Wie ein länglicher Kieselstein, den einst ein Riese ins weite Blau des Atlantiks katapultiert haben muss, liegt sie da. Zum dritten Mal in Folge wurde die vulkanische Insel Madeira vom „World Travel Awards“ zur „World’s Leading Island Destination 2017“ gekürt. Und das zu Recht.
Der sichtbare Teil von Madeira ist nur das obere Viertel eines umfluteten Vulkanbergs, der sofort in eine Meerestiefe von bis zu 3.000 Meter abfällt. 18 Millionen Jahre ist das Archipel jung und wurde vom Baumeister Natur nach mehreren vulkanischen Aktivitäten vor 6.450 Jahren fertig geformt. Wie ihre vulkanischen Schwestern, die Kanaren, die Kapverden und die Azoren, gehört sie biografisch zu den „Inseln der Glückseligen“, die im Jahr 1351 erstmals auf der Landkarte auftauchten. Portugiesische Seefahrer hatten sie einst, knapp 1.000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt, entdeckt und ab 1419 besiedelt.
Christiano Ronaldo empfängt jeden Gast: Der Miniatur-Aeroporto ist nach Madeiras Ehrenbürger benannt. Vogelperspektivisch war gerade noch der urwaldgleiche Inselkern mit seinem Bergmassiv aus verwitterten Vulkanen und Lavaströmen zu sehen, fadenbreite Sturzbäche bahnten sich ihren Weg durch zerklüfteten Fels. Nebel sorgt für mystische Stimmung. Weit über 3.000 Tier- und über 1.000 Pflanzenarten fühlen sich, ob endemisch oder eingeschleppt, auf der Insel heimisch.
Durch das immer milde Meeresklima steckt in so mancher Wurzel eine Millionen Jahre alte Geschichte. Madeiras Lorbeerwälder (Unesco-Weltnaturerbe), die vor der Eiszeit noch ganz Europa überwucherten, machen 20 Prozent der 57 Kilometer langen und 22 Kilometer breiten Gesamtfläche aus. Dem Holz (portugiesisch: Madeira) hat die Insel ihren Namen zu verdanken. Die Verarbeitung des Laurisilva-Holzes und der Zuckerrohranbau generierten große Wirtschaftskraft. Auch Christoph Kolumbus machte hier um 1480 als Zuckerhändler mehrere Jahre Zwischenstation.
Millionen Jahre alte Geschichte
Den kultivierten Kontrast zum Urwüchsigen bilden neben Obst- und Bananenplantagen die Terrassenfelder. Geröllhalden (Fajãs) und kleine Hochplateaus (Achadas) dienen als Ackerbauflächen. Der Boden ist fruchtbar und die Luftfeuchtigkeit hoch. Regenbögen spannen sich über die Landschaft. Auf dem Botaniker-Liebling mit seinen vielen Gartenanlagen wachsen die exotischsten Früchte oft schon am Wegesrand.
Wer die Insel rundum erkunden will, mietet sich bereits am Flughafen ein Auto. Auch öffentliche Verkehrsmittel sind zuverlässig. Eine Busfahrt quer durchs Land gewährt Fensterblicke auf atemraubenden Schluchten. An die 140 Tunnel wurden seit den 90ern in die Felsen geschlagen. Die Via rápida 1 verbindet Nord mit Süd. Das erlaubt, Bela Menezes von Arco São Jorge nach Funchal zu pendeln. Wer die Ruhe sucht, ist an der wolkenreichen, dünn besiedelten Nordküste mit ihren rauen Kliffs und vorgelagerten Lavazungen richtig. Dazwischen Weinreben und eine echte Vulkanhöhle in São Vincente. In Porto Moniz laden die aus Lava geformten Naturschwimmbecken zum Baden ein.
