Trier steht mehr und mehr im Zeichen seines Sohnes Karl Marx, dessen 200. Geburtstag am 5. Mai ist. Es gibt die umstrittene Statue aus China, aber auch unzählige Marketing-Aktionen vom Brot bis zum Ampel-Marx. Leidet darunter die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Philosophen?
Laut lachen muss ein älterer Trierer, als er die neu gestaltete Ampelanlage vor dem Simeonstiftplatz betrachtet. Als es grün wird, fordert ihn nicht mehr das klassische deutsche Ampelmännchen zum Gehen auf, sondern ein nach links voranschreitender Mann mit Rauschebart und einem Buch in der Hand. „Dat is Marx? Dat grüne Ding?", fragt der Mann und ist sofort begeistert: „Dat is mal wat Lustiges! Endlich mal bisschen Farbe und Originalität in der Stadt!" Dass nur wenige Meter entfernt auch bald eine große Statue von Marx stehen soll, begrüßt der Bürger ebenso: „Ich bin kein Fan von Statuen von irgendwelchen wichtigen Leuten, aber dem Karl Marx darf man ruhig eine geben, er hat nix falsch gemacht." Ein anderer Trierer Bürger, Angelo Boutzufiris, sagt: „Er ist nun mal der berühmteste Sohn Triers, für mich ist er willkommen – auch die Statue". Damit verherrliche man nicht die kommunistischen Diktaturen, ist der Sohn eines griechischen Einwanderers überzeugt: „Wenn es die kommunistischen Länder nicht gegeben hätte, dann hätten wir schon längst eine Karl-Marx-Statue und dann würde man Marx nicht so negativ betrachten."
„Mega", das ist die inoffizielle Abkürzung für die in der Tat recht umfängliche Marx-Engels-Gesamtausgabe. Wohl kaum ein Trierer dürfte „Das Kapital" ganz gelesen haben. Doch wer kurz vor seinem 200. Geburtstag eher auf leichtere Kost setzt, wird in der Moselstadt sprichwörtlich fündig. Seit einigen Wochen kann man in einer Bäckereikette Karl-Marx-Brot kaufen. Eine rote Salami mit dem Konterfei des kommunistischen Vordenkers gibt es ebenso zu erwerben. Hinzu kommen Marx-Büsten, eine Quietscheente, seit wenigen Tagen auch ein nichtoffizieller Euroschein im Marx-Look – Preis: drei Euro. Wert: null Euro.
Große Chance für die Stadt
Mit Aktionen wie der nun enthüllten Marx-Fußgängerampel und dem Geldschein schafft es die Stadt Trier derzeit in die Schlagzeilen – und das nicht nur bundesweit. „In ganz Europa, aber auch in China und Indien wurde über das sympathische Verkehrssignal mit Bart und Gehrock berichtet", heißt es im Rathaus. „Quant", „Hammer", „Super!", so lauteten Kommentare zu der Aktion bei Facebook. Aber auch, in Anspielung auf chinesische Touristenmassen, wie sie ständig vor dem Marx-Geburtshaus stehen: „Na hoffentlich werden da keine Chinesen überfahren, die an der Ampel auf den nächsten Marx warten, um ihn zu fotografieren." Und ein Trierer schrieb ohne Umschweife: „Bescheuert. Ich kann Karl Marx nicht mehr hören und nicht mehr sehen."
Dabei hat das große Marx-Spektakel noch gar nicht richtig begonnen; alles Bisherige ist nur Vorgeplänkel mit Blick auf den Geburtstag am 5. Mai. Doch bei all den zweifelsohne gelungenen Marketingmaßnahmen und Events ist die Frage berechtigt, ob die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem berühmtesten Sohn Triers leidet. Hätte dem akribischen Wissenschaftler, der Jahre an der Fertigstellung seines „Kapitals" feilte, diese Herangehensweise gefallen? Bei der Aufstellung der Marx-Ampel konfrontiert FORUM den Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) und einen Kulturexperten mit der Frage. „Ich finde, es sieht fantastisch aus", freut sich Leibe zunächst über den Werbegag seiner Marketingexperten. Eine Leitfrage der Überlegungen sei in den vergangenen Monaten gewesen: „Wie bekommen wir Marx in die Stadt?" Denn der Philosoph und seine Werke seien eine anspruchsvolle Thematik; man müsse Marx den Menschen auch mit solchen niedrigschwelligen Aktionen wie der Ampelfigur näherbringen. Das sei aber nur eine Seite der Medaille, sagt der Oberbürgermeister: „Wir haben ja vier Museen, die Karl Marx im historischen Kontext betrachten, aber auch fragen: Was bleibt von seiner Philosophie?"
