Das „Naninka" in der Arminius-Halle in Moabit ist ein Stück Peru mitten in Berlin. Toni Brandauer und Elisabeth Larsen zaubern hier Spezialitäten des Andenstaates und zeigen eindrucksvoll, dass Chili nicht gleich Chili ist.
Die Reise nach Peru beginnt mitten in Moabit. In der Arminius-Markthalle, unter den historischen gusseisernen Trägern und dem Wandbild der „Virgen de las Rosas Rosadas" von Cuzco. In jedem Fall sollte die Reise im „Naninka" mit einem „Pisco Sour" beginnen, um sich auf „Cebiche", „Causas" und „Lomo Saltado" landestypisch einzustimmen. Denn wenn Toni Brandauer, unumstritten „el jefe" des peruanischen Restaurants, erst einmal von den Feinheiten der unterschiedlichen „Cebiches", den charakteristischen kalt gegarten Fisch-Gerichten oder von den 187 Mikro-Klimata und den vielfältigen Produkten des Landes erzählt, macht das mit einem Nationalgetränk in der Hand noch viel mehr Spaß. Toni Brandauer und Elisabeth Larsen, seine Partnerin und Mitbesitzerin des kleinen Restaurants in Reihe 7, sind seit Dezember 2015 inoffizielle kulinarische Botschafter. Ein wichtiger Bestandteil der Landesküche ist schon einmal in dem „Sour" enthalten – die Limette. Pisco ist ein Brand, der aus ganzen Trauben der Sorte „Quebranta" hergestellt wird. Seit dem 16. Jahrhundert werden sie in Peru kultiviert, und je nach Anbaugebiet schmeckt der Pisco unterschiedlich.
Er hat „eine Art Terroir", erläutert Toni. Der Drink wird mit Limettensaft, Zuckersirup, Eiklar und Eis gemixt. Ist er abgeseiht, kommt ein Spritzer Angostura-Bitter als Kontrapunkt obenauf. Fertig ist die süß-saure Mischung mit schaumigem Finish, an der wir uns flugs glücklich trinken könnten. Wir bescheiden uns lieber mit einem halben „Pisco Sour" pro Nase – schließlich wollen Worte und Fotos noch geradeaus zu Papier und auf den Kamera-Chip gebracht werden. Macht ein „Pisco Sour" zwar womöglich leichtfertig, ist er dennoch keine so leichtfüßige Angelegenheit wie eine Cebiche. Das peruanische Nationalgericht – auch bekannt als Ceviche – ist einfach zuzubereiten, aber dennoch eine Wissenschaft für sich.
Rohes Fischfilet wird durch Säure „kalt gekocht"
„Jetzt aber zackzack!", kalauere ich den Fotografen an, liegt doch eine Cebiche vom Zackenbarsch vor uns. Der Barsch kam als Wildfang aus dem Meer und auf den Teller. Neben Bonito-Thunfisch oder Lachs bezieht Toni auch Fische wie Red Snapper, schwarzen oder weißen Heilbutt, wenn möglich in „Label Rouge"-Qualität und aus nachhaltigem Fang. Das rohe Fischfilet wird durch Zugabe von Säure, meist Limettensaft, frei ausgedrückt, „kalt gekocht". Die Eiweiße im Fisch-Fleisch denaturieren durch die im Limettensaft enthaltene Säure; ein Vorgang ähnlich wie beim Eierkochen. Der klein geschnittene Fisch wird nur kurz in dem Limetten-Salz-Chili-Sud gewendet; je nach Festigkeit des Fleisches wenige Sekunden bis wenige Minuten. Die dabei austretende weißliche Flüssigkeit wird als „Tigermilch" bezeichnet, und manch einer schwört auf deren heilsame Wirkung bei schwerem Kopf…
Erstaunlich, oder vielleicht gar nicht so sehr, wie unterschiedlich Cebiche schmecken kann. Der in Limo-Chili und Limette gebadete sowie mit Zwiebeln angemachte weißfleischige Zackenbarsch entfaltet eine sehr limettig-frische Schärfe und Zwiebeligkeit viel weiter vorn im Mund als der Bonito, den wir parallel dazu kosten. Die Zackenbarsch-Cebiche schmeckt leichter; Geschmack und Schärfe verschwinden vergleichsweise rasch wieder. Gerösteter Chulpi-Mais, größere als die hierzulande geläufigen Körner, knuspert mit nussigem Aroma im Mund. Die Bonito-Cebiche im peruanisch-japanischen Nikkei-Stil, in der sich außerdem Tomaten- und Süßkartoffel-Stückchen tummeln, brennt weiter hinten am Gaumen und länger nach. Sie ist mit gelbem Chili angemacht und wird mit Cancea-Mais serviert – einer noch größeren Sorte, die eine etwas mehlige Textur hat.
„Das Aroma, nicht die Schärfe macht die Chilis aus"
„Dieser Mais poppt auch nicht", erläutert Toni. Wir sind als durchschnittliche Mitteleuropäer in Sachen Mais und Chilis vermutlich echte Grob-Sensoriker. In Peru sind mehr als 400 Chilisorten bekannt, verrät der studierte Agraringenieur. Kein Wunder, dass sich Toni nicht mit irgendwelchen Sorten zufrieden gibt, sondern selbst seine Chilis im eigenen Garten zieht. „Peruanische Chilis sind sehr aromatisch und nicht unbedingt scharf", klärt er uns über das National-Gewürz auf. Die Unterschiede merken wir bei den beiden Cebiches deutlich, beim Lomo Saltado dagegen rein gar nicht. Das im Wok gebratene Rind mit Reis und großen Pommes ist nämlich überhaupt nicht scharf, eher mit einem rauchigen Unterton in der Sauce. „Es ist mit Ají-Chili gewürzt", sagt Toni. Mit diesem sowie mit Rocoto-, Limo- und gelbem Chili wird im „Naninka" vor allem gekocht. Wieder einmal sind wir in die „Mund schmeckt, was der Kopf denken will"-Falle getappt: „Es ist das Aroma, nicht die Schärfe, das die Chilis in unserer Küche ausmacht", erklärt Toni.
