Im „La Maison de l’Entrecôte" in Mitte kommen Fleischliebhaber voll auf ihre Kosten. Hendrik Pieper und sein Team setzen dabei vor allem auf Genuss statt schnelle Küche.
Wo Entrecôte draufsteht, ist natürlich Entrecôte drin. Es liegt in damenhafter Ausgabe als „Lady’s Cut" gegrillt auf weißem Porzellan. Die Lady hinterm Teller zeigt sich beeindruckt von den ihr zugedachten, medium dargereichten 220 Gramm vom Argentinischen Weiderind. Wenn dann noch Küchenchef Hendrik Pieper Spinat mit Pinienkernen, Süßkartoffelpommes sowie Artischocken mit Tomaten reichen lässt und sogar immer wieder Zeit für ein gepflegtes Gespräch über Fleisch und das Drumherum findet, ist der Abend mehrfach kulinarisch wertvoll.
Das „Maison de l’Entrecôte" in der Bernhard-Weiß-Straße, genauer gesagt im Erdgeschoss des „Indigo"-Hotels, lohnt einen Besuch. Während wir unter einer „abgepufferten" Decke einerseits mittendrin, andererseits aber ruhig, privat und ohne übergriffige Beschallung an einem der vier Tische in der Lounge sitzen, sehen wir die anderen Gäste kommen. Das Restaurant mit dem Fleisch im Namen ist eine Anlaufstelle für Viele: Allein reisende Gäste des Boutique-Hotels sitzen mal „ohne alles", mal mit Smartphone, Kopfhörern und Buch vor ihren Tellern. Zwei Frauen, die offenkundig nicht zum ersten Mal da sind, suchen sich mit Einkaufstüten vom nahen Alex gezielt ihren Platz in der Lounge. Nach der Shoppingtour darf es zur Wiederbelebung ein Cesar’s Salad oder eine stärkende Rinderbouillon mit Ochsenbacken-Ravioli, Wurzelgemüse und Pilzen sein.
Kraftbrühe rulez! Das findet auch die Begleiterin. Sie hatte sich zum Entrée die klare Suppe mit den ausdrucksstarken Teigtäschlein gewünscht und schwelgt in Erinnerungen an „früher" und Feiertagssuppen. Gut, dass „früher" früher war und der Küchenchef seit drei Jahren die bodenständige Fleischküche – ganz jetztzeitig – leicht, konzentriert und entstaubt präsentiert. Ich mag’s zur Vorspeise lieber roh und kühl; setze aufs Tatar vom Entrecôte. Und bekomme Wärme gleich mitgeliefert: Das Tatar sitzt auf einem Sockel von Kartoffelstampf. Gebräunte Pilze geben erdige Noten ab, die ein Staub aus „Sumach" – den gemahlenen Früchten des Essigbaums – und Roter Bete süß-säuerlich kontrastiert. Diese eindrucksvollen Pilze würde ich glatt ohne Tatar nehmen. „Ich hab’s nicht so mit viel Geschnörkel, ich mag das klassisch Französische mit starken Aromen", verrät Hendrik Pieper. Vor allem auf seinen Stationen im Hamburger „Royal Meridien", in der französischen Schweiz und in Frankreich hat der 38-Jährige „das richtig feine Kochen" gelernt. „Das versuche ich herauszubringen." Und zwar auf die unkomplizierte Art – mit regionalen Produkten, die auch gern von kleinen Erzeugern sein dürfen, und mit saisonaler Karte.
Köche dürfen experimentieren
Zum argentinischen Black Angus Beef gibt’s zwei Schälchen mit Saucen: eine mit Kräuterpesto frisch gemachte Béarnaise und ein dunkles Jus. Konzentriertes, verflüssigtes Rindvieh! In drei Ansätzen verwandeln sich im Ofen geröstete Kalbsknochen, Gemüse, Zwiebeln und Ochsenschwanz durch zwölfstündiges Simmern in eine intensive Tunke. „Simmern Sie mal jemanden zwölf Stunden lang, da ist der Geschmack auch vollkommen raus", gibt Hendrik Pieper trocken zum Besten.
Auf solides Handwerk mit Qualität hat er seine zwölf Köche eingeschworen. Die wiederum bringen – ausdrücklich vom Chef erwünscht – ihre eigenen Vorstellungen ein. Neuester Trend in der Küche des „Entrecôte", wie das Lokal allenthalben abgekürzt genannt wird, aber keineswegs mit dem Namensvetter am Gendarmenmarkt zu verwechseln ist: „Meine Jungs mögen es gerade sehr, Dinge zu trocknen und zu pulverisieren."
