Bei Problemen im Job, der Beziehung oder der Lebensplanung suchen sich immer mehr Menschen professionelle Hilfe. Wobei es zwischen Coaching und Psychotherapie beträchtliche Unterschiede gibt.
Laut Studien des Robert-Koch-Instituts leidet jeder dritte Erwachsene an einer psychischen Krankheit. Die Krankheitsformen reichen von Kopfschmerzen bis Verdauungsbeschwerden, von Phobien bis Panikattacken, von Depressionen bis zu diversen Suchtausprägungen. Die Zahl der Krankentage, die sich auf psychische Störungen zurückführen lassen, wird auf 53 Millionen geschätzt. Kein Wunder daher, dass immer mehr Gescheiterte, Getrennte, Gekündigte oder Gestolperte professionelle Unterstützung bei Fachleuten suchen. Oft ist dabei der Hausarzt die erste Anlaufstelle, auch Krankenhäuser mit spezialisierten Abteilungen werden häufig frequentiert. Doch letztlich wird es immer um die Frage gehen, ob die psychischen Probleme des Patienten am besten durch Coaching oder Psychotherapie gelöst werden können.
Wobei es zwischen diesen beiden Hilfsangeboten oder Behandlungsmethoden erhebliche Unterschiede gibt. Die Grenzen sind ziemlich klar geregelt: Coaching hat zum Ziel, gesunden Menschen zu helfen, Probleme im Alltag, bei Trauerfällen, in der Partnerschaft, in der Familie oder im Beruf besser in Griff zu kriegen. Die eigenen Ressourcen besser auszuschöpfen, wieder größeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und die elementaren eigenen Bedürfnisse wiederzuerkennen. Psychotherapie richtet sich an Menschen, die durch den Leidensdruck krank geworden sind. Für sie muss eine zuverlässige Diagnose und anschließend ein Behandlungsplan erstellt werden. Anders als Coaching ist die Psychotherapie in Deutschland eine geschützte Profession, sprich, es ist eine Zulassung für die Ausübung der Heilkunde und zusätzlich eine Approbation in Psychotherapie erforderlich.
Coaching kann man auch „Beratung" nennen
Für Coaching kann man durchaus auch das Wort „Beratung" verwenden. Manchmal wird auch der Begriff „Training" dafür deckungsgleich genutzt. Der Coach leistet im Idealfall beste Hilfe zur Selbsthilfe. Der Ansatz ist direkt lösungsorientiert. Es geht darum, neue Möglichkeiten zu erkennen und durchzuspielen, Ziele zu finden und passende Strategie zu entwickeln. Wobei es gar nicht so leicht ist, einen guten persönlichen Berater zu finden. Coaching ist nämlich nicht gesetzlich reglementiert, sprich: Jeder, der sich in diesem Bereich tummeln möchte, kann dies tun – ohne dass er eine spezifische Qualifikation dafür besitzen muss. Anders als bei einer Psychotherapie, bei der die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden, muss der Klient das Coaching aus eigener Tasche bezahlen. Erfolgsgarantien gibt es beim Coaching keine, allerdings darf der Klient bei jeder Sitzung Themen und Ziele vorgeben, während in der Psychotherapie der Fachmann bestimmt, an welchen Punkten gearbeitet wird.
Inzwischen bieten auch immer mehr Psychotherapeuten Coachings an, was für den Klienten den Vorteil haben kann, dass der Experte eventuelle Krankheitssymptome erkennen und dann die Beratung umgehend in eine Psychotherapie ändern kann. „Im Coaching geht es darum, sich weiterzuentwickeln", erklärt Nina Meier, Coach und Rechtsanwältin in Kaltenkirchen bei Hamburg. „Wer psychisch krank ist, kommt nicht wirklich voran." Die Methoden des Coachings reichten dafür einfach nicht aus.
Trotzdem muss es beim Coaching keineswegs bei einem Kratzen an der Oberfläche bleiben. Denn sich selbst vor einem Coach mit schwierigen Grundsatzfragen offen auseinanderzusetzen, kann durchaus ein herausfordernder, häufig sogar unangenehmer Prozess sein. Erfahrene Coaches können ihre Klienten beispielsweise konfrontieren mit Denkansätzen wie: Was passiert in deinem Leben? Welche Muster stecken dahinter? Wie wäre dein Leben, wenn es richtig gut wäre? Ob jemand mit seinen Problemen zunächst mal bei einem Coach anklopfen oder sich in die lange Warteschlange für einen Therapieplatz einreihen möchte, ist dem Betroffenen also letztlich selbst überlassen. Doch spätestens nach dem ersten Gespräch sollte Klarheit darüber bestehen, ob Coaching der richtige Weg ist – oder ob die Therapie die einzig sinnvolle Behandlungsmethode sein kann.
Wobei die Grenzen zwischen Coaching und Therapie manchmal fließend verlaufen. Wer bin ich jetzt? Wer will ich sein? Um diese beiden zentralen Fragen wird sich das Gespräch hier wie dort stets drehen. Doch spätestens, wenn der Stress zu körperlichen Symptomen oder einer seelischen Depression führt, kann eigentlich nur noch die Therapie helfen. Mit deren Hilfe wird die Akutkrise, die den Schwerpunkt im Gefühlsleben hat, behandelt. Es müssen aber in der Regel auch ungelöste frühere Konflikte therapeutisch untersucht werden, um Blockaden aufzulösen und den Patienten wieder handlungsfähig zu machen.
Dreimonatige Frist auf Wartelisten muss man einkalkulieren
Ein gravierendes Problem ist nach wie vor die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen. Viele Betroffene trauen sich daher nicht einmal, im Freundeskreis darüber offen zu reden. Hilfe können sie auch von der hiesigen Gesundheitspolitik kaum erwarten. Es gibt einfach viel zu wenige Therapieplätze. Im Schnitt muss eine dreimonatige Frist auf Wartelisten einkalkuliert werden, ehe man einen Spezialisten auch nur zu Gesicht bekommen kann. Kein Wunder, dass die Behandlungsrate außerordentlich gering ist. Laut Robert-Koch-Institut lässt sich nicht einmal ein Drittel der Betroffenen versorgen – und wenn, dann häufig erst Jahre nach Beginn der Krankheit.
Nur wenige – gerade einmal zehn Prozent der Patienten – bekommen laut diversen Studien genau die Therapie, die ihrer Diagnose angemessen wäre. Die viel zu knappen Therapieangebote werden häufig nicht bedarfsgerecht vergeben, sprich: Längst nicht jeder Hilfesuchende landet bei dem Therapeuten, den er eigentlich braucht. Schwammige, aber psychologisch nicht definierte Syndrome wie Mobbing oder Burn-out haben den Ansturm auf die Psychotherapie-Praxen in den vergangenen Jahren weiter verschärft – mit der unliebsamen Folge, dass häufig nicht mehr Patienten mit einer schwerwiegenden Diagnose den Therapieplatz zugewiesen bekommen, sondern die Durchsetzungsfähigsten mit den kräftigsten Ellenbogen.