Mancherorts kleben die beige-roten Häuser wie Schwalbennester an den Hügeln. Dazwischen imposante Villen – die Alterssitze rückkehrender „Emigranten“, die das wirtschaftlich schwache Madeira in den 60er- und 70er-Jahren Richtung Südafrika, Brasilien, Kanada und Australien verlassen hatten. Die originären reetgedeckten Steinhäuschen der Ureinwohner finden sich noch in Santana.
Wanderfreaks lieben den allgegenwärtigen weiten Blick übers endlos erscheinende Meer, wenn sie über ausgetretene Hirtenpfade oder entlang der Levadas (beispielsweise Do Rei, das 25 Fontes oder Do Castelejo) pilgern. Die über 2.000 Kilometer, teilweise in den Fels geschlagenen, hüftbreiten Kanäle und Fußpfade sind in ihrer Form einmalig. Was sich sanft romantisch über die halbe Insel hinzuschlängeln scheint, ist ein ausgeklügeltes 300 Jahre altes Bewässerungssystem, das Wasser vom regenreichen Norden in den deutlich milderen Süden verteilt. Die Riesenfarne, Moose und Flechten, die die oft steil abfallenden, aber leicht begehbaren Wege zieren, präsentieren sich in allen Grünschattierungen. Auch sie setzen einen Gegenpol zur kunterbunten Floralästhetik – Madeiras zweites Gesicht. Birdwatcher halten nach Exoten wie Goldhähnchen oder wippenden Gebirgsstelzen Ausschau.
Mitteleuropäer verschlägt es zwischen November und Ende April auf die ganzjährig klimatisch mild gestimmte (Winter 19 Grad Celsius/ Sommer 26 Grad Celsius). Spanier und Portugiesen fliehen vor der stehenden Sommerhitze auf dem Festland. Das Wandern auf den Höhenpässen ist auch im Sommer zu empfehlen, weil die Temperatur pro 100 Höhenmeter um 0,7 Grad sinkt. So bleibt es im Gebirge angenehm mild. Eine Superlative ist der 600 Meter über dem Meer thronende Cabo Girão im Süden – eine der höchsten Steilklippen Europas. Der nördlich von Funchal in der Inselmitte gelegene Pico Ruivo ist mit 1.861 Metern der höchste Inselberg. In seiner Nähe liegt auch gleich der zweithöchste Pico do Arieiro – beide sind nicht nur Bergsteigern vorbehalten.
Wassersportaktive oder Badeurlauber finden jedoch nur wenige, meist dunkel-kiesige Strände, zum Beispiel im Westen Funchals. Der goldene Sand in Machico und Calheta wurde aus dem 600 Kilometer entfernten Marokko angekarrt. Endlose Traumstrände bietet die gegenüberliegende Badeinsel Porto Santo (zweistündige Fährfahrt). Auch Canyoning und Whale-Watching sind sehr beliebt.
Die Farbenpracht in Funchal prägt offensichtlich seine 112.000 Einwohner. Lebensfroh feiern sie ein Stadtfest nach dem anderen. Wenn kurz nach Ostern Hunderte Inselfeen in Blumengewändern zwischen Flower-Trucks und -Teppichen tanzen, dann ist wieder Festa da Flor – das Blumenfestival. Neben dem gigantischen Silvesterfeuerwerk im Hafen – das es ins Guiness-Buch geschafft hat – ist es das zweite Jahreshighlight. Wer das Spektrum am Stengel erleben möchte, begebe sich mit einem der sechs Teleféricos (Seilbahnen) über das 500 Meter über dem Meer liegende Monte in den Jardim Botânico – das botanische Herzstück der Insel. Mit dem legendären Korbschlitten geht es mit zwei „Gondolieres“ wieder vom Berg hinunter.
