Weil Kirchen von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen in ihren Gotteshäusern immer häufiger Asyl gewähren, geraten sie bei Juristen und Politikern ins Kreuzfeuer. In Nordrhein-Westfalen ist daher Streit in der schwarz-gelben Koalition ausgebrochen.
Der Präsident des Verwaltungsgerichts Düsseldorf redete sich in Rage. Die Politik müsse endlich gegen das zunehmende Kirchenasyl für von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge einschreiten, verlangte Andreas Heusch bei seinem Jahresgespräch mit den Medienvertretern. Es sei nicht weiter hinnehmbar, dass die Kirchen eine höhere Moral für sich beanspruchten und staatliche Organe rechtswidrig behinderten. Hier müsse der Staat endlich „Recht durchsetzen“.
Mit seiner Rede gegen Kirchen und Politik hat der wortflinke Verwaltungsgerichts-Präsident eine Kontroverse innerhalb der schwarz-gelben Landesregierung im bevölkerungsreichsten Bundesland ausgelöst. Während der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) das Kirchenasyl grundsätzlich verteidigt, will es der dortige Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) auf „absolute Ausnahmefälle“ beschränkt sehen.
Der Düsseldorfer Verwaltungsgerichts-Präsident beklagt, dass durch die Gewährung von Kirchenasyl ganz gezielt Gerichtsfristen unterlaufen würden, um Asylbewerber vor einer drohenden Abschiebung zu schützen. Dies geschehe vor allem in dem sogenannten Dublin-Verfahren, das mit wenigen Ausnahmen auf sechs Monate befristet ist. Wenn in diesem Zeitraum vom Verwaltungsgericht keine Entscheidung erfolge, könne der Asylbewerber sein Verfahren in Deutschland durchführen.
Justizminister verteidigt Kirchenasyl
Die Verwaltungsrichter hätten in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass immer häufiger Kirchenasyl gewährt werde, um so die gesetzlichen Fristen für eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht verstreichen zu lassen, berichtete Heusch. In anderen Fällen würden durch das Kirchenasyl systematisch gerichtliche Abschiebeentscheidungen torpediert. Zugleich kritisiert die Sprecherin des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts, Nicola Haderlein, dass ihre für die Asylklagen zuständigen Richterkollegen während laufender Verfahren von Kirchenvertretern wiederholt öffentlich unter Druck gesetzt worden seien.
In Nordrhein-Westfalen hat sich die Evangelische Kirche bereits 1995 mit dem Innenministerium auf eine Vereinbarung verständigt, wonach Kirchengemeinden schon im Vorfeld eines möglichen Kirchenasyls Kontakt zum zuständigen Ausländeramt aufzunehmen haben. Laut Übereinkommen sollen dabei Fakten vorgetragen werden, die belegten, dass der Asylsuchende bei einer Abschiebung in sein Heimatland „ernsthaft an Leib, Leben und Freiheit gefährdet“ sei. Bei einer Gewährung von Kirchenasyl sollen Kirche und Behörde klären, ob auf „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ verzichtet werden könne. Im Fall einer Abschiebung soll die betroffene Kirchengemeinde nach dieser Vereinbarung „möglichst informiert“ werden.
An diese Tradition der rot-grünen Vorgängerregierungen will Justizminister Biesenbach anknüpfen. „Das Kirchenasyl gehört zu Deutschland“, sagt Biesenbach. Es sei „Ausdruck unserer christlichen Tradition“. Zugleich mahnt der Minister die Kirchen, die öffentliche Akzeptanz dieses Instruments nicht durch eine Inflationierung zu gefährden. „Diejenigen, die es gewähren, werden sich allerdings der Frage stellen müssen, ob die Art und Häufigkeit, in der es gegenwärtig gewährt wird, nicht die Akzeptanz des Kirchenasyls gefährdet.“
Im Gegensatz zu Biesenbach gibt ausgerechnet Joachim Stamp, Familien- und Integrationsminister und damit zuständig für Flüchtlinge, den Verwaltungsrichtern Rückendeckung. Es sei „nicht akzeptabel“, wenn Kirchenasyl instrumentalisiert werde, um gerichtliche Fristen zu unterlaufen und eine Rücküberstellung in das Transitland zu verhindern. Kirchenasyl dürfe nur „im absoluten Ausnahmefall“ dazu führen, dass ein Asylfall von den Behörden neu geprüft werde. Alles andere könne „ein Rechtsstaat nicht hinnehmen“.
