In Nicaragua hat der Produzent der „Ritter Sport"-Schokolade die wohl größte zusammenhängende Kakaoplantage der Welt aufgebaut. Ein Pilotprojekt zur nachhaltigen Entwicklung. Derzeit läuft die erste Ernte.
Die Sonne geht langsam auf an diesem verregneten Samstag. Die Schreie der Brüllaffen und das Kreischen der Papageien verschmelzen mit dem monotonen Brummen eines Lastwagens. Zwei Dutzend Landarbeiter quetschen sich um halb sechs am Morgen auf die Ladefläche. Dorothea Urbina ist eine von ihnen. „Ich arbeite jetzt seit vier Jahren hier, und es ist besser als bei meinem vorherigen Job", sagt sie. Bevor sie auf der eigenen Kakaoplantage des schwäbischen Schokoladenherstellers Alfred Ritter GmbH anfing, arbeitete sie auf einer kleineren Plantage. Dort pflanzte sie Bäume und verdiente wesentlich weniger – wie viele Menschen in Nicaragua.
Arbeitsplätze mit Qualifikation
Im flächenmäßig größten Land Mittelamerikas haben 2014 laut Human Development Index der Vereinten Nationen zwei Fünftel der Bevölkerung zwei Dollar oder weniger pro Tag verdient. Ritter Sport zahlt seinen Angestellten mindestens 20 Prozent mehr als den Mindestlohn von knapp 150 US-Dollar. Markus Schmid, der auf der seit 2012 entstandenen Plantage für die Infrastruktur und Weiterverarbeitung verantwortlich ist, erklärt das Konzept der Mitarbeiterförderung: „Man muss von der Wertschöpfung, die man erbringt, auch leben können. Wenn ich eine einfache Arbeit ausführe, kann es schon sein, dass ich das nicht mehr kann." Das Ziel sei deshalb gewesen, Arbeitsplätze zu schaffen, die mehr Qualifikation erfordern. Für die meisten bedeutet das „learning by doing". Kakaobäume pflanzen und Früchte pflücken, das konnte Dorothea Urbina schon vorher. Aufgaben wie Qualitätskontrollen in der Nachbereitung oder das Bedienen von Maschinen mussten sie und andere erst lernen.
Wie Yadira Ramírez. Sie steht in einer gläsernen Halle, vor ihr ein Haufen Kakaobohnen, in dem sie wühlt. Sie sucht nach Stücken der Kakaofrüchte, die die Fruchtöffnungsmaschine übrig gelassen hat. Es duftet nach einer Mischung aus Schokolade, Mango und Litschi. Die Hände sind schrumpelig von der Arbeit, die Ärmel der Kapuzenjacke hochgekrempelt. Aus der Hosentasche lugt das Smartphone. Die 30-Jährige sieht nicht aus, wie man sich eine Plantagenarbeiterin vorstellt – und auch ihr Arbeitsfeld ist anders: „Ich passe neben dieser Aufgabe hier auch darauf auf, dass mit der Maschine alles läuft, ich schaue nach der Temperatur bei der Trocknung und Fermentation, ich überwache, wie lang die Fermentation dauert", sagt sie. „Ich bin hierher auf die Plantage gewechselt, weil mir die Arbeit gut gefällt und viel mehr Möglichkeiten bietet." Vorher arbeitete Ramírez in der Hauptstadt Managua. Dort war sie für die Qualitätskontrolle in einem Kleidungsunternehmen zuständig.
Während der Verarbeitungsprozess läuft, schaut Markus Schmid in der Verarbeitungshalle nach dem Rechten. Es gibt nichts zu beanstanden. Die Kakaoschneidemaschine ist noch nagelneu. Die Techniker im schwäbischen Waldenbuch entwickelten die weltweit erste Maschine, die die footballgroßen Kakaofrüchte automatisch öffnet, ohne dass die Gefahr besteht, Bohnen zu verletzen. In Zukunft soll der patentierte Fruchtöffner auch kleineren Kooperativen helfen, ihren Kakao nicht mehr von Hand öffnen lassen zu müssen. Denn die Verletzungsgefahr ist groß, wenn die Mitarbeiter mit Stöcken auf die harten Schalen der Früchte einschlagen.
Nun rattert die Maschine ohrenbetäubend, während von außen der Regen auf das Hallendach prasselt. Das eigene Wort ist kaum zu verstehen. Mitarbeiter stapeln Kakaofrüchte in Eimern und füllen sie in den Fruchtöffner, der sie auf einem Miniaturfließband der Länge nach ausrichtet. Rundspaltmesser öffnen die Früchte, ehe sie in ein rotierendes Trommelsieb gelangen, wo die Kakaobohnen aus den Schalen fallen. Hinter dieser Station stehen Sortiererinnen wie Yadira Ramírez.
