Frankreichs Präsident hat einen guten Draht zu Trump – Merkel nicht
In der Politik geht es oft nicht nur darum, Ansichten oder Programme auf einen Nenner zu bekommen. Mindestens ebenso wichtig ist die Chemie. Stimmt sie, gibt es zwischen Entscheidungsträgern einen guten Draht. Man kann miteinander – oder eben nicht. Diese Woche bietet ein Paradebeispiel für den Chemie-Faktor in der Politik: Frankreichs Staatschef, Emmanuel Macron, und Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchen US-Präsident Donald Trump in Washington. Ihr Empfang dort könnte unterschiedlicher kaum sein.
Der Franzose wird mit Staats-Festspielen bedacht, die von Montag bis Mittwoch dauern. Er erhält alles, von einem prestigeträchtigen Dinner über einen großzügig bemessenen Gesprächstermin im Weißen Haus bis hin zu einer Rede vor dem Kongress. Die Kanzlerin muss sich hingegen an diesem Freitag mit einem nüchternen Arbeitstreffen begnügen. De-luxe-Kategorie versus Standard.
Der Grund hierfür besteht darin, dass Macron Trump von Beginn an umworben hat. Die Beziehung zwischen Europa und Amerika sei zu wichtig, um sich von persönlichen Befindlichkeiten leiten zu lassen, betonte er bereits kurz nach der US-Wahl. Die Botschaft: Für mögliche Trump-Aversionen sei kein Platz. Noch bei der Pressekonferenz im Berliner Stadtschloss am Donnerstag vergangener Woche lobte er die „transatlantische Schicksalsgemeinschaft" in den höchsten Tönen. Merkel hob zwar auch den „Schatz" der Beziehungen zu Amerika hervor, erwähnte jedoch gleichzeitig die „Meinungsverschiedenheiten".
Macron entpuppt sich als geschickter Polit-Psychologe. Während des Nato-Gipfels in Brüssel im Mai 2017 drückte er Trump so lange die Hand, bis dieser vor Schmerz fast aufjaulte – eine Macho-Geste, die bei dem Amerikaner ankam. Später sprach der Mann aus dem Élysée-Palast von einem „Moment der Wahrheit", auf den er es bewusst angelegt habe. Es ging ihm darum, ein Signal der Stärke auszusenden, um Respekt zu ernten. Ein Macht-Ritual à la Trump.
Bei den großen internationalen Gipfeln wie G7 in Taormina oder G20 in Hamburg suchte Macron hingegen die Nähe zu dem Amerikaner. Vorläufiger Höhepunkt war die Einladung zur Feier des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli in Paris, die zu einem Tätschel- und Umarmungs-Festival der beiden Präsidenten wurde. Vor diesem Hintergrund fährt Macron derzeit die Früchte seiner monatelangen Charmeoffensive ein. Er ist der größte Trump-Versteher in der Europäischen Union.
Im Gegensatz dazu machte die Kanzlerin aus ihrer Distanz zur Politik und zum Politikstil Trumps nie einen Hehl. Am Tag nach dem überraschenden Wahlsieg des Immobilien-Unternehmers bot sie diesem eine „enge Zusammenarbeit" auf der Basis westlicher Werte an. Jemand mit der mentalen Struktur Trumps musste dies als besserwisserische Belehrung und Moralkeule empfinden. Er revanchierte sich mit Tiraden gegen Merkels Flüchtlingspolitik („äußerst katastrophaler Fehler"), die deutschen Export-Überschüsse sowie die aus seiner Sicht zu niedrigen Verteidigungsausgaben.
Bei ihrem Antrittsbesuch in Washington im März 2017 schlug der Kanzlerin eine Frostwolke entgegen. Am Ende des Pressetermins im Weißen Haus verweigerte Trump dem Gast aus Deutschland sogar den sonst üblichen Handschlag. An derartigen emotionalen Altlasten muss sich Merkel noch heute abarbeiten.
Natürlich profitiert Macron auch von Macht-Strukturen, über die Deutschland nicht verfügt. Frankreich besitzt Atomwaffen und ist permanentes Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Der Präsident hat weitreichende Kompetenzen, auch bei schnellen Militäraktionen wie kürzlich im Fall der amerikanisch-französisch-britischen Luftangriffe auf Ziele in Syrien. Die Kanzlerin muss hingegen auf den Parlamentsvorbehalt Rücksicht nehmen.
Merkel war während der Finanz- und Eurokrise ein weltpolitisches Schwergewicht, dem der frühere US-Präsident Barack Obama immer wieder Reverenz erwies. Heute hat Macron der Kanzlerin in geopolitischen Fragen wie Abstimmung mit Amerika, Syrienkonflikt oder Iran den Rang abgelaufen. Erfreulich immerhin, dass beide bei Themen wie freiem Handel oder Russland auf einer Wellenlänge liegen. Den Beweis, dass sich ein guter Draht zu Trump auch in handfester Politik – zum Beispiel Verzicht auf US-Strafzölle – niederschlägt, muss Frankreichs Präsident freilich noch erbringen.
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.