Das Räucherige kommt vom „Flambieren auf Peruanisch": Das Fleisch wird beim Anbraten im Wok mit Pisco begossen und „mit zweiter Flamme", einer kleinen Stichflamme, kurz doppelt geröstet. „Lomo Saltado" ist ein Gericht mit peruanisch-chinesischen Wurzeln – die verschiedensten Einwanderer-Communities, ihre kulinarischen Mitbringsel und Zubereitungsweisen spiegeln sich in der Landesküche wider.
„Die besten Chilis ziehen die Österreicher in Peru." Toni weiß, wovon er spricht – ist er selbst halber Österreicher und halber Peruaner. Seine Partnerin Elisabeth, im Naninka" für den Service zuständig, ist wiederum Kolumbianerin mit deutschen Wurzeln. Die beiden gingen zusammen in Bogotá in die deutsche Schule, wurden aber erst viel, viel später ein Paar. Die kolumbianische Küche sei ganz anders als die peruanische, sagt Elisabeth. Toni lernte das Kochen bei seiner „Nana", seinem Kindermädchen, in der kolumbianischen Hauptstadt und in Peru. „Nana" und „Inka" bilden zusammen den Namen des Restaurants.
„Wenn ich am Herd stand, hieß es immer: Die Nana kann das besser", erzählt sie lachend. „Seitdem koche ich nicht mehr." Toni hat übernommen, so wie auch in der offenen Küche des Lokals: „Ich mache die Cebiche selbst", sagt er. An alles andere dürfen auch nur Köche aus dem Land heran. „Man muss im Land gelebt haben, um die Gerichte richtig gut zu kennen", betont Elisabeth.
Was dabei heraus- und auf die Tische kommt, ist teils ungewohnt, aber dennoch sehr kompatibel mit deutschen Zungen. So etwa die „Causa" mit Avocados und Thunfisch-Salat. Auf der Karte steht „Kartoffelküchlein". Ich nenne es „Türmchen". Es ist aus zwei Schichten mit gelbem Chili aromatisiertem Kartoffelstampf, Avocadoscheiben und Thunfisch-Salat gestapelt. Es ist kühl und erfrischend, schön säuerlich und cremig abgeschmeckt und damit ziemlich undeutsch. Weit entfernt von Kartoffelsalat, eher gemüsig, frisch und leicht mit dem Fisch akzentuiert. Das Hineinschmecken in die peruanische Küche ist überdies ein bezahlbares Vergnügen: Eine Portion „Cebiche" kostet im „Naninka" zwischen 12,50 und 16,50 Euro; eine „Causa" acht bis zehn Euro und ein warmes Fleischgericht zwischen 10,50 und 15,90 Euro.
Zur Not bleibt die Halle einfach länger auf
Das „Naninka" erfreute sich von Anfang an regen Zuspruchs: Der Agraringenieur und die Immobilienfachfrau mit der Liebe zum guten Essen hatten vor der Eröffnung im Dezember 2015 ein Jahr lang jeden Samstag im Mittelgang der Arminius-Halle ihre Cebiches angeboten. Potenzielle Gäste gab es also bereits. Nun ist mittwochs bis freitags ab dem späten Nachmittag sowie samstags ab 14 Uhr geöffnet und für 30 Plätze an den Holztischen eingedeckt. Herrscht größerer Andrang, werden im Mittelgang weitere Tische und Stühle aufgestellt. Das „Nanika" ist in der „Gastro-Ecke" der Halle in bester Gesellschaft: Lokale wie das „Rosa Lisbert" mit seinen Flammkuchen, „Pignut BBQ", das „Fischladen"-Restaurant oder das österreichische „Habe die Ehre" sind vertreten, und sie alle gestalteten ihre Bereiche liebevoll und höchst abwechslungsreich. Diese Vielfalt macht die Arminius-Halle seit einigen Jahren zu einem abendlichen Gastro-Hotspot in Moabit. Dann ist es vielleicht auch der richtige Zeitpunkt, um das selbst gebraute Quinoa-Bier „aus drei weißen Sorten" im „Naninka" zu probieren – bis zu 4.000 Flaschen werden monatlich abgefüllt.
Das „Naninka" ist zudem ein richtiger Familienbetrieb: Tonis Sohn Christian steht hinter der Bar, Elisabeths Schwester lexandra Larsen malte das Bild von der Madonna mit den Rosen. Ein Stück Heimat an der Wand mit Tukanen und Tropenpflanzen, knalligem Pink und satten Gute-Laune-Farben. Vieles ist so herzlich-schwungvoll und flexibel wie in Lateinamerika. Kommt etwa die Gruppe der peruanischen Botschaft, die sich während der ITB für 20 Uhr angesagt hatte, erst um 21.30 Uhr und bleiben die Gäste länger als 23 Uhr, ist das kein Drama. Toni macht auf den Tellern und in den Gläsern ebenso wie mit dem Schlüsselbund möglich, was möglich ist: „Ich habe einen Generalschlüssel und schließe dann die Halle einfach hinter uns ab, wenn wir später gehen."