Mehr Daten, mehr Sicherheit – das verspricht sich die Bundesregierung von der Vorratsdatenspeicherung. Das Gesetz aber stößt von Anfang an auf massive Gegenwehr. Was bedeutet das für die Bürger, und was bringt sie tatsächlich?
Wer hat wann mit wem telefoniert? Mit welcher IP-Adresse bewegt sich jemand im Netz? Wo hält sich ein Handybesitzer auf? Strafverfolger wollen das dank der Vorratsdatenspeicherung nachträglich feststellen können. Ein Gesetz, das von Anfang an umstritten war.
Eine EU-Richtlinie hatte 2006 alle Mitgliedsstaaten dazu veranlasst, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. 2008 trat das Gesetz in Deutschland in Kraft. 2010 schritt das Bundesverfassungsgericht ein und erklärte die Speicherung in Deutschland für grundgesetzwidrig. Sie stelle einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte dar. Das Urteil verpflichtete deutsche Telekommunikationsanbieter, die bisher gesammelten Daten sofort zu löschen. 2014 trat der Europäische Gerichtshof auf den Plan und befand die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig. Sie sei mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar.
2015 dann ein neuer Versuch mit neuen Speicherpflichten, die ab Juli 2017 erfüllt werden sollten. Doch schon 2016 entschied der Europäische Gerichtshof wieder, dass eine „anlasslose“ Vorratsdatenspeicherung nicht erlaubt sei. Sie müsse die Ausnahme bleiben und dürfe nicht zur Regel werden.
Das hatte zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage. Dann aber meldete sich das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zu Wort. In einem Zivilverfahren für einen Internetanbieter entschied es, dass dieser zumindest vorläufig keine Speicherung veranlassen muss. Damit nicht jeder Anbieter vor Gericht zieht, verkündete die Bundesnetzagentur, von Anordnungen vorerst abzusehen. Sie wird nicht darauf bestehen, dass Telekommunikationsfirmen bei der Vorratsdatenspeicherung mitmachen. Stattdessen will sie abwarten, wie das Klageverfahren des Münchner Anbieters vor Gericht in der Hauptsache ausgeht. Das heißt, sie will nicht nur das Ergebnis des Oberverwaltungsgerichts, das per Eilverfahren zustande kam, berücksichtigen. Grundlage soll ein reguläres Hauptverfahren werden – und das kann dauern. Die Folge: Die Vorratsdatenspeicherung ist faktisch ausgesetzt.
Der Polizei geht der Ansatz nicht weit genug
Was genau aber steht da zur Debatte? Unter einer Vorratsdatenspeicherung versteht man die Speicherung personenbezogener Daten durch oder für öffentliche Stellen, ohne dass die Daten aktuell benötigt werden. Sie werden also nur für den Fall gespeichert, dass man einmal auf sie zurückgreifen möchte. In der juristischen Auseinandersetzung geht es vor allem um Verbindungsdaten von Telekommunikationsanbietern – Telefonnummern, Standorte und IP-Adressen etwa. Diese Verbindungsdaten sollen gespeichert werden, ohne dass ein konkreter Anfangsverdacht oder eine konkrete Gefahr besteht, kurz: Speicherung der Daten auf Vorrat.
Sinn und Zweck der Vorratsdatenspeicherung soll es sein, Straftaten besser vereiteln und verfolgen zu können. Mithilfe der Daten kann derjenige, der auf sie Zugriff hat, persönliche soziale Netzwerke analysieren. Auf diese Weise lässt sich das Kommunikationsverhalten jedes Teilnehmers aufschlüsseln – ohne dass auf Kommunikationsinhalte zugegriffen wird.
Was bedeutet das konkret für die Bürger? Welche Daten werden erfasst und gespeichert? Das Gesetz, das 2015 verabschiedet und ab Juli 2017 umgesetzt werden sollte, war dem alten Entwurf recht ähnlich. Die Speicherfristen aber wurden verkürzt und E-Mails ausgenommen. Die Regierung will Telekommunikationsanbieter verpflichten, die Festnetz- und Mobilverbindungen ihrer Kunden aufzubewahren. Das beinhaltet IP-Adressen genauso wie Skype-Gespräche. Zehn Wochen lang dürfen die Anbieter diese Daten maximal speichern. Verstöße werden mit Bußgeld geahndet.
