Das „Belle Alliance" schafft problemlos den Brückenschlag von Preußen nach Portugal. Küchenchef Adrien Defremet setzt mit seinem internationalen Team vielfältige kulinarische Akzente. Und die Gäste? Die lieben vor allem die klassischen Risotti.
Schlachten werden am Mehringdamm, Ecke Hagelberger Straße, keineswegs geschlagen; allenfalls kulinarische Kämpfe mit Messern, Gabeln und Löffeln ausgefochten. Der Name des Restaurants im Eckhaus ist dennoch perfekt gewählt: Vom Gasthaus „Belle Alliance" aus führte Napoleon Bonaparte im Juni 1815 seine letzte Schlacht bei Waterloo. Der Sieg von Alliierten und Preußen beendete die französische Vorherrschaft in Europa und die Besetzung Preußens. All das wurde später in der Namensgebung der Kreuzberger Straßen im „Generalszug" zwischen heutigem Mehringplatz und Dudenstraße gewürdigt. Also genau in der Gegend, in der sich ein langjährig ansässiger türkischer Gemüseladen vor zwei Jahren in das Restaurant „Belle Alliance" verwandelte. International setzte sich der Begriff „Waterloo" für die entscheidende Schlacht der Befreiungskriege durch, und die Belle-Alliance-Straße ist längst als Mehringdamm geläufig. Aber die Geschichte des Viertels zu würdigen, zu dem das in den 1920er-Jahren erbaute, denkmalgeschützte Haus mit dem Restaurant zählt, war Inhaber Rodi Yegin in der Umbauphase wichtig: „Eine ältere Dame aus der Nachbarschaft hat uns schließlich auf den Namen gebracht."
Für den versöhnlichen internationalen Touch auf den Tellern sorgt indes Küchenchef Adrien Defremet mit seinem Team. Der Franzose lernte in französischen Zwei- und Drei-Sterne-Häusern, lebte und kochte anschließend mehrere Jahre im britischen Bristol. Seit eineinhalb Jahren bringt der 25-Jährige mediterran inspirierte Wohlfühlküche der unkomplizierten Art auf die Tische. „Ich habe ein großes Zutrauen in das, was wir hier machen", sagt Adrien. Nicht zuletzt, weil sich die vier internationalen Köche mit Akzenten aus ihren Herkunftsländern allesamt einbringen: Die Sous-Chefin ist Japanerin – und Expertin für Suppen. Ein amerikanischer und ein portugiesischer Koch mischen ebenfalls mit. Von Letzterem stammt das „Bolo do Caco", ein Süßkartoffel-Brötchen, das mit Rinderfilet-Carpaccio, Sellerieremoulade und Rauke gereicht wird.
Sommerflair mit Kaffee und Eis
Auch die Gäste zeigen, was sie gern erneut essen wollen. Das „Zweierlei von der Bete" etwa: gezupften Büffelmozzarella und ein Rote-Bete-Tatar auf einem Carpaccio von dünn gehobelten gleichfarbigen Knollenscheiben. Ein bisschen Sauerteigbrot von „The Bread Station" wird gern zum Auftupfen dazu oder pur mit Butter und Maldon-Salz genommen. Restaurantleiter und Geschäftsführer Sebastian Brinker ist der Auskenner bei den Weinflaschen. Wir lassen uns gern von ihm einen zum Essen passenden Wein empfehlen. Er schenkt uns einen „Kaitui", einen 2016er Sauvignon Blanc, ein. Der Name bedeute in der Sprache der Maori „Schneider", verrät Brinker uns – ein spielerischer Verweis auf Markus Schneider. Der Winzer orientierte sich an neuseeländischen Weinen, pflanzte Sauvignon-Blanc-Reben in der Pfalz, erntete mehrfach und wurde mit einem breiten Spektrum von frischen und grasigen Noten und beinah exotischer Duftigkeit vollreifer Trauben im Glas belohnt. Wir auch. Deshalb bleiben wir einfach dabei und behalten uns einen tieferen Blick in den Weinkühlschrank neben der Bar und in dessen Flaschen für ein anderes Mal vor.
Uns fallen die aus alten Gasflaschen geschweißten Leuchten über dem Tresen, die dunkelgrün gestrichenen Wände und die messingfarbenen Akzente ins Auge. Eine optische Wohltat an einem kühlen Abend! Sie geht nicht allein von den „spiraligen", metallenen 20er-Jahre-Heizkörpern aus. Obwohl nahe am überlaufenen Bergmannkiez, lebt das im Industrie-Look klar, aber gemütlich gestaltete Lokal von zahlreichen Kreuzbergern plus einigem „weltläufigen Publikum", wie es Brinker formuliert. Sehr schön für uns Berliner: Im „Belle Alliance" wird für die „Wiederkehrer" und nicht mit Blick auf touristische „Eintagsfliegen" gekocht. Die frühen Vögel stürzen sich morgens ab zehn Uhr auf dreierlei Varianten vom amtierenden Berliner Hipster-Frühstücksklassiker „Eggs Benedict", auf die Tomaten-Eierpfanne „Shakshuka" oder ein hausgemachtes Granola-Müsli mit Joghurt und frischen Früchten. Für Mittagsgäste sind die Specials wie wechselnde Risotti, das „Bolo do Caco" oder ein Teller „Umami Carbonara" mit Parmaschinken, Pecorino, Shiitake-Pilzen und Frühlingszwiebeln attraktiv.
