Seine Porträts von Pablo Picasso, Marlene Dietrich und Alfred Hitchcock gelten als Ikonen der Fotokunst. Kein anderer schoss so viele Titelfotos für die „Vogue" wie Irving Penn. Jetzt zeigt die Galerie C/O Berlin in einer großen Schau rund 240 Werke des Starfotografen.
Eigentlich wollte der 1917 in Plainfield, New Jersey geborene Irving Penn ja Maler werden. Deshalb begann er als 17-Jähriger Gestaltung an der Pennsylvania Museum School of Industrial Art zu studieren. Der aus Russland zunächst nach Paris emigrierte Alexei Brodovitch war sein Lehrer. Als sein Assistent bekam Penn erste Fotografenjobs bei Harper’s Bazaar. Doch er wollte weitermalen.
1943 reiste er nach Mexiko und musste sich dort eingestehen, dass seine Bilder seinem strengen Urteil nicht genügten. Er hielt sie für mittelmäßig. Glücklicherweise besaß er da schon eine Kamera, seine Rolleiflex, mit der er auf seiner Reise sogenannte „camera notes" aufnahm. Im gleichen Jahr wurde Penn vom neuen Artdirector der Modezeitschrift „Vogue „engagiert – der Penns Aufnahmen seiner Mexikoreise entdeckte und ihn dazu ermutigte, in diesem Stil weiterzuarbeiten und ein Profil als Fotograf zu entwickeln. Wenig später schoss Irving Penn seinen ersten Titel für die Modezeitschrift „Vogue" – der Beginn einer Erfolgsgeschichte.
Bis ins letzte Detail inszeniert
In Berlin sind nun 240 Werke des Amerikaners zu sehen, auf zwei Stockwerke des „C/O Berlin" verteilt. „Die Schau ist ein Glücksfall. Ich hatte mich schon vor Jahren bemüht, eine Penn-Ausstellung nach Berlin zu holen. Wir sind glücklich, dass es jetzt geklappt hat", sagt Kurator Felix Hoffmann. Die Wanderausstellung wurde vom renommierten Metropolitan Museum of Art in New York konzipiert. Sie war bereits dort und in Paris zu sehen. Von Berlin aus wird sie als letzte Station ihrer Reise nach São Paulo gehen. Es ist eine gute Gelegenheit, das vielfältige und umfassende Werk der amerikanischen Fotografen-Legende kennenzulernen: von den Stillleben über die berühmten Porträt-Aufnahmen (beispielsweise von Pablo Picasso) bis hin zu zahlreichen stilprägenden Modefotos. Ebenso eindrucksvoll sind die eigenwilligen Blumenmotive – Irving Penn ließ sich oft von unterschiedlichen Epochen der Kunstgeschichte inspirieren, nahm gestalterische Ideen oder eine Formensprache auf – um diese dann fotografisch umzusetzen.
Seine ersten Motive fand Irving Penn auf der Straße: Ladenfassaden oder Reklameschilder. Von dieser Art der Dokumentation war es nur ein kleiner Schritt zu den Stillleben. Er liebte es, Geschichten mit alltäglichen Gegenständen zu erzählen. In der Schau in Berlin ist als eines der ersten Fotos ein Werk namens „Theater Accident" (Zwischenfall im Theater) zu sehen. Auf einem Teppich verstreut liegen Habseligkeiten einer Lady, daneben ein eleganter Pumps mit Schleife, ein schwarzes Hosenbein, und eine fallen gelassene Handtasche. Die scheinbar zufällig fallen gelassenen Gegenstände sind tatsächlich präzise arrangiert. Der Zwischenfall – welcher Art auch immer, da sind die Assoziationen des Betrachters gefragt – ist bewusst vom Fotografen inszeniert worden, was die besondere Raffinesse der Aufnahmen ausmacht. Textilien mit verschiedenen haptischen Qualitäten, das schimmernde Perlmutt eines Opernglases, eine Hundepfeife aus Metall, ein paar bunte Pillen und ein Perlenohrring am unteren Rand des Bildes: Das ist die moderne Interpretation eines Stilllebens fotografiert von Irving Penn, dessen Auge an den Gemälden der Niederländer des 17. Jahrhunderts geschult ist.
Porträts
Pablo Picasso, Marlene Dietrich, Alfred Hitchcock, Truman Capote und Salvador Dalí, ... – Irving Penn hat sie alle vor der Linse gehabt. Er war ein begnadeter Porträtist. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Penn als Soldat der US-Army in Italien. Zurück in den USA erhielt er vom Artdirector der „Vogue", Alexander Liberman, Aufträge für Prominenten-Porträts. Damit sollte einerseits das Magazin kulturell angereichert werden, andererseits wollte Libermann die Karriere Irving Penns fördern. Für die Gestaltung der Aufnahmen hatte der Fotograf völlig freie Hand.
