Carina Drews arbeitet in Berlin und Brandenburg als Trainerin für Gewalt- und Kriminalprävention beim bundesweit tätigen Verein „Cool Strong Kids". An Kitas und Grundschulen setzt sie sich gemeinsam mit Lehrkräften und Eltern dafür ein, Kinder durch Lernprogramme vor Gewalt und Missbrauch zu bewahren. Im Interview schildert die 46-Jährige, mit welchen Mitteln und Methoden sie arbeitet, um Kinder stark zu machen.
Frau Drews, Gewalt ist heutzutage an Schulen und sogar in Kindertagesstätten oftmals ein kaum zu bewältigendes Problem. Berlin ist dafür ein trauriges Beispiel. Wie versuchen Sie, dem entgegenzuwirken?
Wir wollen zuallererst Kinder dabei unterstützen, sich vor Gewalt zu schützen. Um dies zu erreichen, wurde ein präventives Mehrebenen-Programm entwickelt, an dem bundesweit mittlerweile mehr als 25.000 Kinder teilgenommen haben. Ebenso wichtig wie die Arbeit mit den Kindern ist das Einbeziehen des sozialen Umfelds der Kinder. Daher machen Lehrer, Erzieher und vor allem die Eltern mit.
Durch „Cool Strong Kids" lernen Kinder, sich in Problem- und Konfliktsituationen angemessen zu verhalten. Viele praktische Übungen verstärken dieses Verhalten positiv, sodass sie es im Alltag anwenden können. Eltern werden durch Arbeits- und Informationsmaterialien sowie Coachings integriert. So lernen sie, das eigene Kind besser zu begleiten und zu stärken. Die Arbeit mit den Lehrern und Erziehern beinhaltet das Erkennen von gewaltfördernden Faktoren. Wir fordern eine starke, eindeutige Haltung gegen Gewalt. Darauf bauen Maßnahmen auf, mit denen Gewaltausübung oder eine Eskalation von Gewalt verhindert werden können.
Das hört sich gut an – kann das in einer Gesellschaft, die von einer hohen Gewaltbereitschaft geprägt ist, von Erfolg gekrönt sein? Erziehen Sie nette, brave, gewaltfreie Kinder, die dann aber in der Härte des Alltagslebens untergehen?
Kinder werden zu Opfern von Gewalt oder sie verhalten sich selbst aggressiv und gewaltbereit, weil es ihnen an sozialen Kompetenzen wie Selbstwertgefühl, Eigenverantwortung, Empathie oder Kompromiss- und Kritikfähigkeit fehlt. Deswegen haben Maßnahmen, die die soziale Kompetenz von Kindern im Rahmen unseres Gewaltpräventionsprogramms fördern, zentralen Stellenwert. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Kompetenzen nicht nur die Wahrscheinlichkeit senken, Opfer von Gewalt zu werden, sondern auch problembelastete Entwicklungen wie Alkohol- und Drogenkonsum, schulische und berufliche Probleme, instabile Paarbeziehungen oder risikobehaftetes Verhalten im Straßenverkehr verhindern können. Es geht doch vor allem darum, den Kindern so früh wie möglich – wir konzentrieren uns auf die Grundschulklassen eins bis vier – bewusst zu machen, dass es andere Möglichkeiten als Gewalt gibt, um mit Ärger, Wut, Enttäuschung umzugehen oder die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Die Kinder lernen, wie sie Provokationen begegnen und Gewalt verhindern können. Wir gestalten das im Spiel, in Übungen, Gesprächen und Rollenspielen immer kindgerecht. Wir führen die Kinder zu Lösungen statt sie mit den Konsequenzen von Gewalt allein zu lassen.
Wie und wann werden Kinder denn gewalttätig?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen wissen viele Kinder nicht, was angemessenes Verhalten ist, weil ihnen Beispiele für alternative Konfliktlösungen fehlen. Zum anderen kann es auch sein, dass Kinder zwar wissen, was angemessenes Verhalten ist, aber ihnen die praktische Übung zur Umsetzung fehlt. Ein Grund dafür kann sein, dass sie in ihrem positiven Verhalten nicht gestärkt wurden. Gewalt ist ein Verhalten, das meistens erlernt wurde. Wie Langzeitstudien zeigen, wird eine Abkehr von gewalttätigem Verhalten nach dem zwölften Lebensjahr sehr viel schwieriger. Ohne gezielte Präventionsmaßnahmen tragen diese Kinder ein gewisses Risiko, später straffällig zu werden.
Nun gibt es aber den Hinweis „Ein Klaps schadet nichts" oder „Ich bin auch ohne Trauma mit Prügeln aufgewachsen". Wird die durch Gesetze bei uns verbotene Züchtigung allzu negativ bewertet?
Der Züchtigungsparagraf wurde im Jahr 2000 novelliert. Seit November 2000 gilt nach Paragraph 1.631 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig." Mit diesem Kinderrecht ist nun ein deutliches Leitbild formuliert worden. Gewalt als Mittel der Erziehung ist nicht zu rechtfertigen, sondern verletzt die Würde des Kindes. Somit schafft das Gesetz Klarheit bei der Einschätzung dessen, was in der Kindererziehung zu tolerieren ist. Es hebt die Grauzonen von „noch erlaubt" bis „nicht mehr hinnehmbar" auf. Die Misshandlung von Kindern und der sexuelle Missbrauch von Jungen und Mädchen erfüllen darüber hinaus Straftatbestände.
Das Ganze ist eine Riesenaufgabe auf einem äußerst schwierigen Feld. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit von Staat und Gesellschaft ausreichend gewürdigt wird?
In Berlin erhalten Brennpunktschulen, an denen wir häufig arbeiten, zusätzliche Mittel, die mitunter auch für Gewaltprävention eingesetzt werden. Dennoch braucht es bundesweit ständig Unterstützer. Da sieht es in Berlin aktuell nicht so gut aus. Deshalb werden wir demnächst in der Hauptstadt durch eine Spenden-Kampagne nach finanziellen Unterstützern suchen. Menschen, die unsere Arbeit gerne unterstützen möchten, können sich schon jetzt an uns wenden.
Unsere Arbeit wird überall dort, wo wir mit Kindergärten und Schulen zusammenarbeiten, gewürdigt und sehr positiv bewertet. Untersuchungen zeigen, dass sich Gewalt dort verringert, wo wir mit Kindern und Erwachsenen zusammenarbeiten.
Denn noch einmal: Wir leisten Arbeit, die das gesamte spätere Leben eines Kindes beeinflusst. Es geht immer darum, dass Kinder Alternativen kennenlernen und praktizieren – nämlich wie sie anders als nach ihren gewohnten Handlungsmustern in einer bestimmten Situation reagieren können. Also: Beim Wutanfall erst einmal auf Distanz gehen, tief durchatmen – „cool down" –, dann zurückgehen und im Gespräch eine Lösung finden und zwar gewaltfrei. Unsere Devise lautet: „Ich bin unschlagbar!"