Nach Angaben von Stamps Ministerium betrifft die „weit überwiegende Zahl“ der Kirchenasylfälle das sogenannte Dublin-Verfahren. Hier geht es um Überstellungen in einen anderen, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen EU-Mitgliedstaat. In einem Erlass hatte die Landesregierung die Ausländerbehörden erst am 13. Juli vergangenen Jahres angewiesen, bei Bekanntwerden eines Kirchenasyls „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ vorerst zu unterlassen. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass die Kirchen unmittelbar gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in einem Dossier den jeweiligen Einzelfall darlegen, um den Behörden eine nochmalige Prüfung unter Einbeziehung aller Umstände zu ermöglichen.
„Es gibt klare Regeln und grundsätzlich funktioniert das auch“, erklärt Stamp zu der Kooperation mit den Kirchen. Die Juristen im NRW-Flüchtlingsministerium verweisen darauf, dass es „ein Rechtsinstitut des Kirchenasyls“ als autonomes Instrument nicht gebe. Asyl zu gewähren obliege ausschließlich dem Staat. Die Innenministerkonferenz hatte in ihrer letzten Sitzung das Bundesministerium des Innern beauftragt, ein länderoffenes Gespräch mit den Kirchenvertretern zum Thema Kirchenasyl zu führen. Dieses Treffen steht noch aus.
Kirche und Politik mit Gesprächsbedarf
Vor allem die unionsgeführten Länder setzten diesen Punkt in der Innenministerkonferenz zuletzt immer wieder auf die Tagesordnung. Darin sieht der SPD-Fraktionsvize und Rechtsexperte im Düsseldorfer Landtag, Thomas Kutschaty, „eine Kriminalisierung des Kirchenasyls“. Für Sozialdemokraten sei das Kirchenasyl „ein Gewohnheitsrecht, mit dem wir bisher gut gefahren sind.“ Die Politik müsse den Kirchen für ihre Unterstützung bei der Zuwanderung „eher danken statt sie unter Generalverdacht zu stellen.“ In den überwiegenden Fällen des Kirchenasyls ist es nach Kutschatys Überzeugung in der Vergangenheit gelungen, gemeinsam mit den zuständigen Behörden zu anderen Lösungen als einer Abschiebung zu kommen.
Seit Monaten kritisieren die Unionsparteien einen wachsenden Missbrauch beim Kirchenasyl und einen starken Anstieg der Fälle in den letzten Jahren in Deutschland. Nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ waren Mitte November vergangenen Jahres 531 Asylsuchende in deutschen Kirchengebäuden untergebracht. In den beiden Jahren zuvor wurden bundesweit 692 und 620 Fälle von Kirchenasyl registriert. Vor dem Anstieg der Zuwanderung war für Flüchtlinge lediglich in 50 Fällen (2012) und 79 Fällen (2013) Kirchenasyl gewährt worden.
Dieser unbestreitbare Anstieg hänge erkennbar mit der hohen Zahl der Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2016 zusammen, urteilt Kutschaty, der von 2010 bis 2017 NRW-Justizminister war. Insgesamt seien die Fälle von Kirchenasyl bundesweit aber nicht so hoch, dass dies seinem „Rechtsempfinden“ widerspreche. Vielmehr zeigten diese Zahlen, dass die Kirchen „nicht wahllos“ Asyl gewährten. Hierbei handele es sich um eine sorgfältige Prüfung begründeter Einzelfälle und nicht etwa um ein bewusstes Auflehnen der Kirchen gegen den Staat. Das Kirchenasyl sei „ein kleiner Baustein“ im Rahmen der umfangreichen kirchlichen Flüchtlingshilfe.
„Auf dem Rücken einer verschwindend geringen Zahl von Asylbewerbern“ stießen die Unionsparteien jetzt eine „Scheindebatte“ an, kritisiert Kutschaty. „Das ist ein Spiel mit dem Feuer.“ Es sei „erschreckend“, dass diese Debatte ausgerechnet durch eine Partei angestoßen werde, die die christlichen Werte im Namen trage. Wenn bei einer Abschiebung trotz Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten eine Gefahr für Leib und Leben drohe, dann bestehe „eine Notsituation“. In einer solchen Situation gebiete es der christliche Glaube, zu helfen. Solche christliche Nächstenliebe sei „tief verwurzelter Bestandteil der Werte in unserem Land“. Diese Grundwerte dürften nicht leichtfertig zur Disposition gestellt werden, warnt der prominente Sozialdemokrat. „Die Unionsparteien wären gut beraten, ihre Bindung an den christlichen Glauben einer ehrlichen Generalinventur zu unterziehen.“