Am Abend wählen wir von der überschaubar gehaltenen, regelmäßig wechselnden Karte. Inhaber Rodi Yegin nimmt sich etwas Zeit und isst mit uns. Er wählt mit dem gegrillten Oktopus mit Süßkartoffelpüree, Paprikacreme und jungem Spinat eines der zweifellos schicksten Gerichte. Das noppige gegrillte Tintenfischbein macht sich zart und wohlschmeckend hervorragend zu den ausgezogenen orangefarbenen und roten Creme-Strichen. Die Begleiterin und ich teilen uns ein Steinpilz-Risotto mit Trüffelöl und Grana Padano. Ich verstehe, warum das Risotto nicht nur mittags ein Dauerbrenner ist – es schlotzt ordnungsgemäß und macht mit Umami-Bömbchen wie Parmesan löffelweise glücklich.
Frühe Vögel picken an dreierlei Eggs Benedict
Das geht nicht nur mir so. „Wir bereiten den Risotto immer mit zehn Kilo Reis zu", umreißt Küchenchef Adrien Defremet die Dimensionen. Nun gibt es wieder die „grüneren" Varianten – mit jungen Erbsen oder Spargel. Auch Lamm und Rhabarber machen sich auf Karte und Tellern breit: „Ich gehe von den Produkten aus und überlege mir, was ich aus ihnen machen kann." So kommen saisonale, frische Gerichte auf den Tisch. Sie haben überdies den Vorteil, den Geldbeutel nicht überzustrapazieren. Ein Risotto kostet um die 12,50 Euro. Teuerstes Gericht ist ein Entrecôte mit schwarzer Knoblauchbutter, Kartoffelgratin, Mangold und Bordelaise-Sauce für 19,50 Euro. Vorspeisen wie marinierte Oliven, Kapernäpfel und Appenzeller zum Wegpicken kosten 4,50 Euro; ein „Belle Alliance"-Salat mit gratiniertem Ziegenkäse mit Walnüssen, Cranberries und Feigen-Vinaigrette 9,50 Euro.
Das zweite Hauptgericht erfreut uns auf leichte und frische Art. Ein Streifen auf Zitronen und Ingwer gedünstetes Lachsfilet kuschelt sich an Pak-Choi-Kohl und Brokkoli-Quinoa an. Eine süße Chili-Sauce und Mandelscheibchen bringen angeschärftes Geknusper ins Spiel. Ein ideales Gericht, das sich auch an wärmeren Abenden gut auf der 15 Meter langen Terrasse an der Hagelberger Straße machen würde. Ab morgens um 9 Uhr scheine die Sonne darauf, merkt Rodi an. Ein Glück für den Gastronomen und die Gäste, die sich auf 60 Plätzen draußen verteilen können. Abends gegen 20.30 Uhr schaut die Sonne nach ihrem Spaziergang hinter der südlichen Häuserreihe zum Untergang noch einmal in die schmale Wohnstraße.
Dann könnten wir draußen gleich das Dessert mit Bestandteilen vom eiskalten Nachbarn zu uns nehmen: Die Eisdiele „Vanille & Marille" ist ein Anziehungspunkt im Kiez. Versteht sich, dass die Kugel Madagaskar-Vanille, die wir zum „Oh Schokolade"-Soufflé mit gesalzenen Karamell-Streuseln in cremig-vollmundiger Qualität verzehren, von dort stammt. Auch die an Eishörnchen schleckenden Gäste von nebenan dürfen sich an einigen Tischen auf der Terrasse niederlassen. Gutes Eis und guter Kaffee vertragen sich eben gut. Das weiß Rodi selbst am besten, betreibt er doch gemeinsam mit seinem Bruder nahebei am Mehringdamm das „Bagel, Culture & Coffee". Im „Belle Alliance" legt man deshalb Wert auf selbstgeröstete Bohnen von ausgewählten Berliner Röstereien und bereitet Kaffees von „Bonanza Coffee" und „Five Elephant" zu.
Ausklang mit Käseplatte und Zwiebelmarmelade
Wir verplaudern uns aber an diesem kühleren Abend lieber im Inneren des 50-Plätze-Lokals bei einem weiteren tapferen Maori-Schneider im Glas und bekommen sogar noch Lust auf eine Käseplatte. Die wird unter anderem mit einem Deich- und einem Ziegenkäse von „Alte Milch" aus der „Markthalle Neun" bestückt; aus Frankreich lassen ein edel verschimmelter „Foume d’Ambert" und aus der Schweiz ein Eckchen Appenzeller grüßen. Die selbstgemachte rote Zwiebelmarmelade, Walnusskerne und Apfelscheibchen gehen mit dem Käse eine wohlmundende Allianz ein, die einen in jedem Fall friedlichen wie schmackhaften Ausgang des Abends garantiert.