Während sich an die Seite des puren Fleisches lediglich zwei kleine Häufchen Meersalz und Pfeffer gesellen durften, hatten „die Jungs" – zu denen allerdings auch eine Köchin zählt – an einem Lauchstaub um ein Vitello Tonnato herum etwas mehr zu streuen. Das Vitello ist aus einem Kalbstafelspitz gemacht, nicht aus Entrecôte. „Das würde kein Mensch mögen", sagt Pieper. Schließlich lebt das Gericht von der jugendlichen Zartheit und dem Feingeschmack des Fleisches. Die klassisch gedachte Sauce wird mit einem selbst eingekochten Trüffeljus mit Kapernpesto und im Ofen geschmorten roten Zwiebeln gepimpt. Die dekorativen Zwiebel-„Schälchen" erfüllen ihre Aufgabe: Beim Angabeln verteilt sich die Sauce über die mitgelieferte Natur-Schnaupe übers Fleisch. Eine frische, fleischige, durch Zwiebel und Lauchhauch akzentuierte Mischung schmeichelt sich an den Gaumen ran. Pieper will mit „was Lockerem, spannenden Produkten und gutem Wein" statt Chichi überzeugen. „Bitte nicht mit Kresse schmeißen!", lautet die Devise. „Wir machen etwas nicht, weil es Mode ist, sondern nur, wenn es zu einem ehrlichen Essen passt."
Der Lauch hatte im Vitello Tonnato seine Staubberechtigung, der „Garagenwein" von Hammond aus dem Rheingau dagegen darf uns ordentlich durchfeuchten. Ich bleibe dem auf den ersten Schluck sehr kühlen Grauburgunder, der jedoch fix Temperatur im Raum annimmt, bei den folgenden Gängen treu. Der Weiße von 2014 aus „Anthony’s Garage Winery" kann mühelos dem kräftigen Fleisch standhalten; der Hauswein der anderen Art, für 5,60 Euro im 0,1er-Glas, erweist sich als sehr gute Empfehlung. Gerade auch zum zweiten Teller mit gegrilltem Entrecôte, das sich auffordernd dunkelrot aufgeschnitten auf einem Auberginenpüree präsentiert, passt er sehr gut. Das Fleisch wird weiß, grün und schwarz flankiert von einem Bohnen-Dreierlei.
Die Preise sind fair kalkuliert
„Da ist es schon wieder, das mit den drei Komponenten", sagt Pieper. Er mag den klassischen Dreiklang des Tellergerichts, bringt aber immer wieder einen Extradreh hinein.
Wer dagegen gern etwas auf einem Extrateller möchte, hat bei den Beilagen die ganz große Auswahl. Von Rosmarin-Kartoffeln bis zum Gratin, von der „Café de Paris"-Butter bis zum Jus, vom Bohnenragout bis zum kleinen Cesar’s Salad reicht das Spektrum.
Die Begleiterin und der Fotograf etwa sind in das knofelige Tomaten-Artischocken-Gemüse schockverliebt. Ich freue mich über den Pinienkern-Spinat und die Süßkartoffelpommes, die ich immer mal wieder in die Béarnaise oder ins Jus stippe.
Selbst wenn für die Beilagen jeweils drei bis 4,50 Euro und von 23 bis 36 Euro fürs Entrecôte vom Black Angus Rind fällig werden, sollte jeder Steak-Hungrige bedenken, dass dafür immerhin 220 bis ausgewachsene 400 Gramm auf dem Teller liegen.
Die Preise sind auch fürs abendliche Vier-Gänge-Menü mit 42 Euro fair kalkuliert. Derzeit stehen ein Carpaccio vom Weiderind, die Rinderbouillon, das Entrecôte mit Bohnen und eine allseits beliebte Crème brûlée auf der Karte. Bei letzterer gilt: Frühes Erscheinen sichert ein Schälchen! „Von 40 Gästen wollten gestern 30 Crème brûlée essen", erzählt der Küchenchef.
Das Restaurant hat sich gerade auch bei den Berlinern einen Namen gemacht; zunehmend buchen Freunde oder Familien in größeren Gruppen einen Tisch und lassen es sich schmecken. Weshalb sonst hätte mich bei einem vorigen Besuch eine in der Nähe wohnende Bekannte angetippt? Sie schätzt dort ihren „Entrecôte-Burger" mit Pommes. Gut, dass wir früh genug für unsere Crème brûlée mit dekorativen frischen Beeren obenauf waren! Das Zweit-Dessert, eine helle Oliven-Nougat-Tarte, schmücken wiederum geschmorte frische Feigen. Der Pfiff ist die kleine Menge Olivenöl, die in den Teig eingeknetet wird. Nichts schmeckt nach Olive oder Baum, sondern das Öl gibt eine kaum merkliche Würze ab. Butterstreusel und eine Reduktion aus Port- und Rotwein dazu – fertig ist das Kinderglück mit erwachsenen Mitteln. Für 6,50 Euro im Tontöpfchen oder für 8,50 Euro auf weißem Porzellan serviert.
Desserts mit besonderem Pfiff
Einen sehr erwachsenen Abschluss unseres Mahls nehmen wir aus durchsichtigen Flaschen zu uns: „Fräulein Brösel" kommt in Gestalt von Marillen- und Haselnussbrand zu uns. Die kleine Berliner Manufaktur sorgt für den intensiv duftenden Aprikosenbaum im Glas, der zunächst sehr stark und beinah scharf mundet, dann aber immer weicher nachschwingt. Der Haselnussbruder ist von Anfang an sanfter, weicher und wärmer und bleibt es dauerhaft.
Wie hatte doch Hotel-Direktorin Gabriele Maessen bei der Begrüßung gesagt? „Wir sind ein Restaurant, kein Bistro. Wir setzen nicht auf die schnelle Küche, sondern auf den Genuss." Den haben wir an diesem Abend ausgiebig erfahren.