Jeder kennt es, das braune Fläschchen mit der roten Verschlusskappe. Es fehlt in kaum einem Küchenschrank. Und auch wenn Gourmetköche eher nichts davon wissen wollen: bei Otto Normalkoch ist sie mit von der Partie, seit gut 130 Jahren – Julius Maggis braune Würzsoße, die so typisch riecht.
Das Rezept ist bis heute so geheim wie das Coca-Cola-Rezept. Pflanzliches Eiweiß, vermutlich Soja, ist drin, auch Glutamat, Salz, Zucker, zumindest kein Fett – und sonst?
Erfunden hat die Würze ein Schweizer: Julius Maggi. Weil er ein Sohn italienischer Einwanderer war, sprach er sich „Mad3i" aus. Er stammte aus einer Mühlen- und Gemüseanbaufamilie. Der 1846 geborene Julius übernahm 1869 den Betrieb von seinem Vater und begann mit dem Arzt Fridolin Schuler preiswerte Suppenkonzentrate aus Hülsenfrüchten zu entwickeln. 1886 kreierte er zur Geschmacksverbesserung dieser Suppen die Maggi-Würze – die rein pflanzlichen Suppen sollten ein wenig nach Fleisch schmecken.
Und so verhelfen bis heute – 130 Jahre später – manch fader Gemüsesuppe ein paar Tropfen des magischen Extrakts zu mehr Geschmack. Zwar kennen 87 Prozent aller Deutschen Maggi, aber nirgendwo wird es so großzügig verwendet wie zwischen Homburg und Saarlouis, Kleinblittersdorf und Oberkirchen. Die Saarländer übertreffen mit ihrer Liebe zu Maggi alle anderen Bundesländer: Ein Liter pro Haushalt und Jahr wird hier verbraucht. Doppelt so viel wie der deutsche Durchschnitt. Das charakteristische Fläschchen fehlt weder in der Landtagskantine noch in der Suppenküche der Arbeiterwohlfahrt. Im Saarland kommt Maggi auch schon mal in die Salatsauce. Und wenn nichts anderes da ist, tut es auch ein Maggi-Brot, wenn man Hunger hat. Die Saarländer lieben ihr Maggi so sehr, dass sie es sich sogar als Adventskranz vorstellen können: ein Ring Lyoner-Fleischwurst plus vier Maggi-Fläschchen statt Kerzen. Apropos Lyoner, auch dieses Kulturgut der Saarländer geht nicht ohne Maggi. Der Ringel Lyoner gehört zum Bergmannsfrühstück wie Weck und Bier. Zum Würzen sind frischer Knoblauch und Zwiebeln erlaubt. Und nicht fehlen darf ein Schuss Speisewürze, wobei Insider auf die Droge der Saarländer mit fünf Buchstaben, eben Maggi, schwören.
Ein Schweizer erfand die Würze
Der Bergbau hat dicht gemacht, in der Hütte arbeitet nur noch eine Minderheit, doch Maggi hat überlebt. Es ist ein proletarisches Gewürz – das zeigt sich schon daran, wie die Würze entstanden ist. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Ernährung ein großes Thema. Das Industriezeitalter hatte begonnen, die Menschen zogen in die Städte, sie konnten sich nicht mehr selbst versorgen wie auf dem Land. Fehlernährung und Mangelerscheinungen waren die Folge. Gesündere Ernährung durch Fertigsuppen – das war die Idee von Julius Maggi und seinem Kompagnon Fridolin Schuler. Sie wollten ein nährstoffreiches, zeitsparendes und haltbares Nahrungsmittel auf den Markt bringen. Die Fabrikarbeiter brauchten billige, schnell zubereitete Gerichte, die sie in den knappen Pausen essen konnten. Was heute befremdlich klingt, sollte damals die Lösung sein: gesündere Ernährung durch Fertigsuppen.