Raue Klippen und eine Vulkanhöhle
Die „Caminho das Babosas“ dienten im 19. Jahrhundert den feinen englischen Weinhändlern, die sich auf dem Hügel vornehme Villen für die Sommermonate erbauen ließen, als Transportmittel. Nachdem die Reblaus 1860 das lukrative Weingeschäft in die Krise stürzte, übernahm der Geldadel Montes stattliche Quintas – heute sind es zumeist Hotels. In einer ehemaligen Parkanlage eröffnete ein Emigrant aus Südafrika den bizarren Park „Jardim Monte Palace Tropical“ mit Azulejo-Freiluft-Galerie. Auch das Grab Karl I., des letzten Kaisers von Österreich-Ungarn, der 1922 hier im Exil verstarb, ist zu besichtigen. Kaiserin Sissi hatte die Insel bereits 40 Jahre zuvor besucht. Winston Churchill logierte im mondänen „Belmond Reid’s Palace Hotel”. Noch heute wird hier die berühmte Five o’Clock Teatime Zeremonie auf der Terrasse mit Blick in den Hafen Funchals zelebriert. Churchills Lieblingsplatz war das benachbarte Fischerdorf Câmara de Lobos, wo die Fischer heute noch am Kartentisch zocken oder ihren Fisch in der Sonne trocknen.
In Funchal führt eine Duftfährte durch die belebten Gässchen zum Mercado dos Lavradores. Der exotische Bilderbuch-Bauernmarkt ist zwar täglich außer Sonntag geöffnet, aber nur freitags sitzen die Blumenfrauen aus Camacha etwas griesgrämig, aber dafür umso authentischer, vor der berühmten Markthalle. Stararchitekt Edmundo Tavares hatte 1940 den von Säulen umsäumten Patio wie eine kleine Stadt-in-der-Stadt im Art Déco-Stil konzipiert. Vom ersten Stock betrachtet, ein Mosaik aus Blume und Frucht. Nach Ananas und Banane schmeckt der Kolbenriese „fruto delicioso“, runden Tannenzapfen ähneln die „anonas“ mit Birnengeschmack und fruchtig säuerlich munden die „pitangas“ (Surinamkirsche). Madeiras Exportschlager sind die Bananen. Auf langen Tischen bieten die Fischhändler den „peixa espada“ an. Der Degenfisch in schwarz oder weiß wird mit kilometerlangen Angeln aus der Tiefsee gefischt und fluffig paniert mit Bananen in Maracujasaft serviert. Nicht zu verwechseln mit dem „espetada“ – auf Lorbeerholz gespießtes Rindfleisch.
Obwohl Madeira auch mit zwei Michelin-Sternerestaurants aufwarten kann („Il Gallo d’Oro“ im „PortoBay Hotel Cliff“ und „Restaurant Williams“ im „Belmond Reid’s Palace“) ist die Küche der Insel so bodenständig wie ihre Einwohner. Schlichte Eintöpfe mit allem, was Land und Meer hergeben, sind Tagesgeschäft. Vorneweg: die sämige Caldo Verde – eine Kartoffelsuppe mit Chorizo. Gegartes Gemüse, oft mit Süßkartoffeln, gesellt sich als spartanische Beilage zu Gegrilltem. Typisch auch der Bolo de Caco – ein Fladenbrot mit Knoblauchbutter. Ein Flan aus exotischer Frucht darf nicht fehlen. Wer es den Einheimischen gleichtun will, trinkt vorneweg ein Gläschen Likörwein mit der Frage: „Halbsüß oder lieber trocken?“. Der Madeira-Wein ist das landestypische Gold-Tröpfchen und ein 200 Jahre altes Erbe der Engländer. Ein Besuch in den Traditions-Kellereien D’Oliveira, Borges oder Blandy‘s in Funchal ist Pflicht. Im Nachgang gibt es dann noch einen Garoto (Lausbub) oder einen Bica – ein Espresso mit oder ohne Milch. An manchem Tresen kostet der noch unter einem Euro. Dabei lauscht man dem melancholischem Fado-Sing-Sang der immer milde gestimmten Madeirenser.