In Flandern führt der schnellste Weg zum Strand über die Schiene. Mit einer Länge von 68 Kilometern und 69 Haltestellen ist die Kusttram entlang der belgischen Küste die längste Straßenbahnlinie der Welt. Und vermutlich auch die einzige mit Meerblick.
Das Kreischen der Möwen, das Rauschen des Meeres – und alle paar Minuten ein leises Klingeln. So hört sich Badeurlaub in Belgien an. Es ist das Haltesignal der Kusttram. Es ertönt immer dann, wenn jemand an der nächsten Station aussteigen möchte. Am Bahnsteig der Küstenstraßenbahn warten bereits die nächsten Fahrgäste, voll bepackt mit Handtüchern, Sonnenschirm und Buddelzeug. Denn in Flandern führt der schnellste Weg zum Strand über die Schiene. Die Kusttram fährt die gesamte belgische Küste entlang: von Knokke-Heist im Nordosten an der Grenze zu den Niederlanden bis Adinkerke unweit der französischen Grenze. Zwischen Oostende und Middelkerke fährt sie sogar direkt am Wasser. Links die Dünen, rechts die Nordsee, voraus schon wieder der nächste Halt mit Umsteigemöglichkeit zum Urlaub: ein einzigartiges Ferienerlebnis.
Mit einer Streckenlänge von 68 Kilometern und insgesamt 69 Haltestellen ist die Kusttram die längste durchgängige Straßenbahnlinie der Welt. Und vermutlich auch die einzige mit Meeresblick. Seit 1885 war zunächst eine Dampf- und mittlerweile eine moderne elektrische Straßenbahn unterwegs, anfangs nur zwischen Oostende und Nieuwpoort, seit 1926 dann über die volle Distanz von Knokke-Heist bis De Panne. 1996 wurde die Strecke bis Adinkerke verlängert, damit bekam auch das Plopsaland eine eigene Station – einer der größten Freizeitparks Belgiens. Die Kusttram fährt im Zehn-Minuten-Takt, für die gesamte Strecke benötigt sie knapp zweieinhalb Stunden. Nicht nur Touristen nutzen sie. Auch für die Einheimischen ist es der bequemste Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Essen. Tagestickets gibt es bereits ab sechs Euro, wobei man für diesen Preis zusätzlich sämtliche Buslinien der Betreibergesellschaft De Lijn bis nach Brügge, Gent oder Antwerpen nutzen kann. Außerdem werden Kombi-Fahrscheine angeboten, die neben der Anreise auch gleich noch den Eintritt in eine der Attraktionen der Region beinhalten.
Und davon gibt es an der belgischen Küste einige. Kultur und Geschichte, gutes Essen oder einfach nur Stranderholung: Flandern bietet alles, auch für Kinder. Von den hässlichen Hochhäusern vielerorts – ein Überbleibsel aus den 70er-Jahren – sollte man sich nicht abschrecken lassen. Die niederländische und die französische Küste mögen auf den ersten Blick schöner aussehen, doch dafür bietet Belgien einen abwechslungsreichen Urlaubsmix auf kleinstem Raum, der zudem dank Kusttram fast vollständig autofrei zu erkunden ist. Jeder Küstenort hat seinen eigenen Charakter. De Panne wartet mit weiten Stränden auf, bei Ebbe mit bis zu 450 Metern die breiteste der belgischen Küste – dort wurde 1898 das Strandsegeln erfunden, bis heute finden regelmäßig internationale Rennen statt. In der Gemeinde befindet sich zudem rund ein Drittel aller Dünen des Landes. Mehrere Naturschutzgebiete und -reservate laden zum Wandern ein. In Oostduinkerke ist noch die Tradition der Pferdefischerei zu bestaunen. Bis zur Brust stehen die robusten Brabander-Kaltblüter im Wasser und ziehen die schweren Krabbennetze hinter sich her. Weltweit werden nur noch an diesem Ort zu Pferd Krabben gefangen. Die Unesco hat den jahrhundertealten Brauch 2013 als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.
