Was brauchen wir wirklich für ein zufriedenes Leben?
Bei einem gründlichen Hausputz entsorgten wir überflüssige Sachen. So brauchen wir kaum noch Krawatten, behielten zwei, verschenkten so um die 30 Binder. Mehr als 50 Musik-Disketten und mehr als 50 Bücher konnten versteigert werden. Nach jedem Aufräumen stellen wir fest, dass nur wirklich wenig für ein zufriedenes Leben benötigt wird.
Den Tag hatten wir mit einer Meditation begonnen. In dem Büchlein stand: „Spiritualität meint Hingabe an geistliche statt an materielle Werte.“ Wer danach lebt, der steigert natürlich nicht unbedingt die Binnennachfrage in Deutschland. Weil das Steueraufkommen auch nicht erhöht wird, indem wir bei Amazon bestellen, kaufen wir Bücher grundsätzlich in Buchhandlungen. Und zwar in jenen, in denen Fachverkäufer Rat geben können.
Die Versuchung ist natürlich groß, sich der Werbung auszuliefern. Nach dem Meditationstext lasen wir die Tageszeitung, der etliche Prospekte beigelegt waren. Ein Möbelhaus suggerierte uns bisher nicht bekannte Bedürfnisse. Die neue Sommerkollektion sei eingetroffen, hieß es da. Gibt es bald auch eine Herbst-Auswahl, eine Winter-Edition? Bislang waren wir nicht auf die Idee gekommen, alle drei Monate unsere Möbel auszuwechseln.
Einem Hamburger Nachrichten-Magazin entnahmen wir, dass neue Ideen die Mode und das Einkaufen verändern. Neue Ideen verändern fast immer etwas, insofern kam uns diese Verlockung eher als Hohlphrase vor. Zwölf Berliner Unternehmer der Start-up-Szene ließen wissen, wie viel Geld sie für ihre Bekleidung ausgegeben hatten. Anna Alex von Outfitterey zum Beispiel trug einen Pullover aus Kaschmir und Wolle für 695 Euro, dazu eine Bundfaltenhose aus Viskose für 440 Euro. Passend dazu hatte sie sich für einen güldenen Armreif für 34.700 Euro entschieden.
Dass dies alles Angebote für die Reichen in unserem Lande sein könnten, dachten wir zuerst. Bis wir eine Tageszeitung mit großen Buchstaben und vielen Bildern durchraschelten. Dieses Blättchen wird eher von ärmeren Menschen erstanden. Die konnten dann überlegen, ob sie von Hartz IV oder ihrer Rente ein Schnäppchen erwerben wollten. Im Angebot war ein Brotbeutel aus Leder in einem hässlichen Blau für 340 Euro. Solch ein Utensil hatte ein Filmsternchen als Must-have einem Fotografen gezeigt.
Luxus kann durchaus schön sein, und wir gönnen uns durchaus auch gelegentlich etwas Feines. Das beschränkt sich allerdings auf ein besonderes Essen in wohligem Ambiente. Da können wir zwischen unserem Lieblingsinder, Lieblingsitaliener oder Lieblingsgriechen wählen. Auch darf es mal ein hochwertiger Pullover sein – aber doch nicht für 695 Euro.
Nein, wir sind nicht neidisch. Wir haben uns nur der Werbung entzogen. Natürlich ist es einfach, mal schnell die Vorratskammer und den Kühlschrank mit Waren vom Discounter zu füllen. Beim Einkauf treffen wir wohl selten Unternehmer der Start-up-Szene, sondern ältere Menschen, von denen einige erst einmal viele Pfandflaschen gegen Bargeld einlösen, bevor sie die Chemie-Bomben aus den Regalen nehmen.
Diese Discounter haben ja nicht nur Chemikalien im Angebot, sondern oft auch sehr gutes Obst und Gemüse. Manchmal sogar im Dezember Spargel aus Peru. Wenn wir eines nicht brauchen, dann ist das Spargel im Dezember. Viel mehr freuen wir uns jetzt auf den frischen Spargel. Dazu juckeln wir in die nächstgelegenen Dörfer, wo Bauern ihre Produkte feilbieten. Sie haben meist auch Kartoffeln und Erdbeeren an ihren Ständen.
Die Leckereien transportieren wir in Stofftaschen nach Hause, die wir immer wieder verwenden können. Für eine solche Ernährung brauchen wir kein Fitzelchen Plastik.
Dank der täglichen Meditation gelingt es, sich nicht mehr über Ungerechtigkeiten aufzuregen. Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie wirklich sein wollen. Als wir noch im Hamsterrad des Berufslebens liefen, wurden wir manchmal auch vom Kaufrausch erfasst. Das muss nun nicht mehr sein.
War noch etwas? Ach, ja! Zwei Säcke Müll vom Hausputz müssen noch nach unten gebracht werden. Die Wohnung ist jetzt viel luftiger.