Es ging nicht nur um die Arbeiter, auch die Truppe brauchte billiges, aber nahrhaftes Essen. Das zeigt sich in den Versen des später als Expressionist berühmt gewordenen Frank Wedekind („Frühlings Erwachen"). Der brotlose Literat verdiente sich sein Geld in den ersten Jahren als Werbetexter für Maggi. So reimte er: „Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst du erst zu den Truppen, so isst man dort auch längst nur Maggi’s Fleischconservensuppen."
Den Weg von der Schweiz nach Deutschland fand Maggi im Mai 1887. Julius Maggi mietete einen Teil des „Restaurants Amann" in Singen (Hohentwiel) und ließ dort von sieben Frauen in der Schweiz hergestelltes Maggi aus Kanistern in die berühmten braunen Glasfläschchen, die er selbst entwickelt hatte, umfüllen. 1897 wurde die Maggi-Gesellschaft in Singen in das Handelsregister eingetragen. Unsere Suppenwürze war endlich deutsch.
Im selben Jahr wurde die expandierende Firma auch in Frankreich aktiv: Julius Maggi baute neben einem Vertriebsnetz für seine Suppen und Würzmittel auch ein Verteilersystem für pasteurisierte Milch auf, deren Qualität durch ein von ihm gegründetes Labor kontrolliert wurde. Dafür erhielt er sogar den Titel eines Offiziers der französischen Ehrenlegion. 1907 erfand er den Brühwürfel, der bereits fünf Jahre später millionenfach verkauft wurde.
In Singen war derweil eine Fabrik mit 200 Beschäftigen entstanden. Sie kamen in den Genuss umfangreicher Sozialmaßnahmen – Arbeiterwohnungen, Regelung des Lohnausfalls, betriebseigenes Ferienheim und eine Betriebskrankenkasse. Die deutsche Hauptverwaltung von Maggi wurde 1898 nach Berlin verlegt. Eine Gedenktafel an einem immer noch repräsentativen Haus am Lützowplatz erinnert daran. Das Gebäude diente dem Unternehmen ab 1911 als Sitz der Geschäftsleitung und des Vertriebs.
Nahrhaftes für die Truppe
Kurz nach Julius Maggis Tod im Jahre 1912 wurde die Firma, die seinen Namen trug, in eine Beteiligungsgesellschaft umgewandelt und später in Alimenta AG umbenannt. 1947 übernahm sie der Nestlé-Konzern. Doch auch der hat die kleine braune Flasche nicht verändert, sie hat sich gehalten, trotz Maggi-Kochstudio, Brühwürfel und Fünf-Minuten-Terrine.
Doch nichts bleibt, wie es ist. Maggi-Produkte bestehen zu einem großen Teil aus Salz und Geschmacksverstärkern. Das ist für viele gesundheitsbewusste Verbraucher von heute ein No-Go. Nun hat sich Nestlé entschieden, die Rezeptur seiner Maggi-Produkte grundlegend zu ändern. Bis 2020 soll das gesamte Maggi-Sortiment umgestellt werden, mit geringerem Salzgehalt und einem höheren Anteil an gesunden Zutaten. Mehr Gemüse, Kräuter und Getreide heißt es in einer Ankündigung der „Simply Good" getauften Initiative. Für Geschmacksverstärker wie Mononatriumglutamat, Dinatriumguanylat oder Dinatriuminosinat – alles wesentliche Bestandteile des berühmten Brühwürfels und zum Teil auch der Maggi-Würze – dürfte damit wohl bald das letzte Stündlein schlagen. Das detaillierte Rezept wird ein streng gehütetes Firmengeheimnis bleiben. Auch das neue. So viel sei verraten: Falsch ist, dass Liebstöckel Maggi-Kraut heißt, weil er der Flüssigkeit den Geschmack verleiht. Andersherum wird ein Schuh daraus: Die Pflanze schmeckt nur zufällig genauso wie unser Maggi.