Jeder Küstenort hat seinen eigenen Charakter
Weiter nördlich erreicht die Straßenbahn Oostende, mit 70.000 Einwohnern die größte Stadt entlang der flandrischen Küste und so etwas wie die inoffizielle Hauptstadt der Kusttram-Region. Schon Marvin Gaye ließ es sich dort gutgehen: Der Soulsänger lebte ab 1981 fast zwei Jahre in Oostende und schrieb dort seinen Welthit „Sexual Healing“. Der Ort gilt als Königin der belgischen Seebäder und hat wohl nicht ganz zufällig Monaco als Partnerstadt, schließlich geht es dort bis heute nicht nur unter den Königlichen Arkaden recht mondän zu. Ein Casino, zahlreiche Restaurants und eine Pferderennbahn mitten in der Stadt samt angeschlossenem Neun-Loch-Golfplatz sorgen für beste Unterhaltung. Kulturbeflissene besuchen das Museum für moderne Kunst der Provinz Westflandern (PMMK) oder das James-Ensor-Haus, in dem einst der berühmte belgische Maler lebte, oder sie unternehmen an Bord der Mercator einen Ausflug in die Zeit der großen Segelschiffe. Sehr beliebt ist auch ein Spaziergang über die alte Hafenmole, vor allem bei Sonnenuntergang.
Unter allen Haltestellen der Küstenstraßenbahn ist die in De Haan ganz sicher die schönste. Das Straßenbahnhäuschen sieht immer noch so aus, wie es Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Es war die Zeit der Belle Epoque und des Jugendstils, die in De Haan nicht nur architektonisch weiterlebt. Einmal im Jahr, immer Anfang August, feiert der Ort das Belle-Epoque-Festival „Trammelant“. Die Damen tragen Sommerkleider, Schirmchen und übergroße Hüte; die Herren führen stolz ihre Oldtimer und Gehräder vor oder üben sich in den Sportarten jener Zeit; es wird getanzt und historische Musik gespielt. Ein Wochenende voller Nostalgie. Da wird die Fahrt mit der Kusttram schnell zur Zeitreise. Der berühmteste Einwohner von De Haan lebte übrigens erst einige Jahre nach der Belle Epoque dort und hätte wohl trotz der herrlichen Umgebung liebend gern darauf verzichtet: Albert Einstein verbrachte 1933 nach seiner Flucht aus Deutschland vor den Nationalsozialisten sechs Monate in De Haan, ehe er weiter in die USA reiste. Nach so viel Charme ist Zeebrugge erst einmal ein Schock. Der Ort ist einer der größten Häfen Europas. Statt Kirchtürmen ragen Kräne in die Höhe, am Kai liegen riesige Containerschiffe und Großtanker.
Endstation ist ein vornehmes Seebad
Zeebrugge ist kein historisch gewachsener Hafen: Erst 1907 wurde der erste Hafenkomplex eingeweiht. Der Bau war notwendig geworden, nachdem die Zwin-Zufahrt über die Jahrhunderte versandet und Brügge damit zur Binnenstadt geworden war. Damit einher ging auch der wirtschaftliche Niedergang, der sich erst durch den Bau des neuen Überseehafens in Zeebrugge stoppen ließ. Im maritimen Themenpark Seafront ist die Geschichte des Hafens gut dargestellt. In das Museum integriert sind auch ein altes sowjetisches U-Boot und das ehemalige Feuerschiff West-Hinder – ein Hit für Kinder, auch an Regentagen. Im Nachbarort Blankenberge gibt es als Schlechtwetter-Alternativen außerdem das Aquarium Sealife mit Robbenauffangstation sowie die interaktive Ausstellung „Storms“ auf dem Pier, wo ein Hurrikan-Simulator einen Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 Kilometern pro Stunde erlebbar macht. Für alle drei und noch viel mehr Attraktionen entlang der gesamten Küste gibt es mit dem kostenlosen Kustpas satte Rabatte.
Endstation der Kusttram ist Knokke-Heist – das vornehmste aller belgischen Seebäder mit Luxusboutiquen und exklusiven Villen der Brüsseler und Antwerpener Oberschicht. Man trägt Louis Vuitton, Armani und Prada, vor allem rund um den Albertplein, manchmal auch spöttisch „Place m’as-tu-vu“ genannt – „Angeberplatz“. Gleichzeitig ist Knokke-Heist aber auch Ausgangspunkt für ausgiebige Wanderungen und Vogelbeobachtungen im nahegelegenen Naturschutzgebiet Het Zwin, dem größten der belgischen Küste. Danach gönnt man sich gern eine belgische Waffel, zum Beispiel im Restaurant „Marie Siska“. Dort gibt es nicht nur frische Waffeln mit Erdbeeren, Schlagsahne oder flüssiger belgischer Schokolade. Der eigentliche Höhepunkt ist ein riesiger Spielplatz mit Ritterburg, Piratenschiff und Klettergerüst – ein wahres Paradies für Kinder. Sogar mit Straßenbahnanschluss.