Die Porträts nahm Penn vor zwei verschiedenen Hintergründen auf. Entweder stellte er sein Modell in einen spitzen Winkel zwischen zwei Stellwänden oder er ließ es auf einem fleckigen Teppich Platz nehmen. „Geradezu in die Ecke gedrängt entwickeln die Modelle eine besondere Energie. Irving Penn gelingt es, diese Kraft zum gestalterischen Element zu machen", erklärt Ausstellungskurator Jeff L. Rosenheim vom Metropolitan Museum bei der Eröffnung in Berlin. Irving Penn hatte mit diesen beiden Gestaltungselementen, dem spitzen Winkel und dem alten Teppich, sein Markenzeichen gefunden und einen neuen Stil entwickelt.
Modefotografie
1943 nahm Irving Penn ein Foto für die Modezeitschrift „Vogue" auf. Es war das erste von insgesamt 160 weiteren Titelbildern für das Blatt. Kein Fotograf gestaltete mehr Cover für die „Vogue".
In Berlin sind nun einige der Originalaufnahmen aus den 1950er-Jahren zu sehen. Trotz der Fülle der Modeaufnahmen, die Penn im Laufe seines Lebens machte, blieb ihm die Glamourwelt der Modeschauen immer ein wenig suspekt. Wieder spielte Artdirector Liberman eine wichtige Rolle. „Alex hielt mich nicht für besonders zivilisiert", erinnerte sich Penn. Er bekam die Anweisung, sich ein elegantes Jackett zu kaufen und die stets mit Spannung erwarteten Modeschauen der Pariser Haute Couture zu besuchen.
Doch der bei diesen Ereignissen herrschende Andrang rivalisierender Fotografen und aufgeregter Redakteure überwältigte Penn. Er arbeitete lieber abseits des Getümmels, ohne raffinierte Kulissen oder Ausstattungen, und möglichst in einem Tageslicht-Studio. Für die Shootings wurde deshalb ein eigenes Studio in Paris aufgetrieben sowie ein Theatervorhang, der als neutraler Hintergrund diente. Dort entstanden die ästhetisch-eleganten Aufnahmen wie „Girl with Tobacco on Tongue" oder „Woman with a Rose", das die Profi-Tänzerin Lisa Fonssagrives zeigt, die Penn später heiratete. Sie war in den frühen 50ern das berühmteste und am besten bezahlte Model – quasi das erste „Supermodel". Auf Penns Foto „Woman with a Rose" ist sie in einem raffinierten schwarzen Kleid zu sehen, das wie eine Skulptur des italienischen Künstlers Brancusi wirkt.
Zigaretten
Ein berühmter Fotograf bückt sich, um aus der Gosse regenfeuchte Zigarettenstummel aufzulesen. Irving Penn tat das – und fertigte eine ganze Serie von Fotos der Zigarettenenden an. Er hatte zuvor auch Raucher porträtiert und Reklamefotos für Zigaretten aufgenommen. Aber als sein väterlicher Mentor Alexei Brodovitsch von der Pennsylvania School of Industrial Art an Krebs starb, war das für Penn Anlass für eine ebenso ungewöhnliche wie zarte Serie von Bildern mit Zigarettenstummeln. Die Schau im „C/O Berlin" präsentiert 20 dieser eindrucksvollen Fotografien, die wie Porträtstudien ganzer Familien daherkommen.
Die gesammelten feuchten Stummel trocknete Penn sorgfältig und arrangierte sie dann in gewohnt akribischer Weise für seine Aufnahmen. Herausgekommen sind Bilder von individueller Sicht auf die Vergänglichkeit. Wie schon bei seinen Stillleben nach der Tradition holländischer Meister bediente sich Penn auch bei den Zigaretten-Bildern eines Motivs aus der Kunstgeschichte – dem Memento mori des Barocks, nach dem man im Wissen um den nicht abzuwendenden Tod das Leben genießt.
Eine letzte Abteilung ist den Blumenfotos gewidmet. Nicht die pralle Blüte interessierte Penn, sondern die Pflanze, die den Zenit der Schönheit überschritten hatte. Die letzten Fotos von Irving Penn erschienen wenige Wochen vor seinem Tod 2009, es waren leicht angebräunte Bananenscheiben.