Derzeit ist es noch nicht viel, was die Plantage produziert. Rund eine Tonne verlässt den Standort alle zehn Tage. Der Kakao kommt noch ausschließlich in die Entwicklung nach Deutschland, wo die Mitarbeiter im Labor testen, wie der Kakao beschaffen ist und wie er sich in Zukunft verwenden lassen wird. 20 bis 30 Prozent der Gesamtkakaomasse, die Ritter Sport benötigt, soll einmal von der eigenen Plantage kommen, 2.500 Tonnen pro Jahr. Jetzt, da die Fruchtöffnung und Befüllung der ebenfalls in Waldenbuch entwickelten Fermentationsanlagen nach rund einer Stunde erledigt ist, ziehen viele Mitarbeiter weiter aufs Feld.
Dort suchen die Ernter nach reifen Früchten, die an den Stämmen der Kakaobäume wachsen. Gebückt streifen sie durch das Unterholz der etwa zwei Meter hohen Bäume, die in Reih und Glied bei 33 Grad und tropischem Regen gedeihen. Mit einer Gartenschere schneiden sie reife Früchte ab. „Diese hier braucht noch Zeit", sagt Danilo Valle und deutet auf eine rotviolette Frucht, die gerade so in eine Hand passt. „In etwa zwei Wochen wird sie zur Ernte bereit sein." Dann wird sie dank ihrer beinahe leuchtenden rot-gelben Farbe leicht zu finden sein. Valle, studierter Agraringenieur, ist Leiter der Pflanzenaufzucht und -pflege auf der Plantage.
Er arbeitete mehrere Jahre bei einer Nichtregierungsorganisation und setzte sich für Kakaobauern ein, ehe er zu dem deutschen Unternehmen wechselte. Er beaufsichtigt die Baumschule. Um den Jungbäumen den richtigen Nährboden zu geben, geht er dann und wann im Regenwald auf die Suche nach Humus mit guter Beschaffenheit. Den Dschungel lässt sein Arbeitgeber bewusst ohne menschlichen Einfluss auf 1.000 der insgesamt 2.500 Hektar Fläche wachsen. Direkt nebenan wächst der Kakao, den Ritter Sport hier voraussichtlich irgendwann günstiger erntet, als er ihn zu Weltmarktpreisen kaufen könnte. Der ausschlaggebende Punkt für den Einstieg in die Landwirtschaft sei das aber nicht gewesen, betont Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken: „Wir wollen beweisen, dass es möglich ist, eine Vorzeigeplantage zu machen, die wirtschaftlich produziert, aber tatsächlich auch im Sinne von Nachhaltigkeit ein Vorzeigemodell ist. Der Nachhaltigkeitsaspekt war zuerst da, wir wollen den Menschen hier eine Perspektive bieten."
Altersvorsorge und Versicherung
Perspektive, das bedeutet etwa den Bau von Schulen in den umliegenden Dörfern. Fahrer holen die Mitarbeiter zu Hause ab und bringen sie nach dem siebenstündigen Arbeitstag wieder zurück. Dazu gibt es eine Altersvorsorge und eine Krankenversicherung, einen zehnköpfigen Betriebsrat und 30 Tage Urlaub pro Jahr. Auf Wunsch bekommen die Arbeiter Motorräder gestellt, die sie auch privat nutzen dürfen. Dass das für Neid bei manch einem Nachbarn sorgt ist eher wahrscheinlich als ausgeschlossen, gibt Markus Schmid zu, aber „so etwas haben wir ja auch in Deutschland, dass die, denen es schlechter geht, die Häuserwände der Besserverdiener beschmieren."
Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht durch die Großplantage nicht. Schließlich ist die Kakaoproduktion in Nicaragua mit nur fünf Prozent der produzierten Kaffeemenge kaum nennenswert. Und was ist mit der Kooperative, die bislang den Kakao für Ritter Sport in Nicaragua lieferte? „Ritter Sport hat uns versichert, dass beide Konzepte völlig unterschiedlich sind und sie die Menge, die sie über unsere Kooperative einkaufen sogar noch steigern wollen", sagt der Kleinbauer Ernesto Larios Machado.
Am Ende profitieren alle. Der Schokoladenfabrikant tut etwas für sein Image und spart, 350 Mitarbeiter in Nicaragua führen ein besseres Leben – und haben mehr Zeit für ihre Familien. „Das war mir besonders wichtig, denn ich habe drei studierende Kinder und kann hier bei ihnen in der Nähe sein und muss nicht weg von der Familie", sagt Dorothea Urbina, die inzwischen zurück ist von ihrem Arbeitstag auf dem Feld. Der Laster bringt sie zurück nach Hause. Am Sonntag hat sie frei. Ein Luxus, den in Nicaragua nicht jeder genießt.