Wer ein Handy nutzt, legt damit auch seinen Standort offen. Für den Aufenthaltsort gilt eine Höchstspeicherfrist von vier Wochen. E-Mails und aufgerufene Internetseiten sollen von der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen sein. Das Medium „Zeit Online“ hat dazu einen Vergleich aus der nicht-digitalen Welt bemüht: „Es sei, als würde man jedes Gespräch in der Kneipe des Landes registrieren. Man archiviere zwar nicht den Wortlaut der Unterhaltung, wohl aber Datum und Uhrzeit, Dauer, Gesprächspartner und den Namen der Kneipe.“
Sinn wird stark angezweifelt
Der Grünen-Politiker Malte Spitz hält die Vorratsdatenspeicherung für eine „Vorsatzdatenspeicherung“ und wirft der Regierung „Symbolpolitik auf Kosten der individuellen Freiheit“ vor. „Spiegel Online“-Kolumnist und Digital-Experte Sascha Lobo hält sie für „einen flachen Scherz im Vergleich zu dem, was faktisch bereits durch Geheimdienste im Netz geschieht“. Gleichwohl sieht er darin die gefährliche Illusion, dass sich „mit mehr Daten endlich die anstrengende, schlimme, chaotische Welt unter Kontrolle bringen ließe.“
Sascha Braun von der Gewerkschaft der Polizei hat darauf einen ganz anderen Blickwinkel. Er hält die Vorratsdatenspeicherung für einen guten Ansatz. Allerdings geht ihm dieser noch nicht weit genug. Die Speicherfrist von zehn Wochen für Telefon- und Internetkommunikationsdaten hält er für zu kurz. Kriminelle Strukturen ließen sich erst über längere Zeiträume hinweg erkennen. Stattdessen will man bei der Gewerkschaft der Polizei eine sechsmonatige Speicherung der Verbindungsdaten, „weil es bei der Ermittlungsarbeit zur Aufklärung von Straftaten darauf ankommen kann, das kommunikative Verhalten eines Schwerkriminellen auch über diesen Zeitraum hinweg auswerten zu können.“ Dass Inhalte der Telekommunikations-Daten, beispielsweise der Inhalt einer E-Mail oder einer SMS, weder erfasst noch ausgewertet werden darf, stünde für die Gewerkschaft außer Frage. Dass die Vorratsdatenspeicherung harmloser sein soll, weil keine Inhalte erfasst werden, weisen Kritiker hingegen zurück. Einer Studie der amerikanischen Eliteuniversität MIT zufolge lassen sich Personen mit den Verbindungsdaten ebenso genau identifizieren wie mit dem Fingerabdruck. Forscher der Uni Standford haben in einem Experiment Metadaten ausgewertet. Sie konnten dadurch Rückschlüsse auf intime Details wie Religionszugehörigkeit, Geschlechtskrankheiten, außereheliche Affären oder auch auf Waffenbesitz und Drogenhandel ziehen.
Aber bedeutet das auch, dass die Vorratsdatenspeicherung Verbrecher abschreckt oder bei der Aufklärung von Verbrechen hilft? Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat 2012 die Kriminalstatistiken mehrerer europäischer Länder verglichen und konnte zu diesem Zeitpunkt kaum Hinweise auf die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung feststellen. Dem Bericht nach waren Abfragen von Verbindungsdaten auch ohne Vorratsdatenspeicherung in 96 Prozent der Fälle erfolgreich. Es gebe zudem „keinerlei Hinweise dafür, dass auf Vorrat gespeicherte Verkehrsdaten in den letzten Jahren zur Verhinderung eines Terroranschlags geführt hätten.“ Die Wissenschaftler fragen sich gar, warum „vorliegende und bekannte digitale Spuren“ nicht zu einer Verhinderung eingesetzt wurden. Die Studie sagt allerdings auch, dass noch zu viele Daten fehlen, um den Nutzen abschließend zu beurteilen. Jedoch sei der „Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht als Ursache für Bewegungen in der Aufklärungsquote“ verantwortlich. Auch in der Schweiz habe es beispielsweise keine Veränderung gegeben. Dort werden Vorratsdaten seit mehr als zehn Jahren für sechs Monate gespeichert. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages bezweifeln daher, dass „Zweck und Mittel“ in einem „ausgewogenen Verhältnis“ stehen. Sie berufen sich auf Zahlen des Bundeskriminalamtes, wonach die Vorratsdatenspeicherung lediglich zu einer Verbesserung der Aufklärungsquote um 0,006 Prozent beiträgt.
Juristisch ist sie umstritten, und ihr Nutzen ist auch nicht zweifelsfrei nachweisbar – die Vorratsdatenspeicherung wird Regierung, Gerichte, Telefonanbieter und Bürger auch in Zukunft beschäftigen. Daten gegen den Terror – die Idee klingt logisch, doch sie kommt einher mit einem Preis: dem Eingriff in Privatsphäre und Grundrechte.