Die Landesausstellung „Karl Marx 1818-1883. Leben.Werk.Zeit" soll den Menschen und sein Umfeld, seine Interessen und die äußeren Umstände beleuchten. Sie ist vom 5. Mai bis 21. Oktober im Trierer Landesmuseum und im Stadtmuseum Simeonstift zu sehen. Die Universität lädt zu wissenschaftlichen Veranstaltungen ein, das Kulturzentrum Tufa macht eine kleine Ausstellung – und obwohl Marx ja bekanntlich die Religion als „Opium des Volkes" bezeichnet hat, beteiligt sich sogar das Bistum Trier am Jubiläumsjahr. Denn im Museum am Dom wird ab Mai die Ausstellung „LebensWert Arbeit" über Arbeit aus Sicht des christlichen Menschenbildes gezeigt. Das Museum Karl-Marx-Haus im Geburtshaus des Philosophen wird am 5. Mai seine komplett überarbeitete Dauerausstellung eröffnen; noch hüllen sich die Macher aber in Schweigen über die künftige Präsentation. Noch seien die Handwerker im Museum tätig, heißt es.
Marx schaltet Ampel auf grün
Noch schlagzeilenträchtiger als die Ausstellung, die Ampel und alle anderen Aktionen ist jedoch ein Geschenk aus China: Die Volksrepublik hat der Stadt Trier eine fünfeinhalb Meter hohe Marx-Statue geschenkt; es ist ein bronzefarbener, monumentaler Marx in Gehrock, mit rauschendem Bart und energischem Blick. Sie befindet sich bereits in Trier, wird in der Nähe der Porta Nigra aufgestellt und soll am 5. Mai mit einem großen Festakt enthüllt werden. Doch auch mehr als ein Jahr nach dem Beschluss, die Statue anzunehmen, ist das Geschenk umstritten – nicht nur bei vielen Trierern, sondern auch bei Opferverbänden des Kommunismus. Die im Namen von Marx errichteten Diktaturen hätten Millionen von Menschenleben gefordert, protestierte die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft. Die Bischofsstadt Trier falle den in China verfolgten Christen in den Rücken, wenn sie das Geschenk der Volksrepublik aufstelle, erklärte die Gesellschaft für bedrohte Völker. Und der Trierer Landtagsabgeordnete Michael Frisch sagte mit Blick auf den Standort am Simeonstiftplatz: „Diese monströse Marx-Ikone auf dem Platz des heiligen Simeon werden wir ablehnen."
Wäre die Statue, hätte ein deutscher Künstler sie geschaffen, auch so monumental ausgefallen? „Wahrscheinlich nicht – vielleicht auch ein Stück weit abstrakter", gibt OB Leibe zu. „Ich freue mich aber, dass es eben nicht diese befürchtete Kunst ist, die man aus der ehemaligen DDR kennt. Der Künstler hat eine andere Form der Darstellung gesucht. Deshalb ist es für uns wirklich ein Signal der Freundschaft." Auch der Geschäftsführer der „Karl Marx 2018-Ausstellungsgesellschaft mbH" Rainer Auts sagt, dass er verstehen könne, dass Menschen, die unter den Unrechtsregimen gelitten hätten, wütend über die Aufstellung der Statue seien. „Das lässt sich nicht bestreiten: Es hat die Gewaltherrschaften im 20. Jahrhundert gegeben, Fachleute sprechen vom Kommunismus an der Macht. Die Frage ist jedoch, inwieweit Karl Marx dafür in Verantwortung zu nehmen ist." Das sei eine Kernfrage der Ausstellung. Der Historiker betont: „Uns geht es um ein differenziertes Bild, das wir vermitteln wollen. Wir wollen Marx nicht verdammen, aber auch nicht hochjubeln."