jeff nichts hält, heiratet Tonya ihn ein paar Jahre später. Die Ehe der beiden verläuft kein bisschen harmonisch, Schläge sind an der Tagesordnung. Doch Tonya ist nichts anderes gewöhnt.
Der große Durchbruch im Eiskunstlauf gelingt Tonya Harding im Jahr 1991, in dem sie die US-Meisterschaften im Eiskunstlauf gewinnt und bei den Weltmeisterschaften in München Zweite wird. Doch bei den Olympischen Winterspielen 1992 wird sie nur Vierte – und sieht ihre Karriere fast schon am Ende. Da entscheidet das Olympische Komitee, die nächsten Spiele bereits zwei Jahre später auszutragen – eine neue Chance für Tonya. Doch sie hat eine harte Gegnerin: Nancy Kerrigan (Caitlin Carver), die ihren Einzug in die Olympia-Mannschaft verhindern könnte. Jeff, der zu diesem Zeitpunkt schon wieder von Tonya geschieden ist, aber mit ihr in einem Haus lebt, hat eine Idee: Wie wäre es, wenn Nancy bei der Qualifikation nicht antreten könnte?
Ein Stück weit entsteht beim Zuschauen Sympathie für Tonya Harding, die versucht, den amerikanischen Traum auf ihre Art und Weise Wirklichkeit werden zu lassen. Gleichzeitig lässt er aber auch keinen Zweifel an der Zwiespältigkeit der Charaktere.
Regisseur Craig Gillespie bedient sich dazu eines dramaturgischen Kniffs: In einer Rahmenhandlung lässt er die Akteure in nachgestellten Interviews von den Ereignissen berichten. Widersprüche in den Aussagen glättet er nicht, sondern überlässt dem Zuschauer das Urteil, was denn nun stimmen könnte. Wie viel Tonya Harding von den Aktivitäten ihres Mannes wirklich gewusst hat, ließ sich nämlich nie abschließend klären. Eines hat ihr der Skandal auf jeden Fall gebracht: Bekanntheit, die sie mit dem Eiskunstlauf allein nie erreicht hätte.